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Dienstag, 24. Oktober 2023

Abgeschnitten

Quelle Abbildung
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Und dann war es passiert. Freitagmittag um 10 nach 12. Gerade noch hatte ich eine wichtige Arzneimittelbestellung bei der niederländischen Weleda-Apotheke aufgegeben, und nun wollte ich mich der nächsten Bestellung widmen. Mein Vorrat an den allmorgendlich in den Quark zu rührenden Leinsamen neigt sich dem Ende zu, und dieses spezielle Leinsamen-Honig Granulat kann ich nur in Deutschland bekommen.

Ich rief die entsprechende Website auf. Der Browser begann zu laden und lud und lud und kam nicht zu Potte. Ein Blick in die Windows-Statusleiste zeigte: kein Internet. 'Kommt in der letzten Zeit ganz schön oft vor' dachte ich und widmete mich angesäuert erst mal etwas anderem.

Nach einer halben Stunde wollte ich zurück zu meiner Bestellung.
Immer noch kein Internet.
Zwei Stunden später noch immer nichts.
Und dabei blieb es auch: Kein Internet.

Und jetzt?

Adé Bestellung. Adé Vorträge der gerade begonnenen Onlinekongresse. Adé nächste Session meines aktuellen Kurses von Andreas Goldemann. Adé eventuelles Zoom mit weit entfernt lebenden, lieben Menschen.
Ganz schön komisches Gefühl, so offline.

Glücklicherweise hatte mein Handy noch Netz. Das Befragen der entsprechenden Seiten, auf denen man sich über aktuelle Störungen informieren kann, brachte kein Ergebnis. Für unseren Provider lagen keine Störungsmeldungen vor.

Das komische Gefühl intensivierte sich.
Unversehens fühlte ich mich komplett von der Welt abgeschnitten und isoliert.

Jetzt erst wurde mir bewusst, wie oft ich irgendwas im Internet wurschtele.

Gar nicht mal so sehr Social Media. Obwohl, ehrlich gesagt, schon auch. Aber auch mehrfach am Tag die Wettervorhersage, z.B. mit der Frage 'jetzt spazierengehen oder lieber später' oder in Planung einer Unternehmung am nächsten Tag 'welche Klamotten zieh ich dann an? Warme Jacke, Regenjacke, oder Übergangsjacke für draußen?' usw. Und eben Informationen. Über Inhaltsstoffe von irgendwelchen verarbeiteten Lebensmitteln. Die Lieferbarkeit von bestimmten Dingen beim Bio-Supermarkt. Welcher Kräutertee hilft bei ...? Neueste Angebote von Hess Natur-Waschbär-Tchibo-anderen, deren Newsletter ich empfange. Wie steht es mit dem Delfinschutz? Öffnungszeiten von irgendwas. Standort eines Geldautomaten in der Nähe, schon mal sicherheitshalber, weil der einzige hier im Dorf demnächst verschwindet. Oder auch Reinschnuppern in informative oder spirituelle Videos. Natürlich mails lesen und beantworten. Eine Überweisung tätigen. Undsoweiterundsoweiter.

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Mal ganz abgesehen vom Runterladen von Schmökern, jetzt wo ich noch immer in der Kindle Unlimited Billig-Probephase bin. Ach ja, und Audible Hörbücher gehen jetzt, ohne Internet, auch nicht. Weil die App seit letztem Jahr nicht mehr offline funktioniert und man nur noch Hörbücher über die Website von Audible streamen kann.

Tja.

Was für ein seltsames, einsames, kahles Gefühl. Obwohl ich nicht einmal allein zuhause war.

Ich probiere, mir vorzustellen, wie das Leben früher war. Ein 'früher' das noch gar nicht so lange her ist.

Wie war das, zu leben, ohne ständig online mit allem verbunden zu sein?
Ich kann es mir wirklich kaum noch vorstellen. Und schon gar nicht das Lebensgefühl als entspanntes nachempfinden.

Wie war das, einfach spazieren zu gehen, in die Stadt zu fahren, gar auf Reisen zu gehen, weite Strecken mit dem Auto zu fahren, ohne ununterbrochen an der Nabelschnur des Kommunizierenkönnens zu hängen?
Wir fühlten uns 'damals' nicht ein bisschen unsicher dabei. Es war normal.
Heute nicht mehr vorstellbar.

Man war in so Vielem einfach auf sich gestellt. Und dachte sich nichts dabei.

Wenn man irgendetwas nicht kannte oder wusste, aber gerne wissen wollte, was es damit auf sich hat, griff man zum Lexikon oder der Enzyklopädie im Bücherschrank. Egal, wie 'veraltet' die dort nachzulesende Information vielleicht war. In den Grundzügen stimmte sie auf jeden Fall. Und Dinge bzw. Informationen veralteten auch nicht so schnell.

Für Notfälle hatte man ein Telefon. Festnetz.
Welches heutzutage ohne Internet auch nicht mehr geht.

Im übrigen lebte man sein Leben so vor sich hin.
Man hatte Radio. Später auch Fernsehen (wir erst seit 1967). Beides über Antenne, aus dem Äther.
Ich könnte ohne Internet nicht einmal mehr Fernsehen, wenn ich es wollte, weil wir keinen Kabelvertrag mehr abgeschlossen haben.
Man las: Bücher, Zeitschriften, Zeitung.

