Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Donnerstag, 19. November 2020

Grübel....

Bei der Betrachtung einer Zusammenstellung der neuesten Einschränkungen des Lebens in Deutschland "zum Schutz vor Corona" wurde es mir enorm eng ums Herz. Erst echt, als ich die Reaktionen einiger Weggefährten der letzten Jahrzehnte auf meine Gefühle angesichts dessen erlebte.


Bis März 2020, also März diesen Jahres, war ich immer in gewisser Weise stolz auf meine Generation der Nach-68er und 68er. Sie hat viele mutige, freiheitsliebende Menschen hervorgebracht, die für Frieden und Freiheit und für eine intakte Umwelt und deren Schutz eintraten; die Freiheitseinschränkungen anprangerten, die durch diktatorische Regime überall auf der Welt verordnet wurden; für ein atomwaffen-freies Europa auf die Straße gingen und heftig gegen die Notstandsgesetze protestierten; und die eines ganz sicher nie taten: sich klaglos und ohne sie kritisch zu hinterfragen irgendwelchen Maßnahmen der Obrigkeit beugen.

Was ist in den letzten Wochen und Monaten mit der Mehrzahl meiner Altersgenossinen und -genossen passiert? Ich vermisse ihren kritischen Geist. Vermisse ihren bis dato immer lebendigen Widerspruchsgeist, ihren hinterfragenden Verstand, der nichts einfach so annimmt, wie es ihm aufgetischt wird.

Was also ist passiert?

Anstatt der immer etwas abstrakten Ängste "vor den Russen" (wegen denen man nachrüsten musste), vor "Rebellen" (gegen die in anderen Ländern diktatorische Machthaber antraten), "vor der Handlungsunfähigkeit des Staates in Krisensituationen" (Notstandsgesetze von 1968), "vor ökonomischem Niedergang in der Region wegen eines zu kleinen Flughafens" (Startbahn West in Frankfurt) – Ängste, mit denen die jeweilige Obrigkeit zu jenen Zeiten ihre Maßnahmen durchdrücken wollte – ist die ganz persönliche Angst um den eigenen Leib getreten. Kombiniert mit der Tatsache, in einem Lebensalter zu sein, in dem das eigene Sterben sich als Thema immer mehr ins Bewusstsein schiebt.

Mit dieser Angst im Gepäck gelingt es heute der Obrigkeit, unabhängig davon, ob die medizinische Sinnhaftigkeit ihrer Ideen tatsächlich bewiesen ist, alles durchzusetzen, was ihr als Schutz in den Sinn kommt. Und eine Generation von immer Kritischen nun beinahe komplett zum Schweigen zu bringen.

Ja, auch ich will gesund bleiben! Auch ich gehöre zu jener Generation der 60plusser, die inzwischen schon von vielen Menschen für immer Abschied nehmen musste. Auch ich will noch mindestens 30 Jahre glücklich und gesund leben. 

Deswegen tue ich schon seit langem Vieles für meine Gesundheit.

Und halte mich an die hygienischen Grundregeln.
Die komischen Blicke meiner Mitreisenden sind Legion, wenn ich – vom Zug-WC kommend – mein Sterillium-Fläschchen aus der Tasche zog und meine Hände desinfizierte, ehe ich mich wieder setzte und weiterlas, aus dem Fenster schaute und dabei den Kopf in die Hand stützte, etwas aß oder trank, usw.

Auch im Winter 2017/18, in dem in ca. 6 Monaten Zeit in Deutschland ungefähr 25.000 Menschen an den Folgen von Influenza gestorben sind. Damals hatten wir eine Epidemie von nationaler Tragweite, nur interessierte das kaum jemanden. Ich kann mich an niemanden in meiner Umgebung erinnern, der auch nur auf die Idee gekommen wäre, wie ich das manchmal tat, die Griffe der Einkaufswagen zu desinfizieren, oder nur mit Handschuhen anzufassen.
Damals kamen die Intensivstation vielerorts an ihre Grenzen, auch die normalen Stationen in Krankenhäusern, und viel Pflegepersonal war ebenfalls erkrankt. Stand alles in den Zeitungen und kann heute noch online nachgelesen werden.

Man nahm es in der Öffentlichkeit ein bisschen erschreckt zur Kenntnis und ging zur Tagesordnung über. Die Politik reagierte gar nicht, wenn ich mich recht erinnere.

