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Dienstag, 16. Juni 2020

Einkaufen in Deutschland


Es ist drei Monate her, dass ich ganz knapp vor Beginn des Corona-Wahnsinns in Deutschland einkaufen war. Gestern stürzte ich mich nach dieser langen Pause zum ersten Mal wieder ins Abenteur.  Lebensmittel kaufen für meinen erste Woche in Frankfurt.

Eine bizarre Erfahrung.

Der erste Eindruck, aber das kannte ich ja schon aus den Niederlanden: jede Freude am Einkaufen ist weg. Von Spaß an der Sache ganz zu schweigen.

Die Maskenpflicht und die Abstandsregel haben zu allerlei Ritualen geführt, die uns allen vor einem halben Jahr noch mehr als seltsam vorgekommen wären. 
Um die Anzahl der Anwesenden in einem Supermarkt zu kontrollieren, muss jede/r einen Einkaufswagen benutzen; möchten zwei Personen gemeinsam einkaufen: zwei Einkaufswagen. 
Als nächstes gilt es, den Griff des Einkaufswagens zu desinfizieren. 
Hier ist schon der erste logische Bruch. Die Einkaufswagen stehen an einer etwas vom Eingang entfernten Stell, das Desinfektionsmittel auf einem Tisch am Eingang. Richtigerweise müsste man also ein Papiertuch (stehen zur Verfügung) mit dem Desinfektionsspray einsprühen und damit den Griff des ins Auge gefassten Wagens säubern, ehe man mit ihm losschiebt. Manche Läden lassen den Gebrauch der Karren zur Zeit ohne Münze zu, bei anderen muss man noch eine Münze einschieben, um den Wagen von seinen Artgenossen losmachen zu können. Da müsste dann auch der Münzeinwurf noch desinfiziert werden.
Die meisten Leute tun weder das eine noch das andere. Sondern holen den Einkaufswagen, laufen damit zu dem Tisch, auf dem Papiertücher und Desinfektionsmittel stehen, fassen die Sprühflasche mit ihren undesinfizierten Händen an, sprühen das Papiertuch ein und wischen dann den Handgriff.

Ein Mann vom Sicherheitsdienst, statt Maske mit einem Plexiglasschild, einer Art Visier vor dem Gesicht (siehe Abbildung), beaufsichtigt alles und leitet es in einigermaßen geordnete Bahnen. Corona: Boom-Zeiten für Sicherheitsdienste.

Ab hier, dem Eingangsbereich des Ladens, ist Maskierungspflicht. An Mund-Nasenschutzen sieht man um sich herum so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann, von selbstgenäht über die aus der Arztpraxis bekannten Wegwerfmasken bis hin zum Baumarktmodell. Auch an Arten und Weisen, ihn zu transportieren und aufzusetzen. Manche Leute haben sie schon unterm Kinn hängen, andere friemeln den ihren mühsam aus der Tasche, wieder andere schlenkern das Teil nonchalant am Handgelenk.

Ausschnitt aus "Instandbesetzer 1981"
Foto: Tom Ordelman, CreativeCommons
Ich hatte mich für ein Baumwollkopftuch entschieden, das ich nach Art des Demo-Gesichtsschutzes gebunden hatte. Was schon lange auf jeder Demonstration verboten war, ist nun nicht nur erlaubt, sondern sogar Pflicht.

Das Einkaufen mit dem Tuch vorm Gesicht war furchtbar. Obwohl ein ganz dünnes Tuch aus indischer Baumwolle, schwitzte ich sehr stark. Nach einer Weile begann meine Nase zu laufen, wahrscheinlich der im Tuch hängende Seifenduft. Hörte glücklicherweise nach kurzer Zeit wieder auf. Zum Schluss war das Tuch vollkommen durchnässt vom Gesichtsschweiß und der Atemluft.

Wie das dem RKI entsprechende Institut in den Niederlanden, RIVM – Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, als Grund benannte, um keine Maskenpflicht einzuführen, erzeugen die Masken bei vielen der Trägerinnen und Träger offenbar  eine Scheinsicherheit.
Folge in den Läden, jedenfalls in den beiden, in denen ich war, einem mittelgroßen Bio-Supermarkt und einem riesengroßen Lebensmittelsupermarkt einer in der Region verbreiteten Kette: sehr viele einkaufende Mitmenschen meinen, sich nicht an die Abstandsregel halten zu müssen. 
Im inzwischen weit verbreiteten Corona-Autismus bewegen sie sich mit ihrer je eigenen Glasglocke, als ob niemand  um sie herum existiert. Egoistisch bis zum letzten, noch schlimmer als vor dem C-Virus, nur den eigenen Zielen und Interessen nachstrebend. "Alles so schnell wie möglich einsammeln, was auf der Einkaufsliste steht, und dann nix wie raus hier!" Wobei die anderen Menschen, falls wahrgenommen, möglichst nicht angeschaut werden. 

