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Donnerstag, 2. Juli 2020

Augenarzt


Auch ich konnte durch den Lockdown bestimmte Arzttermine nicht wahrnehmen. Eine eigentlich notwendige Kontrolle beim Augenarzt wurde von Ende März nach Oktober verschoben.

Naja, nicht ganz. Gestern musste ich von jetzt auf gleich meine Augen nachsehen lassen. Hier in Frankfurt.

Bislang hatte ich bezüglich bestimmter Aspekte des niederländischen Gesundheitssystems schwere Vorbehalte. Z.B. gegenüber der Tatsache, dass Fachärzte nicht frei gewählt werden können. In den Niederlanden existieren ausschließlich Polikliniken, in denen angestellte Fachärzte arbeiten. Menschen werden durch ihre Hausärzte dorthin überwiesen, wobei in städtischer Umgebung, in der mehrere Krankenhäuser mit den ihnen angeschlossenen Polikliniken existieren, eine gewissen Wahlfreiheit besteht. Auf welche Ärztin/welchen Arzt man dann in der Poliklinik trifft, ist Zufall. Es ist nicht möglich zu sagen: ich möchte gerne zu Herrn Dr. Y oder Frau Dr. X. Idealerweise hat man dann zukünftig aber immer Kontakt mit derselben Ärztin/Arzt.
Andererseits: es gibt im niederländischen Gesundheitswesen kein zwei-Klassen-System. Es gibt keine "Privatpatienten". In den Unikliniken machen die Damen und Herren Professores genauso Dienst in der Normalsprechstunde wie alle anderen Ärztinnen und Ärzte.
Und alle Mitarbeitenden in den Krankenhäusern sind ausgebildet, sich gegenüber den Patient/inn/en respektvoll und patientenzentriert zu verhalten. Alle. Von der Sekretärin bis zum höchstdekorierten Facharzt/-ärztin. Die Patientenzufriedenheit wird mit regelmäßigen Fragebogen-Aktionen überprüft.

Wie hoch das zu wertschätzen ist, weiß ich seit gestern.

Die Beschwerden am Auge, mit denen ich kämpfte, können zu einem relativ harmlosen "Alterungsprozess" gehören, aber auch Anzeichen für Schäden an der Netzhaut sein. Deswegen werden meine Augen ja regelmäßig kontrolliert. Eigentlich.
In meiner Not wandte ich mich an eine Praxis, in der ich vor vier Jahren hervorragende Erfahrungen gemacht hatte. Damals hatte der mir noch relativ jung erscheinende Arzt sich gerade niedergelassen. Gut gelaunt, kompetent und mich patientenzentriert ernst nehmend hatte er mich damals behandelt. War auf alles gut eingegangen und hatte sich ausreichend Zeit genommen.

Damals.

Schon am Telefon hatte ich es jetzt mit einer schnippischen, jugendlichen Assistentin zu tun. Ein späterer Blick auf die Website lehrte mich, dass Herr Dr. ausschließlich zwei Auszubildende beschäftigt hat, keine voll ausgebildete Arzthelferin.
Das Schnippische setzte sich in der Praxis fort. Meine Daten waren von damals noch im PC, aber ich musste das Anmeldeformular erneut ausfüllen. Als ich das nicht in der erwarteten Zeit erledigt hatte – wer kennt schon die Postleitzahl der Haus- und Augenarztpraxis, hier musste Rat im www gesucht werden – war das schnippische Fräulen überdeutlich 'not amused'.

Im gleichen Fall in der NL-Klinik hätte ich zu hören bekommen: Ist in Ordnung, mevrouw, nehmen Sie sich in aller Ruhe die Zeit, die Sie brauchen. 
Ernst gemeint. Nicht zynisch.