Menschen, die über die traurige Tatsache Bericht geben mussten, dass sie eine geliebte Person verloren hatten, sagten im Allgemeinen nicht dazu "wegen der Grippe". Es wurden auch keine Einzelschicksale von Influenza-Kranken ausführlichst in den Zeitungen oder im TV vor der Öffentlichkeit ausgebreitet und keine detaillierten Zeitungsberichte darüber veröffentlicht, wie mühsam nach der überstandenen Influenza das Leben monatelang war, mit welchen Langzeitfolgen Menschen in der Rekonvaleszenz zu kämpfen hatten.
Und mit Influenze ist nicht zu spaßen! Ein guter Freund von uns lag damals 2 Wochen im künstlichen Koma aufgrund einer Influenza-Folgeerkrankung. Er hat neurologische Schäden davongetragen und war bzw. ist wohl noch immer in bestimmten, ambulanten Reha-Maßnahmen.

Was ist heute anders? Zu Anfang sicher die Ungewissheit über das Virus. Inzwischen ist das ziemlich gut erforscht, und fundierte, differenzierte Informationen darüber sind genug verfügbar. Genau wie mit Influenza, ist mit dem großen "C" nicht zu spaßen. Das ist ganz sicher.

Der große Unterschied zu 2017/18 liegt in den Handlungen der Obrigkeit.

Diesmal wurden die Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Geplant, unter anderem im Bundesministerium des Inneren.
"Wir müssen wegkommen von einer Kommunikation, die auf die Fallsterblichkeitsrate zentriert ist. (…). Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden:" Und dann folgen grausigst detaillierte Schilderungen, wie furchtbar das Virus zuschlagen wird, wenn nicht absolut hart durchgegriffen wird.
Nachzulesen im Strategiepapier des Bundesinnenministeriums aus dem März auf der Seite 13.

Dies in Angst und Schrecken versetzen wird nun ununterbrochen seit Monaten praktiziert.

Gut unterbaute, fundierte Informationen von Sachkundigen, die andere Umgangsweisen mit dem Virus vorschlagen, werden so kategorisch wie möglich unterdrückt und gegebenenfalls diffamiert.

Damals war es "halt die Grippe". Das passiert.
Sagte man. Und dann ging der Lebensalltag der Nichtbetroffenen weiter.

Und heute?
All das hat mich schwer ins Grübeln gebracht.

Montag, 16. November 2020

Nous sommes Babylon 2.0

Vor einigen Tagen bekam ich eine Zuschrift von einem der Menschen, die diesem Blog folgen, der seine Gedanken zum gegenwärtigen Chaos mit mir teilte. Die gefallen mir gut, so dass ich um Erlaubnis fragte, sie als Gastbeitrag im Blog zu veröffentlichen. Voilà!

Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo war der Spruch: "Je suis Charlie" ein Ausdruck von Solidarität zu den ermordeten Redaktionsmitgliedern. Bei der Schöpfung: "Nous sommes Babylon 2.0" spiele ich mehr auf die babylonische Sprachverwirrung an; angepasst an unser Informationszeitalter: 
Informationsverwirrung.

 - Da gibt es eine Unmenge an Fakten, die sich zum Teil widersprechen.

- Da gibt es Beschlüsse, die von Gerichten wieder gekippt werden oder auf dem Papier bestehen, aber von der Realität überholt werden (Thema offene Schulen: ein - zweimal Unterricht in der Woche bedeutet auch offen).

- Da gibt es Regelungen, die nicht überall gleich sind (Thema Maskenpflicht, Besuche in Heimen/
Krankenhäusern...).

- Da gibt es Entscheidungen und kurz nach der Veröffentlichung kommen andere Stimmen, die nicht in diese Richtung gehen.

- Da gibt es Äußerungen von Politikern und Wissenschaftlern, auf die man sich keinen Reim machen kann.

- Da gibt es Zahlenwerte, an denen sich einige orientieren, aber die wenigsten wissen, wie die genau zustande kommen. Wenn ich den R-Wert in meiner Stadt berechnen möchte, steh ich auf dem Schlauch. Es soll kompliziert sein, heißt es.
Zum Errechnen gibt es sicherlich eine Formel, und die müsste erklärbar sein. Öffentlich zugänglich. Hier tritt auch eine gewisse Sprachverwirrung ein. Wenn ich im normalen Sprachgebrauch von einem Wert spreche, gehe ich von einer bestimmten Zahl aus; beim R-wert gibt es jedoch eine Spannbreite.

