Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Montag, 14. Dezember 2020

Weihnachtsstress

Hier hätte es Tips gegen den Stress gegeben

Es ist nicht zu glauben. Wir leben im Lockdown, seit Wochen "light" und ab heute "schwer", und ich lebe im Weihnachtsstress! Dabei habe ich nicht einmal Plätzchen gebacken, oder gar Stollen. Nichts dergleichen.

Aber: Vieles, das ich ansonsten im persönlichen Kontakt in Deutschland im Rahmen gegenseitiger Besuche oder von Verabredungen im Café getan habe, muss dies Jahr – per Post geschehen.

Weihnachtsmarkt in Frankfurt am Main
Anstatt über den Weihnachtsmarkt zu bummeln, über die Leipziger oder die Berger Straße in den Frankfurter Stadtteilen Bockenheim und Bornheim, anstatt in den diversen Museumsshops zu stöbern oder den Adventsbasar in der Vorortkirchengemeinde zu besuchen und mich dort überall inspirieren zu lassen für Kleinigkeiten, geeignet als Mitbringsel oder Geschenkchen, muss dies Jahr alles erst bestellt (oft aus Deutschland) oder aus dem eigenen Vorrat genommen und dann wieder versendet (meistens nach Deutschland) werden. Letzten Endes ist mir dabei die Inspiration auf der Strecke geblieben. Das Lebendige fehlt. Das Schauen, Hören, Riechen, Fühlen.

So wird auch in dieser Hinsicht dies Jahr alles anders als sonst.

Ich war nie eine begeisterte Schreiberin großer Anzahlen an Weihnachtskarten. 2020 ist das notgedrungen anders. Menschen, die ich sonst besuchsweise gesehen hätte, erhalten statt dessen ein geschriebenes Lebenszeichen und gute Wünsche. Zusätzlich habe ich bemerkt, dass die lange Phase des Festsitzens in diesem Groninger Dorf dazu führt, dass ich auch einzelne Menschen mit Post bedenken möchte, mit denen ich kaum noch Kontakt hatte.

Ersatzhandlung, nehme ich an. Keine echten Kontakte. Dann eben mehr schreiben.
Dies hat aber auch seine schönen Seiten. So ergibt sich eine Chance, dass Kontakte doch am Leben bleiben, die schon in Tiefschlaf versunken waren.

Da, wo mich die Inspiration nicht im Stich gelassen hat, werden Päckchen auf den Weg gehen. Oder sind schon auf den Weg gegangen. (Wie es ihnen unterwegs ergeht, ist eine neue Geschichte.)

 
Aber. All die Karten wollen geschrieben werden. Und selbst lediglich vereinzelte Päckchen wollen gepackt werden. Und so schreibe ich Karten und packe Päckchen was das Zeug hält.

Letztere stellen mich mitunter vor unerwartete Probleme.

Jahrelang haben sich Rollen von Geschenkpapier und wattierte Umschläge in allerlei Größen hier gestapelt. Versandmaterial haben wir dummerweise dann aber Ende letzten Jahres ausgemistet. Ballast abwerfen. Befreit ja angeblich. Der Gedanke dahinter war auch: wir versenden ja doch kaum etwas. Stimmte ja auch für die ersten sieben Jahre, die wir hier wohnen und die vier Jahre davor in Brabant.

Doch 2020 ist alles anders. Und ich wäre wirklich froh, wenn ich den "Ballast" von damals, Winter 2019, nun noch hätte. Denn jetzt wird es gelegentlich eng. Eins der Geschenke, das auf den Weg nach Deutschland musste, hatte ein so unmögliches Format, dass der größte wattierte Umschlag unseres traurigen Restes an Verpackungen innen exakt 5mm zu schmal war. Hier war Improvisationskunst gefragt. Sollte in einem Musikerhaushalt ja aus dem Ärmel geschüttelt vorhanden sein, oder? Jedenfalls, im Dorf kann ich nirgends eine Versandtasche von 43x35 cm Innenmaß kaufen, und ich weiß auch in der gesamten Umgebung keinen Laden, wo ich sowas finden könnte. Wahrscheinlich in der Stadt Groningen im Fachhandel. Und einzeln bestellen geht natürlich auch nicht. Mindestanzahl 25 Stück.

Vielleicht auch hätte ich diesen Regeln folgen sollen?

Also fürs nächste Mal: Augen auf bei Impulsbestellungen von Geschenken: denke an Abmessungen, Gewicht, Transportempfindlichkeit, Zerbrechlichkeit!

Und das Geschenkpapier? Die Vorräte sind beinahe aufgebraucht; das Jahr über gab's ja auch Geburtstage. Normalerweise fülle ich meinen Vorrat an Geschenkver-packung beim Stromern durch diverse Läden, meistens in Frankfurt, auf. Stromern durch Läden entfällt. Frankfurt auch. Die Auswahl im coop hier ist ziemlich begrenzt und nicht so ganz nach meinem Geschmack. Übrigens Frankfurt - im Schrank dortselbst….. Ihr ratet es schon. Genau: Geschenkpapiervorräte! Gerade Weihnachtsaufmerksamkeiten habe ich nämlich meistens dort nicht nur gekauft, sondern auch eingepackt.

Jedenfalls – wegen all dem: Weihnachtsstress mitten in der 'Stille' des Lockdowns.

