Seiten

Sonntag, 23. Mai 2021

Spahnwahr... äähhm.... Sparwahn

Wohin der Sparwahnsinn im Gesundheitswesen geführt hat, durften wir im gesamten letzten Jahr
ausführlich bewundern. Es rächte sich der hart vorangetriebene Abbau von Krankenhausbetten in den vergangenen Jahren sowie die Tatsache, dass seit Jahren nichts ernsthaft unternommen wurde gegen den strukturellen Pflegekräftemangel, vor allem auch in der intensivmedizinischen Betreuung. Es wurden im Lauf des Pandemiejahres selbst noch mehr Betten abgebaut, auch viele Intensivbetten: 20 Krankenhäuser wurden aus ökonomischen Gründen im Lauf des Jahres 2020 geschlossen. Hier in den Niederlanden existierten grundsätzlich viel zu wenige Intensivbetten (hier wurden in den letzten Jahren unzählige Krankenhäuser geschlossen und zusätzlich Intensivbetten in den übrig gebliebenen Kliniken abgebaut). Und dann ist da noch in Deutschland seit 18.11. 2020 ein Irrsinnssystem in der Vergütung: Krankenhäuser erhalten nämlich bei einer Auslastung von 75% ihrer Intensivstationen Ausgleichsgelder aus der Liquiditätsreserve Gesundheitsfonds
Auslastung kann man, wenn Patienten fehlen, durch Bettenabbau generieren…
Ab November 2020 sind bis Ende des Jahres
etwa10.000 Intensivbetten verschwunden und ist so der Auslastungsgrad gestiegen, bei das ganze Jahr hindurch gleich bleibender absoluter Anzahl an belegten Intensivbetten.

Wie die Musik im Gesundheitswesen spielt, vor allem rund um die Krankenhäuser, ist schon 1997 entlarvend im Deutschen Ärzteblatt ausgedrückt worden: „Das im Gesundheitssystem erbrachte Leistungsspektrum orientiert sich primär — völlig zu Recht — an den wirtschaftlichen Überlebenschancen der Leistungserbringer und nicht an den Bedürfnissen der Leistungsnehmer.“
Mit "Leistungsnehmer" sind die Patienten gemeint. Diejenigen, für die Krankenhäuser eigentlich einmal gedacht waren.

Aktuell darf ich die Auswirkungen des Vorrangs der Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen im eigenen Umfeld erleben.

Groß geworden bin ich in einer Zeit, die geprägt war von der zunehmenden Professionalisierung in der Gesundheitsbetreuung und -versorgung. Bei körperlichen Beschwerden ging man selbstverständlich zum Arzt, anstatt lange zuzuwarten, ob es sich vielleicht von selbst regelt. Das Bewusstsein war in den Köpfen angekommen, dass es nicht gut ist, Dinge zu verschleppen. Wenn etwas Ernstes war, eine Operation nötig war oder die Behandlung einer schweren Krankheit, wurde man ins Krankenhaus eingewiesen und dort so lange behandelt, gepflegt und versorgt, bis der akute Verlauf genesen war. Zuhause rekonvaleszierte man noch, um die Genesung abzurunden.

Nach einem Eingriff blieb man so lange, bis die Wunden gut verheilt waren, wurde gut versorgt und vor allem wurde der Verlauf der Heilung durch fachlich geschultes Personal täglich beobachtet und kontrolliert. Abweichungen konnten sofort festgestellt werden und man konnte rechtzeitig eingreifen. Verbände wurden professionell und sicher mit sterilem, passendem Material gewechselt.

Wenn auch ein Aufenthalt im Krankenhaus selbstverständlich nie 'schön' war - im Grunde war es doch auch eine für Genesende und Angehörige entspannte Situation. Man wusste sich selbst bzw. seine Lieben in geschulten Händen und konnte in Ruhe genesen bzw. rund um die täglichen Besuche beim kranken Familienmitglied einen einigermaßen normalen Alltag leben.