- Da gibt es Termine, an denen etwas bekannt gegeben wird und dann gibts vorab schon Stimmen, die in eine bestimmte Richtung gehen.

- Da gibts viel Medienrummel um ungelegte Eier (Thema Impfstoff, der noch nicht vollständig abgenommen ist und bei dem noch einige Dinge ungewiss sind).
In dem Zusammenhang kommt das Thema Impfpflicht. Politiker meinen :"Nein". Dann aber gibts Medienberichte, die durchscheinen lassen, dass es Bedingungen geben könnte für bestimmte Berufsgruppen, die genau in die Richtung gehen könnten.

- Da gibts verschiedene Meinungen und unterschiedliche Einschätzungen und man wundert sich, dass einige unhinterfragt abgewertet und die Menschen abgekanzelt werden.

- Da gibts sicher noch viel mehr....

...und der bayrisch angehauchte deutsche Michel fragt sich: "Ja, wo samma denn?!?"

Es wird hierzulande viel von der langen Friedenszeit gesprochen.
- Gabs denn nicht auch im Krieg Nachrichten, die sich widersprachen?
- Gabs denn nicht auch da Aussagen, die Tags drauf überholt waren?
- Gabs denn nicht auch da Unsicherheiten, wann der Feind/Luftangriff kommt oder wann wo Nahrungsmittel zu haben sind?

Sokrates lebte weit vor dem Informationszeitalter und sein viel zitierter Spruch: "Ich weiß, worüber ich nichts weiß" bezog sich mehr auf Tugenden und "Das Gute" statt auf Fachwissen.

Tugenden klingt sicher etwas altbacken und antiquiert. Man könnte sich ja u.a. im Zusammenhang mit der aktuellen Situation auch fragen:
"Wie wollen wir miteinander umgehen?", 
"Was gibt uns innere Stabilität, um das umzusetzen?" oder
"Was ist uns dabei wichtig?"

Antworten auf diese Fragen, die in Richtung Angstverbreiten, Panikmache, Unsicherheit streuen o.ä gehen, dürften eher unwahrscheinlich sein.

Schon seltsam, wenn man sich dann umschaut, was um uns herum gerade passiert.

Wohlwollend positiv könnte man zu dem Schluss kommen: " Es gibt ein beträchtliches Entwicklungspotenial mit äußerst sportlichen Zielen."

Und sich in dem Sinne einen Werbespruch zu eigen machen:"Just do it" !
Und damit verbunden den Gedanken beiseite lassen : Mach du mal, dann schaun wir weiter.

Donnerstag, 12. November 2020

Krisendrama, innerlich

In einem aktuellen Video über den Umgang mit Drama und Panik
nimmt Sonja Ariel von Staden Bezug auf ihrem Erleben als junge Frau beim Ausbrechen des Irak-Krieges. Sie schildert, wie sie damals in tatsächlicher Todes-Angst lebte, weil sie davon ausging, dass dieser Krieg auf unsere Breiten übergreifen würde. Damals sei sie, aber auch viele, viele Menschen in unseren Breiten in einen inneren Panikmodus geraten. So, wie das gesamtgesellschaftlich jetzt mit ganz anderen Ängsten, die immer und immer wieder neu geschürt werden, erneut geschieht. Der Unterschied zwischen allen anderen Krisen und der heutigen ist aber, dass es heute um die Bedrohung durch einen in gewisser Weise 'virtuellen',  nicht sichtbaren Feind geht. Aber das ist ein anderes Thema.

Das weckt meine eigenen Erinnerungen an globale Krisen aus meiner Kinderzeit. Der Bau der Mauer, die Berlin teilte. Die Kuba-Krise. Die Ermordung von John F. Kennedy. Drei enorme, welterschütternde Ereignisse innerhalb von drei Jahren hintereinander: 1961, 1962, 1963.