Dies Jahr sponsere ich nicht die Deutsche Bahn mit Frankfurt-Reisen bzw. Zuidbroek-Reisen. Dies Jahr verdient Post-NL sich an meinem Porto eine goldene Nase.

Hoffentlich gehören auch hier, wie in Deutschland, Fahrradläden und Postagenturen zu den lebensnotwendigen Geschäften. Hier im Dorf ist dies nämlich Two-in-one. Sonst würden aus den noch aufzugebenden Weihnachtssendungen – "Neujahrssendungen". Wenn nach dem 19.1. alles wieder geöffnet wird.
Wenn.

Freitag, 11. Dezember 2020

Obrigkeitshörigkeit

 

 

 

 


In Zeiten wie diesen, in denen jeder kritische und denkende Mensch täglich neu für sich selbst mit der Frage konfrontiert ist, wie er oder sie sich gegenüber Obrigkeitlichem Handeln positioniert, das unter der Argumentation, doch nur das Gute zu wollen, immer mehr und mehr eingreift in bislang für unverletzbar gehaltene Grundrechte, bekommen die Ergebnisse des Milgram-Experiments unerwartete Aktualität.

Vor beinahe 60 Jahren führte der Sozialpsychologe Stanley Milgram an der US-Eliteuniversität Yale einen Versuch durch, der seinerzeit für Entsetzen und Aufsehen gesorgt hatte. Und jedem, der darüber liest, noch immer den kalten Schweiß in den Nacken treiben kann. Freiwillige sollten in einem angeblichen 'Versuch zum Lernverhalten' Stromschläge an Testpersonen austeilen, wenn diese Fragen falsch beantworteten. Die Testpersonen waren in Wirklichkeit Schauspieler, die die Stromschläge nur simulierten.

Angetrieben von einem Versuchsleiter verabreichten die Versuchsteilnehmer tatsächlich immer stärkere Stromschläge, obwohl die Testpersonen um Gnade bettelten und vor Schmerz schrien – bis hin zu tödlichen Stromschlägen von 450 Volt. Das Experiment gilt seitdem als Paradebeispiel dafür, wie Menschen bereit sind, einer Autorität zu gehorchen, Befehle auszuführen und dabei auch Grausamkeiten zu begehen

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Das Fachmagazins 'British Journal of Social Psychology' berichtet im Sommer 2014, dass Wissenschaftler sich noch einmal ausführlich mit jenem Experiment vom Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts beschäftigt haben. Ihre Fragestellung: sind aus den damaligen Versuchsergebnissen die richtigen Schlussfolgerungen gezogen worden? Haben die Probanden, die damals die vermeintlich tödlichen Stromschläge verabreichten, wirklich aus blindem Befehlsgehorsam gehandelt? Oder welche anderen Motive könnten ihr Handeln angetrieben haben?

Sie werteten die in den Archiven der Uni Yale gefundenen schriftlichen Rückmeldungen von 659 der Versuchsteilnehmer aus – und waren überrascht, dass viele davon sehr positiv waren. „Man kann sich nur gut fühlen, wenn man Teil eines so wichtigen Experiments war", schrieb ein Teilnehmer. „Ich habe das Gefühl, ein bisschen zur Entwicklung des Menschen und seinem Umgang mit anderen beigetragen zu haben", schrieb ein anderer.

Das könnte darauf schließen lassen, dass die Versuchsteilnehmer erleichtert waren zu erfahren, niemandem Schmerz zugefügt zu haben. Die Studienautoren haben aber eine andere Schlussfolgerung: Die Versuchsteilnehmer hatten das Gefühl, eine Pflicht erfüllt und einem höheren Ziel gedient zu haben.

Milgram hatte ihnen vor den Versuchen eingeimpft, dass sie der Wissenschaft dienen würden.
Die Versuchsteilnehmer, so die Studie, hätten nicht einfach nur dem Versuchsleiter gehorcht, als sie immer stärkere Stromschläge verabreichten – sondern aus eigenem Antrieb gehandelt, weil sie überzeugt waren, das Richtige zu tun.

Der Ko-Autor der Nachstudie, Alex Haslam von der australischen Universität Queensland, argumentiert: die Teilnehmer seien nicht einfach nur „Zombies" gewesen, „die nicht wussten, was sie tun. (…) Wir glauben, dass hinter jedem tyrannischen Verhalten eine Art der Identifikation steht, und

damit eine Entscheidung.“ Milgram habe seine Versuchsteilnehmer davon überzeugt, dass es "akzeptabel ist, im Dienste der Wissenschaft Dinge zu tun, die sonst unvorstellbar sind".

Stephen Reichert von der schottischen Universität St. Andrews erklärte: „Wir argumentieren, dass die Menschen sich dessen bewusst sind, was sie tun, dass sie aber glauben, das Richtige zu tun. Das kommt von einer Identifizierung mit der Sache - und der Akzeptanz, dass die Autorität ein legitimier Vertreter dieser Sache ist."

Diese neuen Schlussfolgerungen machen beinahe noch nachdenklicher als diejenigen von Milgram.
Sicher in diesen Zeiten.

Inspirationsquelle: Newsbrief von Steffen Lohrer vom 6. Dezember 2020, darin zitierend einen Bericht aus dem Ärzteblatt.

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