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Montag, 2. August 2021

Gefühlschaos

Ich bin zutiefst erschrocken. Und tieftraurig. Aus den Nachrichten heute Morgen erfuhr ich, dass gestern in Berlin ein 49jähriger Teilnehmer an den Demonstrationen für Frieden, Freiheit und Demokratie im Zusammenhang mit Polizeigewalt ums Leben gekommen ist. Im Rahmen mit einer Identitätsprüfung und Festnahme – so die Polizei – sei er kollabiert und später im Krankenhaus gestorben. Videos von Zeugen lassen sehen, wie enorm gewalttätig diese polizeilichen Handlungen waren.

Erinnerungen kommen hoch an den 2. Juni 1967, an dem Benno Ohnesorg durch einen Polizisten erschossen wurde. Damals demonstrierten Studenten in Berlin gegen den Besuch des Schah von Persion in Deutschland. An den 28. September 1985, an dem Günter Saré während der Demonstration gegen eine NPD-Versammlung im Bürgerhaus mitten im tradtionell "roten" Stadteil Gallus von einem Wasserwerfer überrollt wird und stirbt.

Mir wird kalt. Sehr kalt.

Später am heutigen Tag schreibe ich das Datum – 2.8.21 – und mir wird bewusst, dass heute unsere Mutter 100. Jahre alt geworden wäre. Voll innerer Wärme erinnere ich mich an diese wunderbare Frau, lieb, warm, mitfühlend. "Ein scheues Reh" sagte sie manchmal über sich. Ganz sicher war sie eine Hochsensible. Und hat – mit einer Jugend in den 20er und 30er Jahren, mit Jungerwachsensein im Krieg, mit den Erfordernissen der Nachkriegszeit, des Wiederaufbaus, der Familienphase in den 50ern bis 70ern und allem was dann noch folgte -  unter den Härten der Welt und mancher Härte des Lebens gelitten. Auch mit mir hat sie es oft nicht leicht gehabt. Wir haben es nicht leicht mit einander gehabt. Inzwischen kann ich ihr uneingeschränkt dankbar sein für alles, das sie mir mitgegeben hat, das sie in mir zum Klingen gebracht hat, das zu entwickeln sie mir auf die eine oder andere Art geholfen hat. Sie liebte Seerosen und Sonnenblumen. Weder das eine noch das andere kann ich ihr ans Grab in Frankfurt bringen. Meine Schwester in diesem Jahr auch nicht, sie ist gerade weit weg von Frankfurt.

"Aber in unseren Gedanken und in unseren Herzen ist sie ja immer bei uns", schreibt meine Schwester mir in einer Nachricht. Später auf meinem Spaziergang durchs Pärkchen hinterm Haus werde ich besonders bewusst zu den Seerosen im Teich schauen und einen gedanklichen Lichtstrahl nach oben schicken.

Ein gewaltiges Auf und Ab der Gefühle. Die aktuelle Situation mit all ihren erschreckenden Facetten; Kindheitserinnerungen, Trauer, Glück, Dankbarkeit; Grübeleien darüber, wie wohl alles werden wird.

Ich will nicht schon wieder den guten Münchhausen bemühen. Aber irgendwie muss ich raus aus dem Chaos.

Vor ein paar Tagen hatte ich das Buch mit Channelings von Christiane Zimmer "Engel Emanuel" in einem hilflosen Moment einfach 'irgendwo' aufgeschlagen und war beim Abendvortrag über Optimismus und Pessimismus bzw. Vertrauen gelandet. O.k. dachte ich – Treffer! Allzu leicht bin ich in den letzten Monaten geneigt, pessimistisch nach draußen zu schauen, durchgeschüttelt von den widerstreitenden Gedanken und Empfindungen, die eine in dieser C-Situation immer wieder heimsuchen.

Jene Seiten*) schlage ich jetzt wieder auf.

