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Freitag, 10. Juli 2020

Atmosphärisches

.... sorry, wieder einen Tag zu spät...

Zeil bei Wiedereröffnung der Kaufhäuser




Nach beinahe vier Wochen in meiner Heimatstadt wird mir immer wieder neu und immer deutlicher bewusst, was mir gleich am Anfang aufgefallen war: das Klima auf den Straßen und zwischen den Menschen hat sich verändert.
 
Viele Freizeitbeschäftigungen sind nach draußen verlegt, darauf bin ich schon eingegangen. Das ist wirklich etwas Schönes, und das bringt atmosphärisch einen Ausgleich.

Afterwork open air freitags am Friedberger Platz
vor Corona
Aber es ist auch viel, sehr viel verlorengegangen. 
Apfelweinwirtschaft in Sachsenhausen
vor Corona










Im Grunde das meiste von dem, was man urbanes Leben nennen könnte.

Viele, vor allem kleinere Restaurants, auch mit Garten, funktionieren noch immer auf Sparflamme. Mein Lieblings-Grieche 'um die Ecke' hat bei sehr stark ausgedünnter Karte auf einen Imbisswagen umgestellt und nur den (verglichen mit den Gasträumen vier bis fünf Mal größeren) Garten geöffnet. So spart er Personal und kann den verpflichteten Abstand zwischen den Gästen gewährleisten.
Dort, wo geöffnet ist, verpesten die Masken die Atmosphäre. Wer im Wirtshausgarten sitzt, braucht zwar selbst keine Gesichtsverhüllung mehr. Das Service-Personal schon – wobei ich auch schon einen Kellner mit rutschender Maske erlebt habe, der alle eineinhalb Minuten das Teil wieder hochschieben musste, wobei er es immer oberhalb der Nasenspitze anfasste. Hygienisch ist anders.

Mit anderen Worten: einfach abends irgendwohin Essen und Was-Trinken fällt schon mal aus.

Wasserhäuschen im Normalbetrieb vor Corona
Übrigens, warum sind eigentlich alle Büdchen, offiziell auch "Trinkhallen", hier liebevoll "Wasserhäuschen" genannt, geschlossen? Vielleicht, weil in deren Umgebung immer ein paar Männer mit Bierflaschen in der Hand bei einander stehen? Zwischendurch unterwegs was naschen oder nach Ladenschluss noch schnell eine Kleinigkeit kaufen - auch vorbei.


In U-Bahnen und Bussen sind die Menschen noch vereinzelter als normalerweise schon. Es wird kaum geredet, und komischerweise auch weniger auf die Handys geguckt. Jede/r sitzt mit maskiertem Gesicht in eine Art Rückzugsblase gehüllt, guckt mehr oder weniger verkniffen oder ängstlich hinter der Maske hervor. Gerne zum Fenster hinaus. Oder starrt ins Leere vor sich hin. Die Atmosphäre fühlt sich unlebendig, angespannt und künstlich an.

Onkel Otto, das Werbemaskottchen des
Hessischen Rundfunks, sieht auch nicht
glücklich aus, sogenannt coronatauglich...

Angespannt und künstlich, kontaminiert mit herumwabernder Ängstlichkeit, ist auch die Atmosphäre im Straßenbild. Jedenfalls hier, außerhalb des Stadtzentrums. Auch hier betragen sich die Menschen viel isolierter als sonst. Das Isolierte bekommt oft zusätzlich einen angstbesetzt-feindseligen Charakter: jede/r könnte ja eine Bedrohung für die eigene Gesundheit sein. Ein wunderbares Beispiel: gestern passierte ich mit dem Rad einen Mann, der seinen Vorgarten wässerte. Ich auf der Straße, er mindestens 10 m entfernt vorm Haus. Genau im Moment des Vorbeiradelns schneuzte ich in mein Taschentuch. Wenn Blicke töten könnten…

Auch beim schönsten Wetter huschen oder schleichen viele durch die Straßen, den allgegenwärtigen Stoff-oder-Spezialfilterpapierlappen um den Hals, am Ohr baumelnd, in der Hand schwingend, oder vorm Gesicht. Am schmerzlichsten sind mir die (meist älteren bis alten) Menschen, die grundsätzlich nur mit Einmalhandschuhen und aufgesetzter Maske das Haus verlassen. Auch bei 30° draußen. 
Von ihnen strahlt die Angst in alle Richtungen ab. 
Bericht aus dem April: Es gibt keine Gefahr,
jemandenbeim Einkaufen zu infizieren
Das Schlimmste ist, sie haben zweierlei nicht begriffen. Nämlich, dass diese "Alltagsmasken" ja sie selbst überhaupt nicht schützen und sicher in der freien Luft völlig überflüssig sind, und dass Schmierinfektion als Übertragungsweg eine absolut untergeordnete Rolle spielt. Dazu kommt, dass Einmalhandschuhe in dieser Situation wahre Keimschleudern sind. Gute Handhygiene (Händewaschen) ist vollkommen ausreichend und sowieso nie verkehrt.