Alle drei lösten in vielen Menschen und sicher in mir als Kind wahre Panik-Reaktionen und direkte und unterschwellige Ängste aus. Sicher bei den beiden ersten schien ein neuer, weltumspannender Krieg in der Luft zu liegen. Danke allen geistigen, Licht-vollen Mächten, die uns damals und auch in späteren Jahren davor immer wieder bewahrt haben! Bei mir hatte es zur Folge, dass ich jahr(zehnt)elang vom Atomkrieg träumte und jedes Mal in Panik geriet, wenn die jährlichen Sirenentests stattfanden. Und genauso, wie wohl jede/r, der "2001" mitgemacht hat, noch weiß, wo sie oder er zum Zeitpunkt war, als sie/er die Nachricht zum ersten Mal hörte [ähhhm, gerade fällt mir auf, dass mit diesem Jahr auch der berühmte und faszinierende Film "Odyssee im Weltraum" von Stanley Kubrick versehen ist…], so erinnere ich auch die Szene zuhause in der Familie noch an jenem Abend, als die Nachricht von Kennedys Ermordung im Radio kam.

In drei Jahren hintereinander die Welt erschütternde und den Weltfrieden bedrohende Krisen. Wie lange hat das Krisengefühl in den einzelnen Menschen damals angehalten? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ein Kind lebt im Jetzt und nimmt Bedrohungsszenarien hauptsächlich unterschwellig und atmosphärisch wahr und illustriert sie dann mit den Details, die es aus seiner Umgebung aufnimmt. Allerdings, ohne eine Zeitachse damit zu verbinden.

In wieweit wurde die Krisenangst damals, so wie heute, durch die Politik und die Medien geschürt? Auch das weiß ich nicht mehr.

 

Allerdings wurde damals die Aktion Eichhörnchen
lanciert und den Hausfrauen die Verpflichtung zur Vorratshaltung immer wieder eingehämmert. In der Schule bekamen wir die inzwischen legendären Ratschläge, unter die Tische zu kriechen und die Aktentasche über den Kopf zu halten im Fall des Falles, um sich vor der radioaktiven Strahlung zu schützen. Und in der Kirche, beim Erstkommunion- bzw. Firmunterricht wurden Zettel verteilt – heute nennt man so etwas "Flyer" – in denen dazu aufgerufen wurde, sich dem "Rosenkranz Sühnekreuzzug" anzuschließen und täglich mindestens ein Gesätz des Rosenkranzes für den Frieden zu beten.

So weit das Erleben eines Kindes.

Aber was werden unsere Eltern gefühlt haben? Und mit ihnen all die Menschen, die den Krieg durchgemacht hatten? Und die Großelterngeneration? Die hatte zwei Weltkriege miterleben müssen. Was direkt in ihnen umging, haben sie uns damals nicht wissen lassen. Darüber wurde nicht gesprochen, natürlich nicht. Das bewusste Verarbeiten von Traumata war noch lange nicht so sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie es das heute ist.

In welcher inneren Panik mögen diese Menschen verkehrt sein?
Welchen Erinnerungen ausgeliefert?
Welchen Ängsten?
Nachträglich, nun mit der Erfahrung einer monatelang andauernden und immer wieder durch Politikerinnen und Politiker sowie die Flut an Meldungen und Kommentaren in den Medien geschürten Angst als Hauptlebensgefühl in der Gesellschaft, fühle ich enorm mit ihnen.
Es muss schwer gewesen sein, sich innerlich davon frei zu machen.

Und meine Hochachtung und meine Dankbarkeit wachsen, ihnen gegenüber, die uns, trotz all dem, weiterhin mit mehr oder weniger Optimismus, aber doch einer unleugbaren Zuversicht wunderbare Eltern und Großeltern waren und uns so Vieles mitgegeben haben für unsere Lebenswege.


Montag, 9. November 2020

Forever?

Vor einiger Zeit erzählte eine meiner Brieffreundinnen vom 'Postcrossing'.  Die Idee dahinter ist, dass Menschen, die einander nicht kennen, einander Postkarten (Ansichts- oder andere Motivkarten) senden. Das gefiel mir, habe ich es doch gerade sowieso mit Briefeschreiben. Plus viele Karten aus mehreren Jahrgängen Harenberg-Postkarten-Kalendern im Vorrat. Ich meldete mich dort an.

