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Donnerstag, 3. September 2020

Corona-Streitereien



Überall lässt sich beobachten, und zwar in zunehmender Heftigkeit, dass Menschen mit einander in Streit geraten über ihre jeweilige Einstellung zu den Corona-Maßnahmen und zu der ganzen C-Virus-Krise überhaupt.
Was als Gespräch beginnt, endet nicht selten im Zerwürfnis. (Dazu habe ich in den letzten Tagen mehr geschrieben: Freundschaften, Zerrissen, Verstand, Herz und Bauch)
Wie könnte man in Gesprächen über dies Thema anders mit einander umgehen? Welcher Weg kann beschritten werden, um einander zu verstehen?

Was auffällt ist, dass ganz oft beide Beteiligten sehr emotional und felsenfest auf ihrer bereits eingenommenen Haltung, Meinung beharrend reagieren. Sie schleudern einander Argumente an den Kopf im strikten Bemühen, den/die andere auf die eigenen Position zu ziehen.
Was völlig vergessen geht hierbei ist der echte Blick auf die Person, mit der ich im Gespräch bin.
Was bewegt sie eigentlich wirklich, hinter der so vehement verteidigten Position?

Kendra Gettel*) nennt es: auf die Bedürfnisse schauen, die mein/e Gesprächspartner/in durch die verteidigten Maßnahmen und Aktionen zu erfüllen hofft.
"Auf der Bedürfnisebene wird das Gemeinsame, Verbindende deutlich." Ich nehme den/die andere wieder als Mensch, als Person wahr, die sich durch das, was sie so vehement vertritt, verteidigt, etwas Bestimmtes für sich und ihre Lieben erhofft.

Der Giraffenengel bringt Abhilfe, Website von Kendra Gettel

In den beiden Geschichten von Kendra Gettel ist es der Giraffenengel, der den Dialogpartnerinnen den Weg weist in einen solchen Umgang mit der kontrovers erfahrenen Situation weist.
Die beiden Akteurinnen in der Geschichte kommen sich in die Haare über die Frage von Sinn und Nutzen der Maskenpflicht und anderer Maßnahmen sowie darüber, ob es eine gute Idee ist, an Kundgebungen bzw. Demonstrationen gegen die als überzogen empfundenen Maßnahmen teilzunehmen.

Die Frage ist: was treibt die jeweilige Person an, genau ihre Ansicht so vehement zu vertreten? Welches Bedürfnis will sie erfüllt sehen durch entweder die penible Einhaltung der Regeln oder die Abschaffung der Regeln?

Person A möchte die Gesundheit und das Leben von sich und anderen schützen. Es geht also um das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit für sich und andere. Und sie möchte beitragen, mithelfen, dies zu verwirklichen und durch das Befolgen der Regeln ihrer Solidarität Ausdruck verleihen. Also dazu beitragen, dass es anderen gut geht.

Person B möchte mit einbezogen werden in Entscheidungen, die sie selbst massiv betreffen. Und möchte den Freiraum haben, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Sie geht davon aus, dass erwachsene Menschen gut selbst auf sich aufpassen und sich selbst schützen können. Hier geht es ebenfalls um das Bedürfnis nach Schutz, aber selbstbestimmt. Und um das Bedürfnis nach Freiheit und danach, als reife Person ernstgenommen zu werden. Auch sie möchte dazu beitragen, dass es allen gut geht.

Wenn wir auf die Bedürfnisebene beider schauen, ist leicht zu erkennen, dass es deutliche Gemeinsamkeiten gibt:
Beide möchten zum Wohlergehen aller beitragen.
Beide möchten Gesundheit und Wohlbefinden für sich, ihre Umgebung und darüber hinaus.
Beide möchten ihren Teil tun, um dies zu erreichen.

Allerdings haben beide eine völlig andere Vision davon, wie dieses Ziel von möglichst viel Gesundheit und Wohlbefinden für alle zu erreichen ist. So entsteht der Konflikt.

Für eine der beiden Freundinnen liegt ganz selbstverständlich der Weg darin, die Corona-Maßnahmen zu befolgen. Maske tragen, Abstand halten, soziale Kontakte einschränken etc.