Deutliche Ausnahme in all dem sind oft (meist männliche) Jungerwachsene, die untereinander in einer mediterranen Sprache kommunizieren. Im 'Halal'-Grill – Neuerscheinung in unserem Stadtviertel – ist es am Abend proppenvoll und lebendig. Fröhlich schwatzend und unmaskiert steht man aufs Essen wartend bei einander am Tresen und im Gastraum. Auch andernorts, auf der Straße, in Parks, sitzen oder stehen sie und unbeeindruckt zusammen oder gehen gemeinsam spazieren.

Ein paar Ladenlokale neben dem Grillrestaurant hat der indische Mini-Laden oben auf der Langnese-Eis-Preistafel einen handgeschriebenen Zettel stehen: Masken 1 Stück 1,79 EUR. 500 m weiter beim Schlüsseldienst: "Einwegmasken 2,00 EUR das Stück".

Vor der Bank (Geldautomat, Auszüge drucken) steht eine meterlange Schlange von bereits im Freien Mund-Nasen-Geschützten im 1,5 m Abstand. Nebenan vor dem Gemüsegeschäft, das ein langer Schlauch ist, das gleiche Bild. Hier können maximal 2 Kunden gleichzeitig drinnen bedient werden, aber die zahlreich anwesenden Verkäufer kommen auch nach draußen und bedienen die Vordersten in der Reihe dort.

Was ich so vermisse, ist die normale Lebendigkeit des Großstadtlebens. Selbst das allgemeine Lebenstempo scheint bei den Normalpassanten gedämpft. 
Wie überhaupt alles gedämpft ist. Trotz Hochsommer.
Wo ist die Lebensfreude der Menschen geblieben?

Die Allgegenwart der Mundschutze erinnert jede und jeden fortwährend an die ständig beschworene Bedrohung. Obwohl bei der jetzigen Zahlenlage die Wahrscheinlichkeit, jemandem mit dem C-Virus zu begegnen, kleiner ist, als 5 Richtige mit Zusatzzahl im Lotto zu haben.

Wenn ich nicht aufpasse, dann zieht es mich hinein in die Trauer um das verlorene urbane Leben, um die verlorene großstädtische Lebenslust. Dann steckt mich die allgemeine Stimmung an. Das kann, je nachdem, der furchtsame Grauschleier sein, der über allem liegt. Oder – vor allem bei 35-50-Jährigen – eine egozentrische Gereiztheit gegen alle, die nicht so funktionieren, wie sie sich das vorstellen.

Und so stupst auch hier wieder die C-Virus-Krise mich mit der Nase auf das, was zu lernen ist. 
Wie ja schon von Anfang an:
Lebe im Moment.
Mach dich unabhängig von allgemeinen Stimmungen und Ausstrahlungen.
Sei Du selbst.


1 Kommentar:

  1. Bei diesem Eintrag dachte ich an einen Artikel in der SZ Online "Maskendrama", der unter anderem die Kritik an WHO und RKI zu deren anfänglicher Haltung bezüglich der Masken zum Inhalt hatte, verbunden mit einem Vorwurf, hätte man die Pflicht früher eingeführt, würde noch viele Menschen mehr am Leben sein.
    An reißerische Überschriften bin ich inzwischen im Netz gewohnt. Beim weiteren Lesen dacht ich mir, ich bin irgendwie im falschen Film. Da wurden Untersuchungen angeführt, das Beispiel Jena mit früherer Maskenpflicht und weitere Hinweise von Menschen, die damit zu tun haben und wohl die Glaubwürdigkeit untermauern sollen; nur fand ich nichts definitiv überzeugendes. Das gab ein ungutes Gefühl im Bauch.

    Ich frage mich dann, was passiert mit Menschen, die permanent in eine bestimmte Richtung informiert werden?
    In Familien kanns vorkommen, das Mitglieder an ihrer eigenen Wahrnehmung zu zweifeln beginnen und schlimmstenfalls den Status "Ver-rückt-Sein" annehmen, oder sie geben dem Druck nach und nehmen die Wirklichkeit der anderen an. Vater, Mutter, Opa, Oma oder Freude werden ersetzt durch: "die haben geschrieben", "der Arzt hat gesagt", "in faisbuk war zu lesen" oder "meine APP zeigte mir an".

    Bedeutet, viele geben Verantwortung ab und im Land der Denker und Dichter verliert das Denken an Stellenwert.
    Man könnte beispielsweise ja auch fragen:

    "Sind diese Untersuchungen vergleichbar?
    Wieso sind denn in den Niederlanden die Werte nicht wesentlich höher - unter Berücksichtigung des Größenverhältnisses -, wo's doch dort keine Maskenpflicht gibt?
    Sind die Rückgänge der Infektionszahlen vielleicht auf andere veränderten Umstände zurückzuführen bzw. wurde das berücksichtigt?
    Was soll das für einen Sinn haben sich gegen Grippe zu impfen, wenn Maskenpflicht besteht?
    Werden die kommenden Grippetoten dazu instrumentalisiert, um die inzwischen gebetsmühlenhafte 2.te Welle auszurufen bzw. wie sehen da Abgrenzungslinien aus?
    Wenns wirklich so ist, dass Antikörper keine Garantie auf Immunität gewähren, sollte man sich nicht besser andere Vorgehensweisen überlegen bzw. welche Lebens- und Gesellschaftsentwürfe bieten Lösungen, um mit möglicherweise dauerhaften Covid umgehen zu können?" usw.

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