Es macht Spaß, es bringt Freude und fragt ein bisschen Phantasie, an Menschen zu schreiben, von denen man nicht mehr weiß, als ihre Postanschrift und das, was sie in ihrem Profil von sich erzählt haben. Und es macht genauso Spaß und bringt Freude, um von Menschen eine Karte zu bekommen, von denen man erst einmal gar nichts weiß. Im zweiten Schritt kann ich anhand der Registrationsnummer auf der Karte zum Profil der Person gehen,die die Karte geschrieben hat. Man erhält diese Nummer gleichzeitig mit der Adresse des Empfängers/der Empfängerin und schreibt sie tunlichst gut lesbar auf die Karte. 

Kürzlich erhielt ich zum ersten Mal eine Karte aus den USA. Ein netter Text, ein sehr klassisches Foto eines Mississippi-Hafens mit drei Raddampfern verschiedener Generationen darauf. 

Und eine runde Briefmarke.
Schönes Motiv, eine rosarote Chrysantheme.

Schaun wir mal, was Tante Google mich über die Bedeutung von Chrysanthemen finden lässt:
In der Blumensprache stehen Chrysanthemen für Heiterkeit, Perfektion und Ewigkeit. In Abhängigkeit von der Farbe können sie viele Bedeutungen ausdrücken. (...)
Rosa Chrysanthemen symbolisieren die Zerbrechlichkeit einer Liebesbeziehung.

Zerbrechliche, heiter perfekte Ewigkeit... grübel...

Erst nachdem ich die Marke fotografiert hatte – eine runde Briefmarke finde ich außergewöhnlich, und ich dachte, wer weiß, für welche Illustration ich sie einmal gebrauchen kann – schaute ich mir den Text darauf an.
"Global" steht da, für weltweites Auslandsporto. USA.
Und dann: Forever. 2020.

Weil die Marke rund ist, und kein Wert darauf steht, kann sie mit jedem gewünschten Wort als oberstes aufgeklebt werden. Aus den Wörtern kann man dann je nachdem alles mögliche lesen.

🔹  Global USA Forever 2020
🔹  2020 Global USA Forever
🔹  USA Forever 2020 Global
🔹  Forever 2020 Global USA

Wahrscheinlich fanden die Entwerfer der Briefmarke dies einen genialen Schachzug. Mir macht es eher Gänsehaut. Denn keine der Botschaften gefällt mir. Der Traum von der amerikanischen Hegemonie für immer festgeschrieben, und dann noch an dieses Jahr gekoppelt, oh je!

Und in drei der vier möglichen Kombinationen – logischerweise! – steht: Forever 2020.

Was für eine Idee. Wenn es *ein* Jahr gibt, von dem ich nicht wollen würde, dass es ewig dauert, dann das aktuelle. Es steckt so voller Herausforderungen, um es mal euphemistisch zu formulieren – die reichen normalerweise für mehrere Jahrzehnte! Aber wenn wir eines gelernt haben in diesem Jahr, dann dies: "normal" gibt es nicht mehr. Wir stecken noch mitten in einem Jahr, in dem das Unterste zuoberst gekehrt wird. Nicht geeignet für einen liebenswerten und lebenswerten Dauerzustand.

Forever 2020 – Nein Danke!

Donnerstag, 5. November 2020

Durcheinander, zum zweiten

Gestern Abend haben mein Mann und ich gemeinsam die Aufzeichnung von zwei Bach-Kantaten, aufgeführt von der Niederländischen Bachvereinigung, angehört und -gesehen. Es war tief berührend. Und es war herzzerreißend, sich vorzustellen, dass dies alles momentan als live gegebenes Konzert nicht mehr möglich ist. Sich vorzustellen, dass alle diese fantastischen Musikerinnen und Musiker nicht mehr auftreten können und kein Einkommen mehr haben.
Noch viel schlimmer war dann die Vorstellung, dass das alles wahrscheinlich nie wieder so möglich sein wird. Wenn die derzeitigen, politischen Wege weiter beschritten werden.
 

Diese Grafik habe ich hier gefunden
Das zweite, was mich gerade völlig kirre macht, ist das Drama um die amerikanische Wahl.
Pest oder Cholera… keiner der beiden Herren macht eine so richtig fröhlich, was die Zukunft der US-Politik und ihre Auswirkungen für die Menschen auf der Welt angeht. Ich halte mich dann wieder einmal an den weisen Wunsch, dass der gewinnen möge, der besser für die Menschen in Amerika und das friedliche, globale Zusammenleben ist. Trotzdem packt mich gelegentlich die Panik, wenn ich mir vorstelle, was passieren wird, wenn der eine – und was, wenn der andere gewinnen wird.

