Vor ein paar Tagen am Morgen. Ich schlage meine Augen auf und blicke durchs Schlafzimmerfernster in einen wolkenlosen, blauen Himmel. Im Tiergehege "Hertenkamp" krähen die Hähne: eine eher piepsig hohe Stimme und ein eher ganz typisches Kükerüküü. Ansonsten ist es still. Wunderbar still. Kein Wind. Keine Autos. Das Gebläse der Saatguttrockenhalteanlage in den Silos hinter der Bahnlinie schweigt. Ein herrlicher Tag nach einer wunderbar erholsamen Nacht!
Wunderbares
Reisewetter auch.
Wie wäre es - nachher buche ich meine Fahrkarte, und
übermorgen fahre ich nach Frankfurt!
Blick aus einem Fenster im Historischen Museum aufs Haus Wertheim |
Meine kleine Wohnung genießen.
Die Stadt genießen.
Ins Historische Museum. Dem Städel einen Besuch abstatten. Beim zauberhaften Weltkulturenmuseum
vorbeischauen.
Vielleicht gibt es demnächst ein Konzert der hr-Bigband im Großen Sendesaal,
den ich von zuhause aus fußläufig erreichen kann. Oder eines der
Telemann-Gesellschaft im Festsaal der "Loge zur Einigkeit".
Mich mit meiner Schwester, meiner Nichte, deren Vater beim Kleinen Italiener treffen
und genießen. In der Alten Mühle schlemmen.
Über die Zeil
bummeln, den Kaufhof nach Schnäppchen durchstromern, im Karstadt in der
Handarbeitsabteilung nach Wolle stöbern. In der menschengefüllten Fußgängerzone
flanieren, irgendwo ein Eis auf die Hand genießen oder ein Fischbrötchen bei der Nordsee
– je nach Appetit in jenem Moment.
Durch die 'neue Altstadt' schlendern.
Zu Abend essen im griechischen Gartenrestaurant beim
Turnvater-Jahn-Sportgelände…
Oh ja, herrlich!!!
Es gibt Tage, da scheint das alles für einen Moment greifbar und normal.
Bis ich richtig
wach bin.
Nix von alledem wird Wahrheit werden.
Zwischen der Reise
in meine geliebte Heimatstadt und mir stehen 7 bis 8 Stunden mit Maske im
Gesicht. Und 14 Tage Zwangsquarantäne, weil ich aus einer roten Zone komme. Und
ein paar PCR-Tests. Und was weiß ich noch alles, was mit dem neuen, angeblich
"Infektionsschutz"-Gesetz an Verhinderungen und Beschränkungen noch
dazugekommen ist.
Museen hätte ich, als ich obigen Traum träumte, noch mit negativem Test
besuchen dürfen. Jetzt, mit der "Bundes-Notbremse" sind sie wohl
wieder geschlossen.
Konzerte finden nicht statt.
Der Kleine Italiener, die Alte Mühle, der Grieche beim Sportplatz sind
geschlossen. Allenfalls Abholgerichte könnte ich wahrscheinlich erwerben.
Gemütlich zusammensitzen mit der Familie – von der jeder woanders wohnt –
Fehlanzeige.
Offiziell nicht erlaubt. Und wahrscheinlich wollen sich alle erst testen, ehe
sie einander treffen.
Karstadt: geschlossen
für immer.
Kaufhof: geschlossen für immer.
Die Zeil, die Neue Altstadt: nur mit Maske vorm Gesicht darf man da herumlaufen.
Eine Reise nach Frankfurt zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist alles andere als attraktiv.
Es gibt kein Normal mehr.
Und so bekräftige ich, nun endgültig wach geworden, erneut meine seit Mitte Juli 2020 ständig neu zu bekräftigende Entscheidung ein weiteres Mal:Bleibe (in einem Deiner) Zuhause und nähre Dich redlich.
Sicher momentan habe ich hier sowieso das bessere Teil erwählt.
In meinem Dorf im Norden der Niederlande ist (jedenfalls vom Gefühl her) weitgehend wirklich alles normal. Kinder spielen zusammen draußen, rennen, springen, schreien, fischen in den Teichen im Park, kicken, radeln in Grüppchen – frei, ungezwungen, wie sich das für Kinder gehört. Masken sieht man nur beim Einkaufen und in den Gesichtern junger Leute, die vom Bahnhof kommen und sie - weiß der Himmel aus welchem Grund - aufbehalten haben.
Leute gehen mit dem Hund spazieren, ansonsten ist es hier im Dorf sowieso meistens ruhig. Diejenigen Nachbarn, die im erwerbstätigen Alter sind, gehen Arbeiten wie immer. Homeoffice findet wohl so gut wie nicht statt. Mit dem Pärkchen hinterm Haus habe ich gezähmte Natur in direkter Reichweite, in 15 Minuten Fußweg bin ich in der weiten Landschaft des Nordens mit vereinzelten Höfen, Schafen auf der Weide oder Ackerflächen vom Hopfenanbau bis zur Kartoffel.
Szene aus diesem Video von Meinardi auf facebook |
Sollte es irgendwann wieder wärmer werden, kann ich auch wieder aufs Rad steigen. Der Erdbeer- und Spargelbauer im nächsten Dorf hat die ersten Erdbeeren aus seinen Gewächshäusern wieder im Verkauf – leckere Ergänzung fürs morgendliche Müsli.
Mit anderen Worten: wenn ich nicht gerade das Gefühl habe, dass mir die Decke auf den Kopf fällt, lässt es sich hier einigermaßen aushalten. Und lässt sich der Irrsinn da draußen über weiteste Strecken des Tages vergessen.
Auch ein Weg, der Angst- und Panikspirale zu entkommen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen