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Dienstag, 9. Februar 2021

Doch noch Winter

 

Alle Gefühle waren schon auf Frühling eingestellt. Nachdem auch die Zwiebelpflanzen im Garten bereits ausufernd Blatt getrieben hatten und ich vor ein paar Tagen sogar blühende Narzissen im Pärkchen hier im Dorf gesehen hatte, stand mir der Sinn wirklich nicht mehr nach Winter.

Und dann plötzlich am Freitag das:
das Königlich Niederländische Meteorologische Institut KNMI kündigt für Sonntag "Code rood", höchste Warnstufe wegen gefährlichen, in diesem Fall Winterwetters an. Man wurde eindringlich gebeten, zuhause zu bleiben!

Schon wieder zuhausebleiben? Das hatten wir doch schon öfter gehört in den letzten 12 Monaten?! Auf facebook fand ich dann auch prompt nebenstehende Grafik.
Text: CODE ROOD - BLEIB ZUHAUSE!
Aber war das jetzt wegen des Coronavirus oder wegen des drei Tage dauernden Horrorwinters???

Wie auch immer - ein Schneesturm war im Anmarsch, mit substantiellen Niederschlägen und Windböen bis 70 km/h.

An den beiden Tagen davor war es noch jeweils so um die 5 bis 7 Grad tagsüber, der Wind war gut auszuhalten. Nichts, aber auch gar nichts ließ sich erahnen von dem, was da vorhergesagt war.

Am Samstag liefen alle mit gespanntem "Ruhe vor dem Sturm"-Gefühl herum, ohne dass auch nur ein bisschen was von dem bevorstehenden Temperatursturz und dem Wind zu fühlen war. Allerdings war der Supermarkt voller als sonst, wenn ich von der enormen Fülle auf dem Parkplatz schließen durfte. Und in den Nachrichten wurde berichtet, dass viele Menschen ihre Einkaufswagen wieder so voll gepackt hatten wie Hamster ihre Backen.

Gegen Abend kühlte es dann merklich ab, und irgendwann in der Nacht ging es los mit dem Sturmgebraus aus dem Osten und dem Schneefall. Ich schlief schlecht, der Lärm des Sturmes in den Baumwipfeln drang bis in meinen Schlaf und machte mich unruhig.

 


Gestern Morgen dann zeigte sich die Welt verändert. Nicht alles komplett unter einen weißen Decke, sondern mancherorts aufgehäufter Schnee und an anderer Stelle kahle Flächen. 

 

 

Aber sowohl Schneefall als auch Sturm gingen weiter. Schon früh zeigte sich, dass unsere nach Süden liegende Terrasse windtechnisch bei Ost-Nord-Ost-Sturm eine besondere Stelle ist. Östlich begrenzt sie der Anbau mit Wirtschaftsraum und Garage, westlich eine Veranda der Nachbarn und der blickdichte und fast winddichte Zaun zu deren Garten. So entsteht eine Art Hof, in der der Wind wunderbar wirbeln konnte. Er wirbelte natürlich nicht ohne Schnee, im Gegenteil brachte er reichlich davon aus dem Garten und vom Flachdach unserer Garage mit. In kürzester Zeit entstanden wunderliche Gebilde.

Ein während einer Schneefallpause mittags freigeschaufelter Pfad über die Terrasse und um die Ecke herum quer durch den Garten zu denAbfallbehältern war schnell wieder zugeschneit und nach wenigen Stunden nicht mehr zu erkennen.

 

 

 

 

 

 

Heute Morgen dann, der Schneesturm war über Nacht fröhlich weitergegangen, konnte ich auf der Terrasse eine stellenweise mehr als 1 m hohe, an eine alpine Gebirkskette mit Vorland erinnernde Schneeskulptur bewundern.


 

Da hätte ich natürlich innerlich jubeln können: So etwas Schönes!

Das Erste allerdings, was mir einfiel war: ohje, das müssen wir nachher alles wegschippen! Was für eine Arbeit! Natürlich wollte ich es gleich wieder perfekt haben, um zu verhindern, dass der Wind erneut alles vollwehen würde. Und wie würde die Ausfahrt aussehen? Und die Straße? ohjeohje… können wir in einem Notfall überhaupt mit dem Auto noch weg? Dass wegen der Wetterzustände die Schulen heute geschlossen blieben (an sich hatten ab heute auch Grundschulkinder wieder zur Schule gehen sollen), hatte ich schon gehört. Und dass die regionale Tageszeitung nicht ausgeliefert werden würde. Was, wenn nun auch die Belieferung unseres Supermarktes nicht stattfinden könnte? Können wir überhaupt noch die Sachen kaufen, die wir nötig haben? Ausgerechnet jetzt ist unser Vorrat an Gemüse besonders schmal, weil letzte Woche importierte Biogemüse aus Spanien teils nicht geliefert worden waren. Und wenn dann auch am Freitag die Belieferung des Hofladens, bei dem wir immer einkaufen mit den zugekauften Lebensmitteln, wie z.B: Milchprodukten nicht klappt? Holterdipolter befand ich mich mitten im allerdramatischsten, überrealistischen Kopfkino in perfektem Technicolor.