Zum Dritten ist da die heutige Lesung des Infektionsschutzgesetzes im deutschen Bundestag. Die Änderungen, die da vorgeschlagen sind, machen alles andere als fröhlich und leider die letzten beiden Sätze meines Abschnittes über den Verlust des kulturellen Lebens immer wahrscheinlicher.

Es ist enorm schwer, in all dem noch irgendwie ein ruhiges, gelassenes Herz wieder zu finden.

 

 

Und so nehme ich erneut Zuflucht zu dem spirituellen Märchen "Joselyn", zu dem ich mich schon vor ein paar Tagen geflüchtet habe.

Anhand der Sehnsüchte von Joselyn mache ich mir wieder bewusst, was es einst war, das an einem Leben auf der Erde so anziehend schien. Was es ist, das daran so schön ist.

"Ich bin sehr ungeduldig, ich spüre, dass mein Weg, auf die Erde zu kommen, nicht mehr fern liegt. Ich möchte so gern mit allen Sinnen ein Erdling werden. Ich möchte riechen, schmecken, hören, tasten, fühlen und sehen können. Ich möchte mit allen Sinnen wahrnehmen und daraus heilen, helfen, Frieden und Liebe schenken.

Ich möchte körperliche Merkmale haben:

  • Haut, Augen, Ohren, Nase und Mund, um die Sinneserfahrungen aufnehmen zu können.
  • Ich möchte diese Dinge erleben wie zum Beispiel    
  • wie es sich anfühlt, liebevoll umarmt und geliebt zu werden,
  • die Sonne auf der Haut spüren
  • die vielen verschiedenen Farben der Natur mit eigenen Augen zu sehen,
  • hören, wenn ein Lied erklingt und mich von der Melodie verzaubern lassen,
  • in die Welt der Fantasie eintauchen und träumen,
  • das eigene Herz wahrnehmen,
  • den Duft einer Blume riechen und ihre Schönheit betrachten,
  • viele Früchte schmecken, die Mutter Natur schenkt,
  • das kostbare Wasser trinken, wenn ich Durst verspüre…

All das möchte ich erleben! Für mich ist es ein riesiges Abenteuer, ein Erdling zu werden. Es ist etwas Unglaubliches, Besonderes und Wunderbares für uns alle Wesen. Gefühle zu haben! Lachen und weinen zu können!"

 

 

 

 

 

Danke, SimoneWhite! Dies alles vergisst sich so schnell, wenn die Wirbel des Lebens über eine hinbrausen…
Danke für's erinnern.

Montag, 2. November 2020

Hauthunger, anders

Das Regionalkrankenhaus in Scheemda, wie man sieht: weit weg von allem
auf der grünen Wiese gebaut. Hauptsache, Autobahnanschluss in der Nähe.
  
Kürzlich hatte ich an einem nebligen Morgen einen Termin bei der Dermatologin. So wie in den Niederlanden üblich in der Poliklinik im Regionalkran-kenhaus. In Scheemda. Wie gut, dass ich meinen lieben Mann habe! Dankenswerterweise fuhr er mich hin, und das, obwohl der Termin völlig quer zu unserem Lebensrhythmus "in aller Hergottsfrühe" um 8:55 h war.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wäre es viel komplizierter gewesen, der Zug verkehrt alle 30 Minuten, aber der Bus vom Bahnhof zum Krankenhaus nur stündlich; und da man "wegen Corona" nur maximal 5 Minuten vor dem Termin im Krankenhaus ankommen darf, hätte ich wohl den Termin neu und mit dem Fahrplan passend absprechen müssen. Allerdings für die Rückfahrt – wenn es nicht zufällig gepasst hätte mit dem Bus, hätte ich wohl entweder im Nebel bei 10° draußen warten müssen oder die Strecke zur Bahn zu Fuß zurücklegen können, in der Hoffnung, zu einem passenden Moment am Bahnhof anzukommen. Mal so nebenbei über das 'Leben auf dem Land' gesprochen.