Im Bio-Laden war das fast noch schlimmer als im 'normalen' Supermarkt. Ob das jetzt dem unterschiedlichen Raumangebot im Laden oder dem unterschiedlichen Publikum geschuldet war – Bio-Käufer in einer Großstadt wie Frankfurt sind schon lange keine traditionell-alternativen "Ökos" mehr - , vermag ich nicht zu sagen.
Am Gemüsestand kann sich die Kundin vor mir nicht entscheiden. Sie steht bei den Gemüsesorten, bei denen ich auf vorbeischauen möchte. Höflich warte ich auf Abstand, bis ich an die Stelle kann, an der sie verharrt. Inzwischen kommt eine andere Kundin herein und rückt mir sogleich auf die Pelle.
Ich weiche aus, schaue erst mal nach anderen Dingen, die auf meiner Liste stehen.
In den Gängen ein ähnliches Spiel: niemand weicht aus, irgendwo steht jemand breit vor einem Regal und tippt ausführlich auf dem Smartphone herum. ich suche meinen Weg durch einen anderen Gangl, laufe Umwege und Umwege, um Leuten aus dem Weg zu gehen. Komme bei den Eiern vorbei, schaue nach der Sorte, die ich will (eine, bei der auch männliche Küken überleben dürfen), da rückt mir schon wieder jemand auf die Pelle.

Als ich am Ende alles habe, bin ich geschafft. Und verärgert darüber, dass durch die allüberall angelegten Masken außer mir hier beinahe alle zu denken scheinen, dass man sich das Abstandhalten nicht mehr praktizieren müsse.

5 Minuten Gehweg, nächster Laden. Wegen des durchnässten Halstuches mit frischer Maske.
Dort steht kein Desinfektionsmittel für die Wagen zur Verfügung. Aber ich habe ja mein Sterillium in der Jackentasche und ein Päckchen Tempotücher.

Der Laden an sich ist, wie gesagt, viel weiträumiger. Trotzdem meinen auch hier viele Kunden, keinen Abstand halten zu müssen.
Auf meinem Einkaufszettel für hier stand unter anderem Recycling-WC-Papier der Hausmarke und flüssige Handseife. Das WC-Papier-Regal ist noch immer halbleer, ich frage einen Mitarbeiter, der wie gerufen gerade am Regal räumt, nach der gesuchten Sorte. Das gibt es vorläufig nicht. Ausverkauft. Nicht lieferbar. Statt der normalerweise hier herumliegenden gefühlten 10-20 Sorten Toilettenpapier gibt es nur Restbestände von zwei Sorten. Eine Luxusmarke und ein kratziges Recycling-Papier.
Wo die Handseife steht, frage ich gleich auch noch. Er weist mir das Regal und sagt sogleich dazu, dass ich da aber kein Glück haben werde. Alles ausverkauft.
Noch immer!?
Ich frage mich ernsthaft, was die Leute mit all dem Klopapier und all der Seife machen! Das geht doch jetzt schon seit mehr als drei Monaten so, irgendwann müssen die Vorräte zuhause nun wirklich aufgefüllt sein! Oder hat die Viruspanik Massendiarrhoe ausgelöst? Und haben sich die Leute früher keine Hände gewaschen?




Während ich vor dem Laden meine Einkäufe in meinen 'Rentnerbuggy' – die Einkaufstasche auf Rädern – verstaue, schaue ich mir die Menschen an.
Und bin mit meinem Mann herzlich einig: Was für ein Glück, dass wir in den Niederlanden mit freiem Gesicht einkaufen dürfen. Das befördert eindeutig die Disziplin beim Einhalten des Abstandes. Auch kommt man nicht schweißüberströmt aus dem Laden in den kühlen Luftzug draußen. Und besser Atmen lässt es sich auch. 


Nachtrag:
Leserinnen und Leser in Deutschland kennen das natürlich schon und werden mir sagen wollen: man gewöhnt sich dran. Schon möglich. Sogar wahrscheinlich. 
Ich glaube, ich will mich gar nicht daran gewöhnen.

2 Kommentare:

  1. Der Eintrag wäre noch zu ergänzen mit den Ausnahmegenehmigungen beim Personal in Einkaufsläden und dass die Reinigungskräfte Masken- und Handschuh-frei mit ihren Reinigungsfahrzeugen zu Geschäftszeiten reindürfen. In den Biomärkten, die ich nutze, trägt das Personal Maske und teilweise Handschuhe. Bin ich in den Billigketten (Aldi, Lidl, REAL....usw.) laufen die normal rum. Die Läden sind in den Gängen teilweise mit einsortierender Ware weiter verengt, Abstandsregelung bei sich unterhaltendem Personal Fehlanzeige und es wird fleißig eingeräumt, egal wo der Kunde steht.

    Mein Speed-shopping-Ansatz wird oft ausgebremst von Menschen, die meinen, wie früher einkaufen zu müssen (sich mit Partner drüber unterhalten, was noch gebraucht wird; dabei Wege sperren oder kaum einen Einkaufsplan haben und sich vom Angebot mehr inspirieren lassen und unschlüssig rumstehen), egal ob da auch jemand hin oder vorbei möchte.

    Momentan überlege ich mir genau, wann und wo ich hingehen möchte und einige Läden meide ich inzwischen konsequent, auch wenns praktischer wäre.

    Gespannt bin ich auf den Juli, wenn die temporäre Märchensteuersenkung kommt. Bleiben die Ladenpreise, und wirds Sendungen geben über unterschiedliches Anbieterverhalten bzw. wie werden die Verbraucherschutzorganisationen sich verhalten?
    Bis dahin darf jetzt fleißig corona geappt werden.

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  2. Vielen Dank für diese Ergänzungen. Das mit den Sonderregelungen fürs Personal wusste ich noch nicht. Da wo ich gestern Einkaufen war, war der Mann vom Reinigungspersonal immerhin maskiert, und auch die Regalfüller/innen trugen Mund-Nasenschutz, und Handschuhe haben sie ja oft sowieso an.

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