Ein sehr lieber
Freund, mit dem ich seit Jahrzehnten tief und herzlich verbunden bin, musste
sich vor etwa einem Monat einer schweren, orthopädischen Operation unterziehen.
Die Klinik war von sich aus auf ihn zugekommen: sie könnten die schon lange
geplante OP jetzt durchführen. Chirurgische und pflegerische Kapazität sowie Betten seien ausreichend vorhanden.
Am Tag nach dem
Eingriff hatten wir kurz Kontakt – es ging ihm einigermaßen gut, Nachwirkungen
von der Narkose vor allem – und zwei Tage später noch einmal. So weit o.k. Dabei wurden wir
unterbrochen, weil der Physiotherapeut ins Zimmer kam.
Seitdem war
Funkstille. Ein paar Nachfragen, wie es ihm gehe, blieben unbeantwortet.
Ich
begann, mir wirklich Sorgen zu machen.
Gestern, nach
einer weiteren, dringlich formulierten Frage nach seinem Befinden, bekam ich
eine halbe Stunde nach Mitternacht, eine Antwort.
Es geht ihm in
der Tat richtig mies.
Aber nicht
aufgrund seiner Operation.
Sein Bruder, mit
dem er ein enges, seelisches Band hat(te), lag schwerkrank in einem
Krankenhaus. (Nein, kein COVID19!) Es war deutlich, dass er sich in der
letzten Phase seines Lebens befand und es war abzusehen, dass er bald sterben würde.
Mein Freund hatte
auf alle erdenklichen Arten und Weisen versucht, vom Krankenhaus die
Erlaubnis zu bekommen, seinen Bruder besuchen zu dürfen.
"Mit und ohne
Anwalt", wie er mir schrieb.
Und dieser Freund ist kreativ und hat schon
die unmöglichsten Dinge in seinem Leben hinbekommen bzw. für andere Menschen
erfochten!
Der Bruder
hatte intensiv nach ihm verlangt und, als es ihm wirklich schlecht ging, immer wieder nach ihm
gerufen.
Er bekam keine
Besuchserlaubnis.
"Wegen
Corona."
Am Samstag, in
den frühen Abendstunden starb der Bruder. Allein.
Ich frage mich
wirklich, was das für Menschen sind, die einem Sterbenden im Angesicht seiner
seelischen Not den dringend benötigten Seelentrost verwehren. Die einem Sterbenden, der inbrünstig nach seinem Lieblingsbruder
ruft, der erreichbar ist und kommen will, diese Begegnung und Begleitung verwehren.
Was sind das für
Ärzte?
Was für Schwestern
und Pfleger?
Was sind das für Menschen, die die
Einhaltung unsinniger Regeln höher stellen als die Sorge für die ihnen
anvertrauten Leidenden ?!?
Was geht in
solchen perfekt im System der Maschinenmedizin funktionierenden Menschen vor?
Wie können sie so
hart-herzig sein angesichts der tiefen, tiefen Not ihrer Patienten?
Können diese
Ärzte, können diese Pfleger, können diese Schwestern sich selbst noch im
Spiegel ins Gesicht sehen, in die Augen schauen? *)
Dies alles geht nun
schon Monate so, und es sind unzählige Menschen in vergleichbarer, unfassbarer seelischer
Not den aller-aller-letzten Weg ihres Lebens gegangen.
Allein gelassen.
Vollkommen allein
gelassen.
Es ist schon
(zig)tausendmal gesagt und geschrieben worden: Was hat es für einen Sinn,
jemanden, der im Sterben liegt, noch vor der eventuellen, und in der momentan aktuellen
Situation sehr, sehr unwahrscheinlichen Ansteckung mit Corona schützen zu wollen?
Ach so, die
Besucher könnten Schwestern, Pfleger, Ärzte und andere Patienten gefährden?
Wenn doch Masken
so gut "die anderen" schützen (darum, wird gesagt, sind sie ja an immer mehr Orten und bei immer mehr Gelegenheiten in Deutschland verpflichtet) – dann könnten die Besucher des
Sterbenden doch ausgestattet mit den noch viel sichereren Masken der Klinik sich durchs
Krankenhaus bewegen, bis sie im Zimmer der betreffenden Person angekommen sind!
Mein Feund wird
wahrscheinlich noch monatelang an dem Erlebten knabbern: dass er den
inniggeliebten Bruder nicht begleiten durfte. Ihm nicht beistehen durfte. Sich
nicht von ihm verabschieden durfte. Er muss nun mit dem Bewusstsein leben, dass
diesem geliebten Menschen ein menschenwürdiger Weg aus dem Leben verwehrt,
weggenommen wurde.
Und damit, dass
kein Weg, auch kein Rechtsweg in unserem demokratischen Rechtsstaat das
Personal des Krankenhauses zu menschenwürdigem Verhalten bringen konnte.
Ich kann nur
hoffen, dass seine Frau, wenn auch selbst mit zerbrechlicher Gesundheit, es
schafft, ihn gut aufzufangen und in diesen schweren Wochen zu begleiten. Da
auch sie ein sehr liebevoller, warmherziger Mensch ist, habe ich da eine
gewisse Zuversicht.
