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Donnerstag, 12. November 2020

Krisendrama, innerlich

In einem aktuellen Video über den Umgang mit Drama und Panik
nimmt Sonja Ariel von Staden Bezug auf ihrem Erleben als junge Frau beim Ausbrechen des Irak-Krieges. Sie schildert, wie sie damals in tatsächlicher Todes-Angst lebte, weil sie davon ausging, dass dieser Krieg auf unsere Breiten übergreifen würde. Damals sei sie, aber auch viele, viele Menschen in unseren Breiten in einen inneren Panikmodus geraten. So, wie das gesamtgesellschaftlich jetzt mit ganz anderen Ängsten, die immer und immer wieder neu geschürt werden, erneut geschieht. Der Unterschied zwischen allen anderen Krisen und der heutigen ist aber, dass es heute um die Bedrohung durch einen in gewisser Weise 'virtuellen',  nicht sichtbaren Feind geht. Aber das ist ein anderes Thema.

Das weckt meine eigenen Erinnerungen an globale Krisen aus meiner Kinderzeit. Der Bau der Mauer, die Berlin teilte. Die Kuba-Krise. Die Ermordung von John F. Kennedy. Drei enorme, welterschütternde Ereignisse innerhalb von drei Jahren hintereinander: 1961, 1962, 1963.

Alle drei lösten in vielen Menschen und sicher in mir als Kind wahre Panik-Reaktionen und direkte und unterschwellige Ängste aus. Sicher bei den beiden ersten schien ein neuer, weltumspannender Krieg in der Luft zu liegen. Danke allen geistigen, Licht-vollen Mächten, die uns damals und auch in späteren Jahren davor immer wieder bewahrt haben! Bei mir hatte es zur Folge, dass ich jahr(zehnt)elang vom Atomkrieg träumte und jedes Mal in Panik geriet, wenn die jährlichen Sirenentests stattfanden. Und genauso, wie wohl jede/r, der "2001" mitgemacht hat, noch weiß, wo sie oder er zum Zeitpunkt war, als sie/er die Nachricht zum ersten Mal hörte [ähhhm, gerade fällt mir auf, dass mit diesem Jahr auch der berühmte und faszinierende Film "Odyssee im Weltraum" von Stanley Kubrick versehen ist…], so erinnere ich auch die Szene zuhause in der Familie noch an jenem Abend, als die Nachricht von Kennedys Ermordung im Radio kam.

In drei Jahren hintereinander die Welt erschütternde und den Weltfrieden bedrohende Krisen. Wie lange hat das Krisengefühl in den einzelnen Menschen damals angehalten? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ein Kind lebt im Jetzt und nimmt Bedrohungsszenarien hauptsächlich unterschwellig und atmosphärisch wahr und illustriert sie dann mit den Details, die es aus seiner Umgebung aufnimmt. Allerdings, ohne eine Zeitachse damit zu verbinden.

In wieweit wurde die Krisenangst damals, so wie heute, durch die Politik und die Medien geschürt? Auch das weiß ich nicht mehr.

 

Allerdings wurde damals die Aktion Eichhörnchen
lanciert und den Hausfrauen die Verpflichtung zur Vorratshaltung immer wieder eingehämmert. In der Schule bekamen wir die inzwischen legendären Ratschläge, unter die Tische zu kriechen und die Aktentasche über den Kopf zu halten im Fall des Falles, um sich vor der radioaktiven Strahlung zu schützen. Und in der Kirche, beim Erstkommunion- bzw. Firmunterricht wurden Zettel verteilt – heute nennt man so etwas "Flyer" – in denen dazu aufgerufen wurde, sich dem "Rosenkranz Sühnekreuzzug" anzuschließen und täglich mindestens ein Gesätz des Rosenkranzes für den Frieden zu beten.

So weit das Erleben eines Kindes.

Aber was werden unsere Eltern gefühlt haben? Und mit ihnen all die Menschen, die den Krieg durchgemacht hatten? Und die Großelterngeneration? Die hatte zwei Weltkriege miterleben müssen. Was direkt in ihnen umging, haben sie uns damals nicht wissen lassen. Darüber wurde nicht gesprochen, natürlich nicht. Das bewusste Verarbeiten von Traumata war noch lange nicht so sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie es das heute ist.

In welcher inneren Panik mögen diese Menschen verkehrt sein?
Welchen Erinnerungen ausgeliefert?
Welchen Ängsten?
Nachträglich, nun mit der Erfahrung einer monatelang andauernden und immer wieder durch Politikerinnen und Politiker sowie die Flut an Meldungen und Kommentaren in den Medien geschürten Angst als Hauptlebensgefühl in der Gesellschaft, fühle ich enorm mit ihnen.
Es muss schwer gewesen sein, sich innerlich davon frei zu machen.

Und meine Hochachtung und meine Dankbarkeit wachsen, ihnen gegenüber, die uns, trotz all dem, weiterhin mit mehr oder weniger Optimismus, aber doch einer unleugbaren Zuversicht wunderbare Eltern und Großeltern waren und uns so Vieles mitgegeben haben für unsere Lebenswege.


1 Kommentar:

  1. Momentan sehe ich eher eine viruelle Bedrohung. Wobei das auch nicht ganz korrekt ist, denn viele Auswirkungen sind mitunter durch Menschen entstanden. Dieser Tage sah ich auf ARTE einen Bericht über Wuhan, wo, so den Medien Glauben geschenkt werden darf, eine gewisse Normalität eingetreten ist. Da konnte ich gut verstehen, was hier den jungen Menschen in deren Leben momentan abgeht. Das mit dem biologischen Virus tritt irgendwann in den Hintergrund. Die virtuelle Bedrohung wird bleiben im Sinne von weiterer Einschränkung für Sicherheiten, um das böse Übel zu bekämpfen; selbstverständlich ohne nachzuweisen, dass diese Einschränkungen nachweislich nützlich sind und die dadurch entstehenden Nachteile dies wert sind. "Lieb Vaterland magst ruhig sein".

    Was die Menschen im Krieg durchgemacht haben und wie all das hängen geblieben ist, zumindest bei einigen, wurde mir dieser Tage bewusst, als ich nochmal den Film "Die Mörder sind unter uns" mit der jungen Knef sah aus dem Jahre 1946. Dann ging mir durch den Kopf, wie es den älteren Menschen jetzt geht, die in Heimen eingesperrt werden zu ihrem Schutz.

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