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Freitag, 22. Januar 2021

Nächtliche Ausgangssperre

"Alle schönen Dinge werden noch unerreichbarer, noch beschränkter, das ist der Sinn des Ganzen" - Artikel über Ausgangssperre

Jetzt passiert's also. Ab Samstag gibt es eine nächtliche Ausgangssperre, von 21 Uhr bis 4 Uhr 30, in den gesamten Niederlanden.

Das hatte man hier zuletzt in der Besatzungszeit im 2. Weltkrieg. Damals ein Disziplinierungsmittel der Deutschen, um den Kontakt der Niederländer untereinander zu beschränken und um Widerstandsak-tivitäten zu unterbinden. Daher war das Thema "Ausgangssperre" in diesem Land bislang ein Tabu. Plötzlich nicht mehr, weil – "die Englische Mutation". Über die Maßnahme wurde im Parlament debattiert. Eigentlich waren viele Parteien dagegen. Lächerliches Schauspiel am Rande: diejenige Koalitionspartei, die absolut und total dagegen war – wodurch es keine Mehrheit für die Maßnahme gegeben hätte – hat sich mit einer halben Stunde länger Draußenseindürfen kaufen lassen (ursprünglich sollte die Sperrstunde um 20 Uhr 30 beginnen). Wie auch immer. Wir erleben erneut eine Maßnahme, von der mir viele Niederländerinnen und Niederländer sagten: das werden sie niemals machen. Nicht in unserem Land.
Doch. Tun sie.

Im Lande hört man bislang wenig Protest dagegen. Manche behaupten: weil sich doch keiner dran halten wird. Noch traut sich der Staat nicht, mit militärischer Härte vorzugehen, wenn seine Bürger eigene Entscheidungen treffen, was sie verantwortet finden und was nicht.

Die Ausgangssperre wird alle treffen. Egal ob Stadt oder Land, dicht bevölkerte Region oder dünn besiedeltes Gebiet. Egal, ob es viele positiv getestete in einer Region gibt oder ganz wenige, ob die Krankenhäuser voll sind oder leer. Ziel der Maßnahme: Man will damit das Bilden von Grüppchen draußen verhindern (illegale Feste oder Geselligkeit) und, dass Leute einander besuchen. Denn einander besuchen, so wird jetzt gesagt, sei der größte Ansteckungsfaktor. "Wir müssen die Kontaktmomente weiter beschränken", so der Ministerpräsident in der letzten Pressekonferenz, in der er die Maßnahme noch vor der Debatte im Parlament ankündigte. Als ob einander nicht auch tagsüber besuchen kann, wenn man es denn will. Es darf jetzt auch nur noch eine einzige Person bei jemand anders zu Besuch kommen. Die vielen Autos, die manchmal vor irgendwelchen Häusern stehen, deren Geschmücktsein auf einen Geburtstag, ein Ehejubiläum oder gerade zur Welt gekommenen Nachwuchs schließen lässt, sprechen eine andere Sprache. Glücklicherweise ist dies hier bislang kein Volk von Denunzianten.

Andererseits, noch immer ist das Thema Homeoffice absolut unterbelichtet, zwar von offizieller Seite immer wieder benannt. Doch vorgestern habe ich ein aktuelles Foto aus einem Vorortzug in der Rush Hour gesehen, in dem die Menschen – alle mit Maske natürlich – gequetscht standen wie die Ölsardinen. Zuhause arbeiten? Lockdown? Wo? Nicht tagsüber, wenn es ums Arbeiten geht. Obwohl noch im Sommer oder Herbst der Ministerpräsident nicht müde wurde, verlauten zu lassen, dass am Arbeitsplatz die meisten Ansteckungen stattfänden.

Mir fällt zu all dem nur noch eines ein: ??? ??? ???

Wie schon die ganze Zeit muss man sehen, seinen eigenen Weg in all dem zu finden.
Momentan konzentriere ich mich wieder vermehrt auf das, was mir die Reizarmut der letzten Monate an Positivem gebracht hat. Noch nie gab es so viel niedrigschwellige Möglichkeiten, sich unkompliziert und ohne auf Reisen zu irgendwelchen Workshops gehen zu müssen, geistig-geistlich inspirieren zu lassen. Ich mache davon regen Gebrauch. Online-Kongresse. Zoom-Treffen. Bergeweise interessante Interviews auf Youtube. Virtuelle Retreats. Und endlich klappt es mit dem regelmäßigen Meditieren.

Der Retreat zu den Rauhnächten zwischen Weihnachten und Dreikönig war so intensiv, dass ich kaum zu etwas anderem kam, und noch immer bin ich im Rückstand mit dem Beantworten meiner Brieffreundinnen-Briefe. Beinahe könnte von Stress die Rede sein. Worüber ich dann doch herzlich lachen muss.

Das Leben ist ein komplett anderes geworden als vor einem Jahr. Vieles hat sich verändert. Manches wird sich noch verändern, denn natürlich ist noch lange kein Ende von all dem in Sicht. Und sowieso sind sich über eines inzwischen wohl alle im Klaren: so wie es bis einschließlich Februar 2020 war, wird es nie mehr werden. Wenn dies alles vorbei ist, wird die Welt eine andere sein.

Wie genau diese andere Welt aussehen wird – keiner weiß es.

Ich persönlich konzentriere mich auf die Chancen, die in all dem liegen. Die Sehnsucht nach dem, was früher war, habe ich verabschiedet. Das hilft auf jeden Fall, das Ganze besser zu durchstehen und kreative, schöne Lösungen für meine jeweiligen Jetzte zu finden.

Manchmal kann auch so ein Video von Jitka Petrova
helfen bei der Stimmungsaufhellung

 

Ich schlage mein "Die Kraft des Jetzt Tagebuch" von Eckhart Tolle auf, das ich letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt bekam. Die Niederländische Ausgabe. Auf der Seite, die ich zufällig getroffen, nicht bewusst gewählt habe steht:

"Geef je zintuigen eens goed de kost. Wees waar je bent. Kijk om je heen. Kijk alleen maar, interpreteer niet. Zie het licht, de vormen, de kleuren, het uiterlijk van de dingen. Wees je bewust van de stillen aanwezigheid van elk ding."

"Nimm einmal so richtig mit allen Sinnen wahr. Sei, wo du bist. Schau dich um. Nur Betrachten, nicht Interpretieren. Nimm das Licht wahr, die Formen, die Farben, das Äußere der Dinge. Sei dir der stillen Anwesenheit eines jeden Dings bewusst."

Genau das.

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