Alle Gefühle waren schon auf Frühling eingestellt. Nachdem auch die Zwiebelpflanzen
im Garten bereits ausufernd Blatt getrieben hatten und ich vor ein paar Tagen
sogar blühende Narzissen im Pärkchen hier im Dorf gesehen hatte, stand mir der
Sinn wirklich nicht mehr nach Winter.
Und dann
plötzlich am Freitag das:
das Königlich Niederländische Meteorologische Institut
KNMI kündigt für Sonntag "Code rood", höchste Warnstufe wegen gefährlichen,
in diesem Fall Winterwetters an. Man wurde eindringlich gebeten, zuhause zu bleiben!
Schon wieder zuhausebleiben? Das hatten wir doch schon öfter gehört in den letzten 12 Monaten?! Auf facebook fand ich dann auch prompt nebenstehende Grafik.
Text:
CODE ROOD - BLEIB ZUHAUSE!
Aber war das jetzt wegen des Coronavirus oder wegen des drei Tage dauernden Horrorwinters???Wie auch immer - ein Schneesturm war im Anmarsch, mit
substantiellen Niederschlägen und Windböen bis 70 km/h.
An den beiden
Tagen davor war es noch jeweils so um die 5 bis 7 Grad tagsüber, der Wind war
gut auszuhalten. Nichts, aber auch gar nichts ließ sich erahnen von dem, was da
vorhergesagt war.
Am Samstag liefen
alle mit gespanntem "Ruhe vor dem Sturm"-Gefühl herum, ohne dass auch
nur ein bisschen was von dem bevorstehenden Temperatursturz und dem Wind zu fühlen
war. Allerdings war der Supermarkt voller als sonst, wenn ich von der enormen
Fülle auf dem Parkplatz schließen durfte. Und in den Nachrichten wurde berichtet,
dass viele Menschen ihre Einkaufswagen wieder so voll gepackt hatten wie Hamster
ihre Backen.
Gegen Abend kühlte
es dann merklich ab, und irgendwann in der Nacht ging es los mit dem Sturmgebraus
aus dem Osten und dem Schneefall. Ich schlief schlecht, der Lärm des Sturmes in
den Baumwipfeln drang bis in meinen Schlaf und machte mich unruhig.
Gestern Morgen
dann zeigte sich die Welt verändert. Nicht alles komplett unter einen weißen
Decke, sondern mancherorts aufgehäufter Schnee und an anderer Stelle kahle
Flächen.

Aber sowohl Schneefall als auch Sturm gingen weiter. Schon früh zeigte
sich, dass unsere nach Süden liegende Terrasse windtechnisch bei Ost-Nord-Ost-Sturm
eine besondere Stelle ist. Östlich begrenzt sie der Anbau mit Wirtschaftsraum
und Garage, westlich eine Veranda der Nachbarn und der blickdichte und fast
winddichte Zaun zu deren Garten. So entsteht eine Art Hof, in der der Wind
wunderbar wirbeln konnte. Er wirbelte natürlich nicht ohne Schnee, im Gegenteil
brachte er reichlich davon aus dem Garten und vom Flachdach unserer Garage mit.
In kürzester Zeit entstanden wunderliche Gebilde.
Ein während einer
Schneefallpause mittags freigeschaufelter Pfad über die Terrasse und um die
Ecke herum quer durch den Garten zu den
Abfallbehältern war schnell wieder
zugeschneit und nach wenigen Stunden nicht mehr zu erkennen.
Heute Morgen
dann, der Schneesturm war über Nacht fröhlich weitergegangen, konnte ich auf der
Terrasse eine stellenweise mehr als 1 m hohe, an eine alpine Gebirkskette mit
Vorland erinnernde Schneeskulptur bewundern.
Da hätte ich
natürlich innerlich jubeln können: So etwas Schönes!
Das Erste
allerdings, was mir einfiel war: ohje, das müssen wir nachher alles
wegschippen! Was für eine Arbeit! Natürlich wollte ich es gleich wieder
perfekt haben, um zu verhindern, dass der Wind erneut alles vollwehen würde. Und
wie würde die Ausfahrt aussehen? Und die Straße? ohjeohje… können wir in einem
Notfall überhaupt mit dem Auto noch weg? Dass wegen der Wetterzustände die
Schulen heute geschlossen blieben (an sich hatten ab heute auch Grundschulkinder
wieder zur Schule gehen sollen), hatte ich schon gehört. Und dass die regionale
Tageszeitung nicht ausgeliefert werden würde. Was, wenn nun auch die Belieferung
unseres Supermarktes nicht stattfinden könnte? Können wir überhaupt noch die
Sachen kaufen, die wir nötig haben? Ausgerechnet jetzt ist unser Vorrat an
Gemüse besonders schmal, weil letzte Woche importierte Biogemüse aus Spanien
teils nicht geliefert worden waren. Und wenn dann auch am Freitag die Belieferung
des Hofladens, bei dem wir immer einkaufen mit den zugekauften Lebensmitteln,
wie z.B: Milchprodukten nicht klappt? Holterdipolter befand ich mich mitten im
allerdramatischsten, überrealistischen Kopfkino in perfektem Technicolor.