*) Ich kann mir nicht helfen, dies lässt
mich unweigerlich an andere historische Situationen in der deutschen Geschichte
denken, in denen die Bevölkerung massenhaft mitgemacht hat, weil: "Befehl
ist Befehl".
In diesem heutigen Fall geht es nicht einmal um Befehle, sondern 'nur'
um Anweisungen, die man nicht befolgen würde, ließe man es zu, dass Sterbende menschenwürdig begleitet werden von denjenigen Menschen, nach denen sie sich sehnen.
Dabei ist sogar beim Militär Befehlsverweigerung (im offiziellen Sprachgebrauch "Gehorsamsverweigerung") straffrei, wenn durch die Ausführung des Befehls
Dabei ist sogar beim Militär Befehlsverweigerung (im offiziellen Sprachgebrauch "Gehorsamsverweigerung") straffrei, wenn durch die Ausführung des Befehls
- die
Menschenwürde verletzt oder
- wenn durch das Befolgen eine Straftat begangen würde (§ 11 SG, § 22 WStG).
Nicht ausgeführt werden darf [Hervorhebung d. Verf.] (§ 11 Abs. 2 SG) ein Befehl, dessen Befolgen selbst eine Straftat oder einen schweren Verstoß gegen den Kerngehalt des Völkerrechts zur Folge hätte.
(Quelle)
- wenn durch das Befolgen eine Straftat begangen würde (§ 11 SG, § 22 WStG).
Nicht ausgeführt werden darf [Hervorhebung d. Verf.] (§ 11 Abs. 2 SG) ein Befehl, dessen Befolgen selbst eine Straftat oder einen schweren Verstoß gegen den Kerngehalt des Völkerrechts zur Folge hätte.
(Quelle)
Die Menschenwürde
wird durch das Ausführen solcher Corona-Regeln auf jeden Fall verletzt
Ob es sich in
diesen Fällen auch um unterlassene Hilfeleistung handelt (es liegt ein
schwerer, seelischer Notfall vor, bei nach ärztlicher Kunst versorgtem Körper),
vermag ich nicht zu beurteilen. Mein Herz sagt: ja liegt vor. Aber Herz und
Juristerei sind zwei paar Schuh.
Und wie das mit dem Kerngehalt des Völkerrechts ist, müsste auch juristisch geprüft werden.
Und wie das mit dem Kerngehalt des Völkerrechts ist, müsste auch juristisch geprüft werden.
Vielleicht sollte man sich auch nur wieder einmal ausführlich mit dem Milgram-Experiment beschäftigen. Man vergisst so leicht, zu was die Menschen in der Lage sind. Wikipedia-Link
J'accuse...
AntwortenLöschendieser Titel von Zola's offenen Brief an den Präsidenten 1898 in der Dreyfus-Affäre fiel mir sofort beim Lesen dieses Blogbeitrags ein.
https://literaturkritik.de/id/6018
So ganz ist die Situation sicher nicht vergleichbar, aber gewisse Grundprinzipien könnte man schon erkennen, so man mag.
Krankenhäuser wie Pflegeheime haben hier in deutschen Landen Hausrecht; bedeutet, sie können bestimmen, was in den entsprechenden Einrichtungen passiert = Machtausübung. Schaut man sich die Internetseiten von den Einrichtungen an, so wird man sicher "nette" Bilder sehen und blumige Worte finden, wie umsorgt die Menschen werden. In obigem Fall, wie auch in vielen anderen, wird dies mit Füßen getreten, was zutiefst unchristlich und Menschenverachtend ist. Man kann über das Milgram-Experiment hinausgehen und an den Geist des dritten Reiches erinnern, so man dem Ganzen noch mehr Schärfe geben möchte. Heute ists eben das Prinzip der Nicht-Ansteckung, dem alles untergeordnet wird seitens den entsprechenden Macht-ausübenden oder Diktatoren. Man kann sich dann schon fragen, ob deren Antwort genauso lauten würde, ginge es um deren Bruder oder einen Menschen, mit dem sie tief verbunden sind.
Die Politik spielt da auch fein mit, nimmt man Altmeiers Worte, dass ein zweiter Lock-down mit aller Macht verhindert werden sollte. Wie das dann zusammen hängen kann, mit der Aussage des deutschen Spanferkelchens, dass täglich 1000 Infektionen gut "wuppbar" sind, weil die entsprechenden Stellen inzwischen über ausreichende Kapazitäten verfügen, steht wohl in den Sternen. Wie dies einzuschätzen ist, kann man sich dann auch fragen angesichts der Tatsache, dass in Meck-Pomm eine Schule geschlossen wurde, weil eine Lehrerin infiziert war, die noch keinen Unterricht gegeben hatte, sondern nur Kontakt mit dem restlichen Lehrkörper hatte: wären dann täglich 1000 Schulschließungen für das Spanferkelchen auch kein Problem? Die Liste mit Unstimmigkeiten lässt sich beliebig fortsetzen.
Eine interessante Parallele gibts noch zu Zola. Er wurde sanktioniert, weil er Dinge sagte, die auf politischer Ebene nicht opportun waren.
Heute ist es ähnlich, wenn Menschen, beispielsweise Anwälte oder Sportler, bestimmte Maßnahmen in Frage stellen oder sich nicht so verhalten, wie allgemein gewünscht.