Also, Termin im Krankenhaus. Natürlich mit Maske, hatte mir eine der dünnsten aus meinem Bestand herausgesucht. Mein eigenes Sterillium habe ich immer dabei, dann brauche ich nicht den Druck-mechanismus der "Flasche für alle" im Eingangsbereich zu betätigen. Natürlich muss ich mein Desinfektionsmittel schön auffällig und öffentlich benutzen, damit die reichlich am Eingang verteilten Wachleute auch sehen, dass ich mich an die Regeln halte.

Im beim Einchecken zugewiesenen Gang
der Poliklinik angekommen, wurde ich sofort aufgerufen. Auf den Wartestühlen, normalerweise alle besetzt, saßen ein paar vereinzelte Menschen im empfohlenen 1,5-m-Abstand. Anders als normalerweise, ist mit der Maske im Gesicht und unter den Abstandsregeln jede/r im eigenen Kokon eingesponnen. Man grüßt nicht mehr, schaut auf sein Handy oder stiert ins Leere.

Im Sprechzimmer machte ich erneut Bekanntschaft mit der hier allen Patienten gegenüber üblichen ausgesuchten Höflichkeit – und erlebte die (darüber gleich mehr) in den letzten zwei Jahrzehnten wieder eingekehrte, enorme Schamhaftigkeit.

Die sehr freundliche Assistentin klärte mich auf: ich sei ja zur Kontrolle meiner Haut hier, dazu würde mich die Ärztin gerne unbekleidet in Augenschein nehmen – wenn ich damit einverstanden sei.
Ich: Davon gehe ich eigentlich aus!
Sie: Schön, dass Sie das so sehen. Es gibt immer wieder Leute, die das nicht wollen.
Ich: ???

Dann kam, was ich schon kannte: Klamotten bitte aus bis auf BH und Slip, und auf der mit Hygienepapier abgedeckten Liege sitzend Platz nehmen. Die Ärztin käme gleich. Es gibt bei diesen Kontrollterminen kein Vorgespräch, aber darüber wunderte ich mich schon nicht mehr, das kannte ich ja schon. Optimierung im Spar-Gesundheitswesen.
Sicherheitshalber behielt ich meine Kniestrümpfe und Schuhe erst mal an.
Wer nicht kam, war die Ärztin.

Allmählich wurde mir kühl, und ich war froh, dass ich Schuhe und Strümpfe an hatte. Gerade hatte ich mir zusätzlich mein wollenes Maxi-Strickkleid wie ein wärmendes Tuch um den Oberkörper geschlungen, erschien die Assistentin wieder: es dauere leider noch mit der Ärztin. Ob es mir nicht zu kalt würde? – Doch, genau das! – Oh, vielleicht können Sie sich einen Pullover umhängen? – Habe ich gerade schon getan. Mein Kleid als Schultertuch. – Gute Idee! Bitte entschuldigen Sie…

Nach weiteren zwei, drei Minuten – ich war wirklich dankbar für die Wärme des oversized Yak-Wolle Kleides – klopfte es, und die Ärztin kam herein. Eine junge Chinesin, dem Gesicht nach. Dem Akzent nach in Brabant aufgewachsen. Eine ausgezeichnete Chirurgin übrigens, das hatte ich im vergangenen Jahr erfahren.

Die Begutachtung nahm ihren Lauf. Ich wies auf dies und jenes hin, alles harmlos, und und ich wunderte mich, wie sie das alles hinbekam, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu berühren. Ob ich auch die Kniestrümpfe ausziehen solle?, fragte ich sie. – Ja, das wäre schon praktisch. Gesagt, getan.

Durch eine Schmerzpuppe musste ich  mich dann doch nicht vertreten lassen
Am Rücken hob sie die BH-Rückseite etwas an – ha! doch eine Berührung! – und ich fragte, ob ich den BH nicht ausziehen solle, dann könne sie doch besser gucken. – Oh nein, das sei nicht nötig. Sie machten es immer so, dass die Patientinnen den BH anbehielten.

Unterdessen war sie beim Begutachten meiner Vorderseite angelangt. 

