Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Montag, 14. März 2022

Schockstarre

Noch immer ist mir viele Stunden des Tages zum Heulen. Ich fühle Angst. Fühle mich ohnmächtig.
Ausgeliefert. Es werden über meinen Kopf hinweg – wieder einmal – Entscheidungen getroffen von unendlicher Tragweite. Dagegen scheint alles, was in den vergangenen zwei Jahren im Zusammenhang mit dem großen C beschlossen und ausgeführt wurde, beinahe ein Spaziergang.

Tief in mir drin versteht es nicht, wieso Menschen einfach so entscheiden, über andere Menschen unermessliches Leid zu bringen. Wieso Menschen immer noch gefangen sein können in diesem unsäglichen "Auge um Auge"-Denken. Solange es Menschen gibt, hat das noch nie zu etwas Gutem, noch nie zu nachhaltigem Frieden geführt. 

"Nein, meine Söhne geb ich nicht" – Reinhard Mey & Freunde

Tief in mir drin versteht es nicht, wie Menschen in der Lage sind, zum Durchsetzten ihrer Agenda, dessen, was sie persönlich als für die gesamte Menschheit "gut" finden, so viel Leid auszuschütten über ihre menschlichen und alle anderen Mit-Wesen.
Unsere Geschichte ist voll davon, und es geht offenbar noch immer weiter.

Ich erinnere mich an die Erzählungen unserer Eltern. Unserer Großmutter, die im Bunkerkeller unter der Elisabethenkirche in Frankfurt am Main verschüttet war und durch die Druckwelle oder herumfliegende Splitter ein Auge verlor. Sehe die Narben am  Rücken meines Vaters, der Sanitäter war im Krieg – hervorgerufen durch einen Granatsplitter, nur Millimeter neben der Wirbelsäule. Und auch er hatte ein Auge verloren durch einen  weiteren Granatsplitter. Und musste nach dem Genesen der Wunden erneut "ins Feld".

Ich sitze hier, fühle den Schmerz, fühle die Angst, weine ihre Tränen (die sie vielleicht nie geweint haben) um alles, was sie verloren haben von ungetrübter Lebensfreude über Gesundheit zu Angehörigen und Wohnung und Eigentum.

Weine meine Tränen der Angst und über den Verlust von Frieden, Freiheit, Menschenwürde und Lebensfreundlichkeit, geopfert auf dem Altar der Machtspiele. All die Jahrzehnte schon.
Und jetzt wieder.

Muss das wirklich alles noch einmal beginnen?
Schon wieder ?!?
Und jetzt auch noch wieder mit Deutschland in einer Schlüsselrolle.

So gesellt sich zur Trauer noch Scham.

Ich sitze hier, und es weint in mir. Ich drohe zu ertrinken in diesem Konglomerat aus Gefühlen, Emotionen. Ich fühle den Schmerz all derer, deren Leben geopfert wurden, deren Leben zerstört wurden in den vielen, vielen Kriegen nach dem 2. Weltkrieg. In denen es immer, immer, nur um Vorherrschaft und ökonomischen Vorteil ging. Auch, wenn angeblich 'religiöse' Gründe ins Feld geführt wurden. Oder 'humanitäre'.

Ein persönliches Statement zur Friedfertigkeit aus buddhistischer Sicht 

Ich sitze hier, und es weint in mir auch aus Ent-Täuschung. Auf einem neuen Niveau begreife ich, was im Verlauf der vergangenen zwei Jahre immer deutlicher wurde: dass nämlich schon lange, sehr lange Vieles nicht so war, wie es schien. Jetzt ist dies lediglich nicht mehr zu übersehen.
Nun muss ich es erkennen: Unser "Frieden" war kein Friede.
Unsere "Wahrheiten" waren nicht die Wahrheit.

Nur
wird jetzt erst die Zwietracht auf allen Ebenen unübersehbar.

Ich will diese Gefühle nicht fühlen müssen.
Will diese Emotionen nicht haben.
Und doch weiß ich, der einzige Weg, sinnvoll damit umzugehen, ist: sie wahrzunehmen. Sie zu fühlen. Die Tränen zu weinen. Die Angst, die Ohnmacht wahr zu nehmen.
Sie sind ja da.
Aber das tut so weh.
Ja. Tut es.
Aber danach wird es besser.
Es kann gut sein, dass ich diese Schleife noch einige Male drehen muss.
Aber es ist das einzige was hilft, will ich nicht blind mich mitreißen lassen und aus einer Identifikation heraus Partei ergreifen und so mit dazu beitragen, das Ganze anzutreiben.
Anstatt ihm die Energie zu entziehen.

Also gehe ich ins innere Gespräch mit meinen Emotionen. Lasse die Tränen laufen. Und tatsächlich werden sie wieder weniger. Setze mich hin, schreibe auf.

Logo des Friedenszirkels, einer Initiative von
Antoinette Haering

Und dann besinne ich mich:

"Wenn du dich jetzt hilflos fühlst, dann ist auch dies ein Trugschluss, denn du hast es in der Hand, einen riesigen Beitrag zu leisten, dass auf diesem Planenten endlich nachhaltig Frieden herrscht. Wie?

Indem du deine Schmerz- und deine Aggressionsanteile annimmst und transformierst. Das ist möglich, indem du aufhörst, sie zu verdrängen und stattdessen im Aussen den*die grossen Macker*in zu spielen. Indem du den Mut hast, dich deinem eigenen Schmerz zu stellen, ihn anzunehmen und ihm deine Liebe zu schenken, sodass er sich transformieren darf und kann.

Indem du dich mit dir selbst und all deinen Schmerz-, Aggressions- und Wutanteilen versöhnst, findest du zu deinem inneren Frieden, zum Frieden in dir und zum Frieden mit dir. Das ist der grösste Beitrag, den du leisten kannst. Denn auch das wird von deinem Umfeld, wird von der Welt wahrgenommen.

Je mehr Frieden, je mehr Versöhnung wir in unseren Herzen tragen, umso mehr darf auch diese Welt heilen mit all ihren Menschen." (Antoinette Haering, aus dem Newsletter vom 4.3.2022 "Wie geht Frieden")

 

Nun kann ich auch wieder in die Stille gehen, mich mit dem Licht verbinden.
Vielleicht unterstützt von einer Metta-Meditation.
Denn ich habe ein wenig Licht in mein eigenes Dunkel gebracht.

Was eine Fortsetzungsgeschichte ist.
Ganz sicher.

 

 

Ein sehr sehenswertes Video zum Thema ist dieses Gespräch mit Eugen Drewermann zur aktuellen Situation:
"Drewermann antwortet seinen Kritikern".

(Dank an Anke für den Hinweis auf dieses Video.)

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