Was für eine innere Ruhe. Was für eine Entspanntheit. Was für eine Stille auch.
Welches Auf-Sich-Gestellt-Sein, was mir heute als Abgeschiedenheit erscheint. Was für eine Unabhängigkeit.

Abbildung gefunden auf Pinterest
Wie eigentlich haben meine Eltern die Abende im Wohnzimmer verbracht, wenn wir Kinder im Bett waren? Radio gehört? Zeitung gelesen? Sich unterhalten? Über die Dinge des Tages? Worüber noch? Meine Mutter hat vielleicht Socken gestopft oder Kleidung repariert, Wäsche gebügelt, nachdem sie mit dem Nach-Abendessen-Küche-Aufräumen fertig war. In späteren Jahren haben sie sicher ferngesehen.

Ich erinnere mich an – nach Mutters Meinung viel zu lang dauernde, sie versuchte immer, uns pünktlich ins Bett zu kriegen – Spieleabende mit Monopoly, Mensch ärgere Dich nicht, Rommé oder Quartetten.

Was für eine vollkommen andere Lebensweise.

Inzwischen war das Internet immer noch weg.
Es wurde Abend, es wurde Morgen. Der zweite Tag.
Und dann der dritte.
Was für eine Chance!

Ich habe sie nicht genutzt. Mir ist der kalte Entzug nicht gelungen.
Für mich fühlte es sich 'offline' dermaßen kahl und abgeschnitten an, einsam und isoliert, dass ich das normalerweise sehr begrenzte Datenvolumen meines uralten, aber spottbilligen Handyvertrages aufgestockt habe.
Ich habe es einfach nicht geschafft, abgekabelt zu bleiben.

Auf die Weise erfuhr ich dann immerhin, dass es sich beim Daueroffline nicht um ein Hardware-Problem unserer betagten FritzBox handelt – wie der absolut unfähige Hotline-Mitarbeiter unseres Providers uns weisgemacht hatte. Sondern dass es eine regionale Störung im KPN-Netzwerk war (KPN ist die Nachfolgegesellschaft der ehemals staatlichen Telefongesellschaf, also mit Telekom vergleichbar). In der Nachbarschafts-Whatsapp-Gruppe hatte jemand gefragt, ob wir auch alle ohne Internet seien.

Quelle Abbildung: Pixabay
Erst
dann fiel mir auf, dass beim Versuch, sich im Netzwerk anzumelden, statt der üblichen ungefähr 20 benachbarten WiFis nur drei oder vier zu sehen waren. Die laut Netzwerkname alle bei einem Provider sind, der nicht die KPN Infrastruktur nutzt.
Tja.

Seit gestern Nachmittag nun ist die Welt wieder in Ordnung. Das www ist wieder rund um die Uhr erreichbar.


Und ich habe was zum Grübeln.

4 Kommentare:

  1. Leider kommt es bei uns häufiger vor, dass kein Netz vorhanden ist. Für meine Arbeit ist es doof, aber ich nehme mir die Zeit zu lesen, zu schreiben oder gehe raus. Mir fällt der "kalte" Entzug, wie du ihn nennst, nicht schwer. Mir fällt immer häufiger auf, wie süchtig der Mensch nach dem Internet geworden ist. Selbst in einem Restaurant, wo man bei guten Essen gmütlich beisammen sitzt und sich unterkalten könnte, sitzen viel stumm, glotzen auf ihre Smartphones, aus Angst, irgendetwas in der Welt verpasst zu haben. Manchmal wünschte ich mir öfter Netzausfälle oder gar Stromausfälle, damit die Menschen wieder lernen, aufeinander zu zu gehen und miteinander zu reden.

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    1. Danke für Deine Reaktion, liebe Anastasia.
      Genau aus den Erfahrungen heraus, die Du als Beobachtung beschreibst, habe ich diesen Blogtext verfasst.
      Ich habe mich ein wenig über meine eigene Gefühlslage erschreckt.
      Vor allem dieses Gefühl von Unsicherheit und Isolation, diese Erfahrung, nicht einfach jederzeit alles nachschlagen und heraussuchen zu können, von der Regenvorhersage über die Verkehrslage bis zur Ursache dessen, warum schon wieder der Notfallhubschrauber hier herumfliegt, hat mich schwer ins Nachdenken gebracht.
      Ja, Du hast so recht: auf einander zu gehen und mit einander reden, einander wahrnehmen.... das müssten wir Menschen wieder viel, viel mehr.

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    2. Oh ja, ich kenne das nur zu gut, als mein Sohn da war, wenn wir nicht direkt beim Essen saßen und tiefschürfende Gespräche führten, daddelte er am Handy, mich hat das weiter nicht gestört, doch es zeigte mir seine innere Unruhe, die ich ja von ihm seit gut 35 Jahren ( mit einigen Jahren Lücke) kenne.
      Wenn meine Mühle nicht geht, zieh ich mich an, geh raus, oder rufe liebe Freundinnen an, inzwischen schreibe ich wieder Tagebuch, was mir sehr gut tut. Danke für deine Blog, liebe Daniela.
      Friderike aus Niederbayern

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    3. Danke, liebe Friderike 😊 💖

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