Für die andere Freundin ist völlig klar: die ganzen Maßnahmen führen ihrerseits zu ganz viel Stress und Leid. Ihre Wirksamkeit zur Erhaltung von Gesundheit ist unklar. Es entsteht eine Vielzahl von Problemen wirtschaftlicher, psychischer, sozialer, kultureller und eben auch gesundheitlicher Art eben aufgrund der Maßnamen.


Mit anderen Worten:
-        Wenn ich davon ausgehe, dass Masken, Abstand etc. zur Gesunderhaltung beitragen, dann beteilige ich mich natürlich daran.

-        Und wenn ich davon überzeugt bin, dass der durch die Maßnahmen entstehende Schaden den Nutzen bei Weitem überwiegt, versuche ich, auf ihre Abschaffung hinzuwirken.

Und wie kommen wir nun aus dem Dilemma?
Wir schauen erneut auf das, was beide Seiten verbindet.
Wenn beide einander so weit zugehört haben, dass ihnen folgendes bewusst geworden ist: Eigentlich wollen wir beide dasselbe: wir wollen, dass es uns und unseren Lieben, dass es allen gut geht und dass Menschen möglichst lange und bei guter Gesundheit leben, .....

..... dann können sie gemeinsam danach schauen:  welche Strategien möchten wir entwickeln, um die maximale Gesundheit und das maximale Wohlbefinden der Menschen zu fördern?

Was brauchen Menschen, um möglichst lange und gesund zu leben?
Welche Faktoren müssen wir dabei alle berücksichtigen? Körperliche, seelische? Die Umgebung? Den Stresslevel? Besondere belastende Situationen?
Vielleicht würde man weitere Fragen stellen wie:
Wie viel Anteil hat, wenn ich krank werde, der Kontakt mit einem Virus oder Bakterium, und wie viel Anteil hat der Zustand meines eigenen Immunsystems?
Wie kann man das Immunsystem stärken – und was schwächt es?
Wie entwickeln wir ein möglichst wirksames, stimmiges Gesamtkonzept?


Die Frage ist, wie sich hier tatsächlich zu einem Kompromiss kommen lässt. In einem Kommentar zu ihrem Artikel zu genau dieser Frage antwortet Kendra Gettel, und mir gefällt diese Antwort, weil sie phantasievoll einen "Dritten Weg" eröffnet:
"Es muss einen dritten Weg geben, und ich vermute, Politik und Gesellschaft sind im Augenblick paralysiert, weil sie meinen, nur zwei Optionen zu haben: komplette und krasse Maßnahmen für alle oder „Brasilien“.
Ganz banal: Bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr Wagen für Risikogruppen anbieten, in denen es Masken und Abstand gibt, und Wagen ohne, für diejenigen, die gesund sind und gerne mal ihr Immunsystem trainieren.
So wären ja diejenigen sicher, für die das wichtig ist, und diejenigen frei, denen das wiederum wichtig ist. So etwas auf dieser Basis? Lass uns nicht aufgeben. Wir sind kreativ, wir sind intelligent, und es gibt immer Wege, an die noch keiner gedacht hat.
Oder: Homeoffice und Homeschooling ab sofort unkompliziert für alle Risikogruppen möglich. Jeder, der möchte, darf, aber keiner muss.
Es dürfte einfach auf Dauer nicht konstruktiv sein, die ein oder andere Schiene „hardcore“ gegen den Willen eines beachtlichen Anteils der Menschen zu fahren."


*)Wieder einmal habe ich mich heute inspirieren lassen durch Texte, die ich in den letzten Tagen im Internet gefunden habe. In diesem Fall die inspirierenden Anregungen von Kendra Gettel. Manche Formulierungen habe ich von ihr wörtlich übernommen, weil sie es so fantastisch ausdrückt.
Es empfiehlt sich auf jeden Fall, die Geschichten selbst komplett zu lesen. Nicht nur, um das Konzept wirklich zu verstehen. Sie sind auch einfach nett zu lesen und geben ein Stück Optimismus zurück.

1 Kommentar:

  1. Zu diesem Beitrag über Streitereien fiel mir gleich das Gleichnis mit dem Elefanten und den blinden Menschen ein. Hier der Link dazu:

    https://marieluise-noack.de/2019/07/13/konfliktloesung-die-blinden-maenner-und-der-elefant/

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