Ähm??? Was geht'n hier ab??? So hab ich ja noch nie gedacht angesichts eines Wintereinbruchs! Ich kann kaum fassen, was diese kuriose Zeit mit ihren nun seit einem Jahr über uns ausgegossenen, immer neuen Panik-Wellen und Angstmachereien in mir verändert hat. Dies Gefühl, nichts auf die bis Februar 2020 gewohnte Weise angehen und bewältigen zu können bzw. dürfen, nimmt mir bei neu auftauchenden Hindernissen im ersten Moment jene Sicherheit, die bislang zum Leben gehörte, dies selbstverständliche Gefühl, dass in unserer gut eingerichteten Lebensumgebung nichts grundlegend schiefgehen kann.

 

 

 

Da war sie wieder, die Aufforderung, innerlich und bewusst Ruhe in die Situation zu bringen.

Den Blick auf das Geschehen zu verändern. Und damit zu verändern, wie ich in der Situation stehe.


Inzwischen waren draußen die ersten Kinderstimmen zu hören. Die Schlitten waren von den Dachböden oder aus den hintersten Ecken der Garagen geholt worden. 'Homeoffice'- bzw. Kurzarbeits-Eltern zogen ihren begeisterten Nachwuchs auf Kufen durch den Schnee. Wobei die Schneedecke nicht überall geschlossen war, der Wind hatte das weiße Glück ganz unregelmäßig verteilt. Tat aber dem Vergnügen keinen Abbruch. Ansteckende Fröhlichkeit war allüberall zu spüren.

In den Zierapfelbäumchen unserer Nachbarn nahm ich Bewegung wahr. Die ersten Wacholderdrosseln waren da und pickten mit Verve an den tiefgefrorenen Äpfelchen herum. Bisschen mühsam, das Loseisen des Fruchtfleisches, aber doch von Erfolg gekrönt. Bis eine dicke Amsel erschien und den Platzhirsch gab. Weg Wacholderdrosseln. Siegesbewusst drauflospickte die Amsel.

Dann rief mich mein Mann nach oben in den ersten Stock, zu einem der Fenster, von denen aus man auf das Pärkchen schauen kann. Ein Nachbarsjunge und seine schwarz-weißer Mecheler Schäferhund spielten im Schnee. Der Hund konnte gar nicht genug kriegen davon, im Schnee herumzuspringen und nach kleinen Schneebällen zu schnappen, die der Junge ihm zuwarf. Schnee spritzte nach allen Seiten, und der Hund hatte so einen kindlichen Spaß – das übertrug sich auf uns beide beim bloßen Zusehen.

Später am Vormittag, ich hatte gerade mal wieder mit schreckgeweiteten Augen den pseudoalpinen Gebirgszug auf unserer Terrasse angesehen, verkündete mein Mann, dass er jetzt mit dem Schneeschippen anfangen würde. Pragmatisch schaufelte er los. Genau einen Schneeschieber breit grub er uns einen Gang in den aufgehäuften Schnee. Zwischen den Gebirgszug und das Vorland. Die kleine Perfektionistin in mir meckerte los. Jedoch verstummte das innere Gemecker, je mehr der Pfad sich der Vollendung näherte. Unmerklich hatte sich mit der Zeit mein Blick verändert. Der irrsinnigen Gedanke, alles freischaufeln zu müssen, hatte sich in Luft aufgelöst.

Nun konnte ich die Schönheit dieser durch Wind und Schneefall entstandenen Miniaturlandschaft endlich wieder genießen. Und mich an der weißen Landschaft draußen freuen. Daran auch freuen, dass das Weiß das Licht reflektiert und es im Haus dadurch so hell war wie seit Beginn der dunklen Jahreszeit nicht mehr.


 

Jetzt, am Abend, sitze ich am Schreibtisch und freue mich auf die kommenden Wintertage. Der Wind hat schon nachgelassen, irgendwann wird auch die Sonne zum Vorschein kommen. Wunderschöne Winterspaziergänge warten auf mich.


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