Heutzutage lohnt sich diese Art Pflege nicht mehr für die Krankenhäuser, denn sie erhalten Fallpauschalen. Je schneller der Durchsatz, um so mehr Einnahmen.
So werden Menschen grundsätzlich so schnell wie möglich aus den Kliniken geworfen. Nach Hause geschickt in Momenten, in denen die Erkrankung bzw. Wunden noch komplette Versorgung benötigen.
Patient und Familie werden weitestgehend ihrem Schicksal überlassen. Man kriegt ein paar Instruktionen mit, die nötigen Medikamente (aber kein Verbandmaterial, das muss man sich selbst irgendwo besorgen), Verhaltensmaßregeln und den Hinweis, man solle ruhig anrufen, wenn einem irgendwas spanisch vorkäme. Nachts und am Wochenende allerdings nur in absolut schweren Notfällen.
Die ganze Last der Pflege wird auf die Schultern der Angehörigen abgeladen. Die in den meisten Fällen – so wie ich auch – von Tuten und Blasen keinerlei Ahnung haben. Und weh den (älteren) allein Lebenden, die keine erwachsenen Kinder haben oder ein 'funktionierendes soziales Umfeld', wie das hier in den Niederlanden genannt wird. Oder deren Kinder weit weg wohnen.

Als Laie hat man keinen blassen Schimmer, was 'normal' und was 'abnormal' ist im betreffenden Genesungsverlauf, vor allem direkt nach einem Eingriff. Wie viel Schmerzen sind 'zu viel' Schmerzen? Wieviel Rötung ist 'zu rot'? Wann sieht die während des Verbandswechsels sichtbare Narbe/Wunde anders aus, als sie sollte? Und so entstehen Fragen über Fragen.
Was mache ich, wenn der eine Tropfen, den ich geben muss, zu klein geraten ist? Wie schlimm ist es, wenn zwei Tropfen aus dem Fläschchen ins Auge fallen statt einem? So geht das munter weiter.
Von A bis Z Unsicherheit über das, was richtig und was falsch ist. Was o.k. ist und was eben nicht o.k. ist. Überall lauert die Gefahr, etwas zu übersehen oder einen Fehler zu machen und dadurch die Genesung zu behindern. Oder Schlimmeres.

Totalstress für Patient und pflegende Angehörige.
Nachdem jahrzehntelang alles dafür getan wurde, die Behandlung von körperlichen und seelischen Erkrankungen zu professionalisieren, spielt professionelle Versorgung auf einmal keinerlei Rolle mehr. Alles ist dem Zufall der Tatsache überlassen, wie gut sich versorgende Angehörige mit Pflege und Symptomen auskennen. Oder eben nicht. Die Qualität der Versorgung wird dadurch sicher nicht besser…

Am ärgerlichsten an dem Ganzen finde ich die Euphemismen, mit denen das alles umgeben wird.
"Sie brauchen erst in zwei Wochen zum Nachschauen wiederzukommen" heißt im Klartext: "Sie dürfen sich vorher nicht hier blicken lassen, sehen Sie zu, wie sie die Zeit bis dahin überbrücken und alleine alles hinkriegen."
"Sie dürfen am selben Tag noch nach Hause" bei den immer häufiger angewendeten ambulanten Eingriffen – was wurde früher schon ambulant durchgeführt? Nur das, was hinterher wenig Versorgung nötig hatte und unkompliziert war – bedeutet: "Sieh zu, wie du dich rettest. Wir helfen dir nur im allerschlimmsten Notfall. Wir haben unser Teil getan, nun sieh du zu, wie du über die Runden kommst."

