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Montag, 6. September 2021

"Papa, Du hattest recht"

Dieser Gedanke kam mir vor einiger Zeit in den Sinn. Und aktuell wieder. Häufiger gehen mir dieser Tage Szenen aus meinen jungerwachsenen Jahren durch den Kopf. Damals hatte ich hitzige Diskussionen mit meinem Vater.

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 Ich träumte von einem selbstbestimmten Leben freier Menschen in einem System von Ordnung ohne Herrschaft. Wie so viele meiner Generationsgenossen. Aus diesen Träumen heraus entstanden viele Initiativen, vom Kinderladen über Bio-Läden bis zum Hüttendorf der Menschen, die sich in ihrer Region gegen den Ausbau des Flughafens wehrten.

Manche der Aktiven waren echte Linke. Die meisten aber waren sich zwar einig in der Einschätzung, dass die damals gegenwärtige Ordnung verbesserungsbedürftig in Richtung Freiheit und Mit-Menschen-Zentriertheit war, waren aber sonst in einem breiten Spektrum politischer Meinungen abseits des Konservativen zuhause. Von der herrschenden Politik und vielen Medien wurden sie alle als "links" etikettiert, und ähnlich wie Homosexuelle, die sich selbstbewusst als 'schwul' bezeichnen, übernahmen sie dieses Etikett mit Selbstbewusstsein für sich selbst. "Links" zu sein war in jenen Jahren nach dem konservativen Muff der 50er und frühen 60er Jahre so ziemlich das schlimmste Schimpfwort, die ärgste Kategorisierung, die Menschen in politischem Zusammenhang von der veröffentlichten Meinung übergestülpt werden konnte. Der Pfarrer, der im Hüttendorf Gottesdienste hielt, die Hausfrau, die für die Bewohner Kuchen buk, waren so zu Unterstützern von "radikalen Linken" geworden.

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Mein Vater versuchte damals vehement, mich von der Unmöglichkeit unserer Träume zu überzeugen. "Das funktioniert nicht", argumentierte er. "Sobald diese heutigen Träumer an die Macht kommen, werden sie ihre Träume vergessen und genauso gewöhnliche Politiker werden wie die heutigen Politiker, gegen die Du so schimpfst, die Du so kritisierst."

Ich hielt genauso vehement dagegen. Niemals würde das passieren. Dies wären alles aufrechte Menschen, die ihre Vision ernst meinen und danach streben und immer danach streben werden, eine freiheitliche, menschen- und ökologiefreundliche Lebensform für alle zu verwirklichen.

Heute sind Menschen meiner Generation und deren Kinder am Ruder. Leider hatte er recht.

Mehr als einmal sehne ich mich aktuell zurück nach der damals anwesenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung. In der immerhin ein Willy Brandt noch als Regierungsprogramm verkünden durfte: "Wir.wollen.mehr.Demokratie.wagen!"
Damals durften die 'Linken' wenigstens noch experimentieren. Ihre Kinder durften in die Kinderläden gehen, Eltern durften Schulinitiativen errichten und freie Pädagogik praktizieren, ohne dass das Jugendamt eingeschritten wäre.
Wenn Geld gesammelt wurde, um den Bewohnern des Hüttendorfs oder Anti-AKW-Widerstandscamps zu helfen, gab es Unternehmen, die das als Bezahlung akzeptierten und ihre Dienste erbrachten, ihre Waren lieferten.

Heute ist das alles anders.

"Links" ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. "Die Grünen", einstmals Garant für Alternative und Widerstand, sind mehrheitsfähig geworden und haben sich im Parlament zu Ja-Sagern entwickelt. An ihrer Spitze steht als "Kanzlerkandidatin" eine Frau, die ideologisch in der Nähe des World Economic Forum angesiedelt ist und zu den von diesem ausgebildeten "Young Global Leaders" gehört. Die andere Hälfte der Spitze erdreistete sich in einem Interview mit dem ZDF bereits im Jahr 2018, den chinesischen Weg - ein System ohne Opposition und Mitbestimmung - gut zu heißen, ihn zumindest effizient zu finden.

Bei den politischen Schimpfwörtern wurde "links" durch "rechts" und "Querdenker" ersetzt.
Und die Gesinnungskontrolle schlägt unbarmherzig zu.