Ob sie nicht auch die Haut an und unter den Brüsten sowie seitlich der Brüste sehen müsse? Nein. Normalerweise behalten Patientinnen den BH an. – Ooch, das mache mir nichts aus, ich gehöre zu einer Generation, die damit nicht so Probleme hat. Sonst könne sie doch gar nicht alles sehen?... – Wenn ich unbedingt darauf bestünde, meinen BH auszuziehen, könne ich das natürlich tun, aber üblicherweise…. – Kam es in einem Tonfall, als ob ich ein unsittliches Verlangen an sie gerichtet hätte.
Ich verzichtete dankend.

Bezüglich Slip das gleiche. Ich zog ihn zu schmalen Streifen zusammen wie bei einem Mini-Bikini, damit sie alles an den Hüften und am Unterbauch gut sehen könne. Sie schreckte zurück wie wenn sie an eine heiße Herdplatte gefasst hätte. Nein, nein, das sei nicht nötig! Normalerweise…. usw.

Das kenne ich aus Deutschland deutlich weniger schamhaft. Ich bin doch aus medizinischen Zwecken da, bei einer Ärztin zumal, Frauen unter sich!

Innerlich kopfschüttelnd begann ich - die Begutachtung war vorbei - mich wieder anzuziehen. Nicht besonders beunruhigt, was die ungesehenen Stellen meiner Haut betrifft, ich habe nur sehr wenige Leberflecken u.ä., und habe auch nie in meinem Leben ausdehnte Nackt-Sonnenbäder genommen. Viel zu helle Haut. Aber natürlich kann auf diese chinesisch-niederländische Sicht-Weise theoretisch schon etwas übersehen werden…

Nun durfte ich mich noch an einem der in der heutigen Zeit so gebräuchlichen Euphemismen freuen. Nach eingehendem Studium meiner Daten am PC nämlich kam sie mit der "frohen Botschaft": "Sie brauchen nächstes Jahr nicht mehr zur Kontrolle zu kommen! Es ist nicht nötig, dass Sie noch einmal hierher kommen. Das ist doch schön!" – Statt in Freudentaumel auszubrechen, fragte ich: "Ich brauche nicht. Aber darf ich denn?" – Oops! ich hatte das Manöver durchschaut. Sie zögerte. Einen Moment zu lang. "Also, wenn Sie unbedingt wollen……… dann können Sie nächstes Jahr nochmal kommen." – "Ja, gerne, weil ich nämlich seit 2008 immer wieder mal einen dieser (relativ ungefährlichen, aber doch nicht guten) Flecken hatte." – "O.k., dann bekommen Sie ca. in einem Jahr wieder einen Aufruf zur Kontrolle." – Verabschiedung. Weg war sie.

Ich war noch beim Ankleiden, da kam die Assistentin wieder in den Raum, tat das Papier weg, auf dem ich gesessen hatte und desinfizierte die Liege. Währenddessen memorierte sie für mich "In einem Jahr bekommen Sie den Termin wieder zugesandt. Und wenn Ihnen zwischendurch was auffällt, rufen Sie ruhig an." – Ich: "kann ich dann direkt hier bei der Dermatologie mich melden und muss nicht erst zur Hausärztin?" – "Wenn es innerhalb des einen Jahres ist, dann schon."
Es ist hier nämlich so: wenn im nächsten Jahr der Check so gut ausfällt wie dies Jahr, ist der "Fall" abgeschlossen. Dann ich muss in einem eventuellen Wiederholungsfall erst wieder durch das Nadelöhr "Hausarztpraxis". Spar-Gesundheitswesen.
 

Und so zog ich von dannen, von hinter meiner Maske den hinter ihren Masken versteckten Wartenden bewusst mit Blicken zulächelnd. Das will ich mir angewöhnen: die Maskierten explizit anzuschauen und Kontakt mit ihnen aufzunehmen.

 

Auf dem Weg zum Auto merkte ich, dass ich mich enorm beschwingt fühlte. Nicht nur wegen des "ohne Befund". Sondern vor allem, weil ich endlich mal aus meinen vier Wänden herausgekommen und unter – wie versteckten auch – Menschen gekommen war! Betriebsamkeit erlebt, mit anderen Menschen als dem eigenen Partner kurz ein paar Worte gewechselt hatte.

25 Minuten mal keine Isolation.

Es sind schon komische Zeiten… in denen man von einem Besuch in der Poliklinik Glücksgefühle mit nach Hause nimmt!

Viel gelesen