Der Pessimist "glaubt nicht mehr an die Fülle des Lebens (…), " lese ich, "Er hat das Vertrauen in den Lebensfluss verloren. Aber Vertrauen in den Lebensfluss ist ja wiederzugewinnen, wenn die Bereitschaft des Herzens ist." Auch der Optimist muss mit den Fährnissen des Lebens umgehen, aber "er lebt nicht die Bereitschaft, sich von ihnen vernichten zu lassen. Er hat die Kraft, sie hinter sich zu entlassen und interessiert und aufgeschlossen den Weg weiter zu gehen."

Emanuel ruft Pessimistische auf, in ihrer inneren Sackgasse umzukehren, eine andere Entscheidung zu treffen, nämlich die, das Vertrauen in den Lebensfluss zurück zu gewinnen. Hilfreich dabei ist es, wenn " all diese Hindernisse und Behinderungen und Enttäuschungen und Frustrationen des Lebens akzeptiert werden." Man sich gedanklich etwa so einstellt: "ich habe akzeptiert, es fällt mir noch schwer, mich mit der Situation, mich mit den Situationen auszusöhnen, aber ich bin grundsätzlich bereit."

Auch wenn man noch weit von dem fröhlichen Herz entfernt ist, mit dem der Optimist durchs Leben geht – es gibt Hilfen, die jemand sich selbst geben kann, um aus der dunklen Sackgasse herauszukommen. Das Wunderbare ist, dass wir auch über den Körper den inneren Zustand, die Psyche beeinflussen können. Oder, wie Emanuel es sagt: "Der Körper ist Ausdruck (…) göttlicher Liebe, und darum ist er bereit, auch ohne die erfreuliche oder kuriose Situation, die in ein Lächeln oder Lachen führt [welches Freude ins gesamte System bringt, Anm. d.V.] zu helfen, nämlich: Wenn ihr beginnt, euch zuzulächeln, euch an etwas erinnert, was liebenswert war in eurem Leben, was gut war in eurem Leben. (…)wenn ihr die Bereitschaft lebt euch zuzulächeln, es kann ein inneres Lächeln sein, dann fühlt ihr plötzlich, wie ds Herze ganz leicht wird, wie das Herze fröhlich wird, und wie ihr in eine Heiterkeit (…) geht und damit in eine Gelassenheit, die das Vertrauen in das Leben fördert."

So gesehen kam die Erinnerung an meine Mutter zum genau richtigen Zeitpunkt und hat mir mit ihrer liebevollen Wärme die innere Kälte aus der Schreckensnachricht vertrieben.

Weiter Emanuel über eine weitere "ganz wunderbare Hilfe auf diesem mühsamen Weg aus der Sackgasse heraus (…):Wenn ihr euch einmal in Ruhe hinsetzt, in die Vergangenheit geht und euch erinnert, wo ihr euren Einsatz gelebt habt, und es ging gut aus, es fügte sich nach eurem Wünschen und Wollen, wo ihr euren Erfolg erfahren habt und damit eure Möglichkeiten." Diese Erinnerung soll helfen "dass ihr in euren Selbstwert zurückfindet, in euer Selbstvertrauen und in eure Selbstachtung. Und wenn ihr wieder in dieser Dreifaltigkeit steht, dann werdet ihr zu den Entscheidern. Ihr werdet nicht mehr von anderen entschieden. (…) Habt den Mut, stärker an euch zu glauben. Ihr steht in einer Zeit, wo die Angst durch euer Land geht [geschrieben vor 2007!].(…) Die Angst hat noch eine Funktion außer euch zu warnen, zu prüfen, euch nachdenklich zu machen: Die Angst fordert heraus, sie zu überwinden, also in euren Mut und in eure Kraft zu gehen, und zu sagen: Ich probiere es aus, ich will es wissen! (…)

"Schöpft euer Potential aus, (…) seid bereit, aus der Enge herauszugehen, aus der Herzensenge, aus der Sackgasse auf den Weg der Freiheit und des Lichtes!"

Hat geklappt. Schon allein dadurch, dass ich es wiedergelesen habe. Ich fühle mich ermutigt, stehe wieder sicherer auf meinen Füßen. Bin einmal mehr raus aus dem Sumpf. Und dankbar.

 

*) Christiane Zimmer, Engel Emanuel, Liebe löst jedes Leid, Grasmück-Verlag Altenstadt 2007, S. 206ff

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