Als Beispiel ist mir noch lebendig in Erinnerung, was Mitte Juli den spontanen Katastrophenhelfern im Ahrtal passiert ist. Menschen, die ins Katastrophengebiet gefahren waren, um zu helfen, Menschen, die tagelang im Schlamm wateten, denen es gelang, dort wo alles darniederlag, in no time eine Hilfsinfrastruktur aufzubauen und die geschädigte Bevölkerung mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, wurden als "Rechte" und "Querdenker" diffamiert und durch offizielle Stellen behindert bei ihren Hilfsarbeiten. Und später vertrieben, wobei das von ihnen mit bundesweiten Sachspenden zusammengetragene, beeindruckende Lager mit allem, was die betroffenen Menschen brauchten – vom Klopapier über Trinkwasser bis zu Lebensmitteln – von denen, die die Helfer 'räumten', vernichtet wurde.

Unternehmen, die Hilfs-Güter wie z.B. Dixi-WCs vermieten, weigerten sich, dies zu tun, wenn es mit den unabhängig eingesammelten Spendengeldern bezahlt werden sollte. Weil es angeblich Geld von "Rechten" und "Querdenkern" sei.

Einer Initiative von (Trauma)Therapeuten und Pädagogen, die Kindern einen konfliktfreien Raum zur Entspannung von den Nöten der vergangenen Tage boten sowie den Eltern die Gewissheit, dass für ihre Kleinen gut gesorgt war, während sie selbst weiterhin Schutt und Trümmer aufräumten, wurde vom Jugendamt untersagt, diese Hilfe zu leisten. Sie seien "rechts", "Coronaleugner", "Querdenker". (Kurios, wenn ich an  einige der betreffenden Psychologen zurückdenke, die ich in einem Interview gesehen habe: Sie sehen aus wie die Spontis von damals, das anti-autoritäre, freiheitsliebende, selbst-stärkende strahlt von ihnen ab wie Licht und Wärme von der Sonne. Menschen, die Ruhe, Stärke, Geborgenheit vermitteln können - Qualitäten, die die Kinder im betroffenen Gebiet wirklich hätten gebrauchen können.)

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Anstatt jede helfende Hand zu begrüßen; anstatt sich zu freuen, dass es Menschen gelungen ist, aus dem Nichts eine funktionierende Hilfs-Infrastruktur aufzubauen, basiert auf Schwarmintelligenz und den Möglichkeiten, die entstehen, wenn alle an einem Strang ziehen und aus Betroffenheit und Mitmenschlichkeit heraus aktiv werden; anstatt mit ihnen zusammen zu arbeiten, wurde gegen diese Menschen Stimmung gemacht. "Rechte" seien es, "Querdenker", "Coronaleugner", die nur hülfen, um ihre Ideologie unters Volk zu bringen, die Hilfsbedürftigkeit der Flutopfer auszunutzen.

Noch heute bin ich vor den Kopf gestoßen vor der menschenverachtenden Ungeheuerlichkeit dieses pauschalen Vorwurfs, und jetzt, wo ich das aufschreibe, wird mir regelrecht schlecht.

Hier haben zuallererst und vor allem Menschen, die berührt von dem waren, was Mitmenschen in einer anderen Region der Republik geschehen war, die Ärmel hochgekrempelt und angepackt. Und sie haben in kurzer Zeit Großes geleistet.

Vielleicht, oder wahrscheinlich waren unter den Helfenden auch politisch rechts stehende Menschen.*) Wie damals eben Anarchos und Spontis im Hüttendorf mit dabei waren, um die ortsansässige Bevölkerung in ihrem Widerstand gegen die neue Startbahn und die Zunahme des Fluglärms zu unterstützen. Aber die aller-allermeisten Helfer im Ahrtal waren einfach Mit-Menschen, die tatkräftig zupackten und halfen.

Es erschüttert mich zutiefst, dass heutzutage in Deutschland sogar Nothilfe, tatkräftige Katastrophenhilfe nur noch mit der richtigen Gesinnung erlaubt ist.

Trotz allem – persönlich bin ich weiterhin davon überzeugt, dass die Menschen im Kern gut sind, einander lieben und helfen wollen.
Davon lasse ich mich nicht abbringen.


 

 

Wer dazu etwas lesen will, dem kann ich Bücher von Gerald Hüther ans Herz legen: "Würde", "Wege aus der Angst", "Lieblosigkeit macht krank".
Oder von Rutger Bregman "Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit."
Für mehr Information dazu auf die abgebildeten Buchtitel klicken.

 

 

 *) Aktuell liegen die Umfragewerte für die AfD bei ca 12%, d.h. ungefähr jeder 8. Erwachsene stimmt blau. Übrigens - ebenfalls jeder 8. stimmt für die FDP. Und ca. jeder 14. für Die Linke sowie ca. jeder 6. für Bündnis 90/Grüne. Quelle: https://www.bundestagswahl-2021.de/umfragen/
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