Ähm??? Was geht'n
hier ab??? So hab ich ja noch nie gedacht angesichts eines Wintereinbruchs! Ich
kann kaum fassen, was diese kuriose Zeit mit ihren nun seit einem Jahr über uns
ausgegossenen, immer neuen Panik-Wellen und Angstmachereien in mir verändert hat.
Dies Gefühl, nichts auf die bis Februar 2020 gewohnte Weise angehen und bewältigen zu können
bzw. dürfen, nimmt mir bei neu auftauchenden Hindernissen im ersten Moment jene
Sicherheit, die bislang zum Leben gehörte, dies selbstverständliche Gefühl,
dass in unserer gut eingerichteten Lebensumgebung nichts grundlegend
schiefgehen kann.
Da war sie
wieder, die Aufforderung, innerlich und bewusst Ruhe in die Situation zu
bringen.
Den Blick auf das
Geschehen zu verändern. Und damit zu verändern, wie ich in der Situation stehe.
Inzwischen waren
draußen die ersten Kinderstimmen zu hören. Die Schlitten waren von den
Dachböden oder aus den hintersten Ecken der Garagen geholt worden. 'Homeoffice'- bzw. Kurzarbeits-Eltern zogen ihren begeisterten Nachwuchs auf Kufen durch den Schnee. Wobei die Schneedecke
nicht überall geschlossen war, der Wind hatte das weiße Glück ganz unregelmäßig
verteilt. Tat aber dem Vergnügen keinen Abbruch. Ansteckende Fröhlichkeit war
allüberall zu spüren.
In den
Zierapfelbäumchen unserer Nachbarn nahm ich Bewegung wahr. Die ersten
Wacholderdrosseln waren da und pickten mit Verve an den tiefgefrorenen
Äpfelchen herum. Bisschen mühsam, das Loseisen des Fruchtfleisches, aber doch
von Erfolg gekrönt. Bis eine dicke Amsel erschien und den Platzhirsch gab. Weg Wacholderdrosseln.
Siegesbewusst drauflospickte die Amsel.
Dann rief mich mein
Mann nach oben in den ersten Stock, zu einem der Fenster, von denen aus man auf
das Pärkchen schauen kann. Ein Nachbarsjunge und seine schwarz-weißer Mecheler
Schäferhund spielten im Schnee. Der Hund konnte gar nicht genug kriegen davon,
im Schnee herumzuspringen und nach kleinen Schneebällen zu schnappen, die der Junge
ihm zuwarf. Schnee spritzte nach allen Seiten, und der Hund hatte so einen kindlichen
Spaß – das übertrug sich auf uns beide beim bloßen Zusehen.

Später am
Vormittag, ich hatte gerade mal wieder mit schreckgeweiteten Augen den pseudoalpinen
Gebirgszug auf unserer Terrasse angesehen, verkündete mein Mann, dass er jetzt mit
dem Schneeschippen anfangen würde. Pragmatisch schaufelte er los. Genau einen
Schneeschieber breit grub er uns einen Gang in den aufgehäuften Schnee. Zwischen
den Gebirgszug und das Vorland. Die kleine Perfektionistin in mir meckerte los.
Jedoch verstummte das innere Gemecker, je mehr der Pfad sich der Vollendung
näherte. Unmerklich hatte sich mit der Zeit mein Blick verändert. Der irrsinnigen
Gedanke, alles freischaufeln zu müssen, hatte sich in Luft aufgelöst.
Nun konnte ich die
Schönheit dieser durch Wind und Schneefall entstandenen Miniaturlandschaft endlich
wieder genießen. Und mich an der weißen Landschaft draußen freuen. Daran auch
freuen, dass das Weiß das Licht reflektiert und es im Haus dadurch so hell war
wie seit Beginn der dunklen Jahreszeit nicht mehr.
Jetzt, am Abend,
sitze ich am Schreibtisch und freue mich auf die kommenden Wintertage. Der Wind
hat schon nachgelassen, irgendwann wird auch die Sonne zum Vorschein kommen. Wunderschöne
Winterspaziergänge warten auf mich.