Angeblich – das gehört auch zum Narrativ – heilt man besser in häuslicher Umgebung. Ich habe da so meine auf Erfahrung  begründeten Zweifel. O.K., man ist zuhause, von den 'eigenen' Bakterien und Viren umgeben. Vom vertrauten Staub und von den vertrauten Waschmittelresten in Wäsche und Bettwäsche. Man liegt im eigenen Bett. Das aber nicht verstellbar ist und dessen Matratze eventuell nicht gut für die gewünschte Lagerung geeignet ist. "Patient darf zwei Wochen nicht auf dem Rücken liegen" – wie kriegt man es ohne die richtigen Hilfsmittel hin, dass 'Patient' sich nachts im Schlaf nicht auf den Rücken dreht? Auf dem Rücken liegen gefährdet den Behandlungserfolg…

Ich zweifle daran, dass das Vertraute Zuhausegefühl die nicht vorhandene professionelle Betreuung aufwiegt. Dass es die Unsicherheit vor allem in den Nächten aufwiegt. Den ständigen Stress, ob alles auch tatsächlich so gut verläuft, wie es den Anschein hat. Und noch mehr Stress, wenn etwas nicht so läuft, wie es sein sollte.

Ich bleibe dabei, dass dies 'zuhause genest man besser' eine hübsche Geschichte ist, um die Sparmaßnahmen zu camouflieren. Im Grunde geht es darum Kosten zu sparen bzw. personalaufwendige Pflege, die keine zusätzlichen Einnahmen generiert, nicht mehr liefern zu wollen.

Dieser Gesellschaft sind die Menschen nichts wert.
Es zählt nur der Gewinn, der zum Schluss für die Kapitalgeber – wer immer das sei – übrig bleibt.

Und so steht man sowohl als Genesender als auch als Angehörige mehr oder weniger allein vor einer Riesenaufgabe, für deren Bewältigung man keinerlei Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Man ist konstant gezwungen zu improvisieren und Lösungen zu finden, weil einem sowohl Fachkenntnisse als auch die richtigen Hilfsmittel und Materialien fehlen. Man erfindet ständig das Rad neu, während professionelle Kräfte mit einem Blick wüssten, was auf welche Weise zu tun ist bzw. wie die Lage ist.

Was für eine Schande, dass in den höchstentwickelten Regionen dieser Welt Genesende wieder auf dieselbe Weise versorgt werden müssen wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zwar sind die Arzneimittel besser, die Techniken der Ärzte ausgefeilter und ist die Medizintechnik in den Kliniken weiter entwickelt. Aber die heutzutage aufgezwungene Pflege durch ungeschulte Menschen der häuslichen Umgebung ist vielleicht sogar schlechter als damals. In der Vergangenheit hatten nämlich wenigstens die meisten Mädchen irgendwann gelernt, wie man Kranke versorgt.
Vielleicht sollte man  häusliche Krankenpflege als Schulfach in der 9. oder 10. Klasse unterrichten.

"Du vertraust zu wenig auf die außerordentlichen Selbstheilungskräfte des Körpers!" – höre ich Freunde und meine innere Stimme sagen. "Zu wenig auf die Unterstützung aus der eigenen, inneren Kraft und Heilkraft, die unendlich ist und immer anwesend."

 

 

 

 

 

Das muss ich dann mal lernen.

2 Kommentare:

  1. Das, was wir momentan erleben, sind eben die Früchte der Sparsamkeits- und Privatisierungssaat. So sehr die Menschen über die C-Phase schimpfen wegen all den Auswirkungen, so könnten sie, so sie wollten, auch dankbar sein, dass dies so deutlich auf den Tisch kommt.
    Würde man so vermessen sein, die C-Phase als Geschenk zu bezeichnen, wäre man sicher unmittelbar fest verankert in der "Querdenker 2.0 - Schublade" :-)

    AntwortenLöschen
  2. Ich gebe dir Recht, es ist erschreckend. Ich erlebte es 2019 in einer Reha-Klinik. Neue Knie - Gelenke, Hueften ersetzt,nach 5 Tagen nach der OP in die Klinik gebracht,in halsbrecherischen Krankentransporten, mit mehreren Patienten in einem Fahrzeug!Die Kotztuete war selbstverständlich. Nach der Fahrt!!!
    Aufgabe der Reha war es dann, in nur 19 Tagen die Leute zu mobilisieren. Keine Chance auf Verlängerung.

    AntwortenLöschen