Nächster Schritt: die Voruntersuchungen. Durch die Assistentinnen-Lehrlinge. Alles sehr husch-husch und wie am Fließband. Es waren gleichzeitig mit mir fünf Mitpatient/inn/en im Wartezimmer gewesen.
Dann mussten die Pupillen-erweiternden Tropfen ins Auge gegeben werden. Hier war es überdeutlich zu merken, dass mir eine Azubine gegenüber saß. Sie tropfte enorm ungeschickt, 2/3 gingen daneben, das machte aber nichts bezüglich des benötigten Effektes, denn sie drückte so hart auf das Fläschchen, dass ein dicker Schwung auf einmal herauskam. Vom Tränenkanal zuhalten hatte sie offenbar noch nie gehört (in 'meiner' niederländischen Augenklinik Standard, die Tropfen können sonst auch auf den restlichen Körper wirken). Und um die nun an meiner Wange Richtung Maske laufende Flüssigkeit wegtupfen zu können, musste ich um einen Zellstofftupfer bitten. Die Azubine hatte nicht einmal gemerkt, dass meine Wange nass war wie bei einem Heulanfall.

Wie sehnte ich mich nach der Augenklinik in Groningen, in der die medizinischen Assistentinnen, die diese ganzen Voruntersuchungen tun, ein eigenes Sprechzimmer haben, in dem alles gelassen und in Ruhe abläuft. Auszubildende laufen immer mit voll ausgebildeten Kräften mit, und man wird explizit um Einverständnis gefragt, wenn sie praktische aktiv werden sollen. Die Anamnese, auf der basierend später die Ärztin mir begegnet, wird sehr sorgfältig aufgenommen. Die Tropfen werden sehr wohldosiert, aufmerksam und sorgsam verabreicht, und selbstverständlich wird der Tränenkanal zugehalten und erhalte ich einen Zellstofftupfer, um das dann selbst weiter zu tun. Die ganze Zeit bekomme ich das Gefühl vermittelt, nicht nur als "Verdacht auf…" dazusitzen, sondern als Mensch mit Gesundheitsbeschwerden wahrgenommen und ernst genommen zu werden.

Zurück ins Frankfurter Wartezimmer, in dem ich nun mit meinem getropften Auge saß und warten durfte, bis die Tropfen wirkten. Und schon steht wieder eine Assistentin an meinem Stuhl und verpasst mir, ohne zu kontrollieren, ob es überhaupt nötig ist, eine zweite Ladung der gleichen Tropfen. Ich bat sie noch, doch erst zu kontrollieren – aber das wischte sie weg mit einem Hinweis auf meine dunklen Augen, bei denen man immer zweimal tropfe. Überdosis. Das merkte ich später am Tag, denn ich hatte 12 Stunden später noch immer Sehprobleme. Immerhin war diese Helferin in Ausbildung schon ein Ausbildungsjahr weiter und somit erfahrener, dosierte besser und hatte ein Stückchen Zellstoff für mich zum trockentupfen mitgebracht. Damit konnte ich mir dann selbst den Tränenkanal zuhalten.

Irgendwann später wurde ich von einem Arzt in modischem Schwarz ins Sprechzimmer gerufen. Vom Sehen her beeinträchtigt, fiel mir nicht gleich auf, dass das nicht mein Dr. von damals war. Er war zwar auch jung, sah aber irgendwie völlig anders aus als der Arzt, den ich in Erinnerung hatte.
Er hielt es nicht für nötig, sich mir vorzustellen und somit das Rätsel zu lösen. Vage schoss mir durch den Kopf, dass auf der Website gar nichts stand von weiteren, in der Praxis mitarbeitenden Ärzten…

Kurze Frage nach den Symptomen, die er auf dem Bildschirm vor sich aufgeschrieben sah. Routinierte, aber auch sehr abgezirkelte Schnell-Schnell-Untersuchung. Mitteilung, dass das vorläge, was mir schon bekannt war. Plus etwas, von dem ich noch nichts wusste, aber nur im Anfangsstadium. Das sei durchaus 'altersgerecht'.
Die Netzhaut sei in Ordnung.

Damit wollte er abschließen. Leider musste er noch ein paar Fragen von mir aushalten. Was ihm nicht schmeckte. Jede Antwort gab er in einem abschließenden Tonfall. Machte aber nichts. Wofür hat der Mensch früher mal Gesprächsführung gelernt?
In diesem Nachgespräch fiel dann im Nebensatz "Der Chef operiert heute."
Ach, er sei gar nicht der Dr. Augenarzt?
Nein.
Wie nochmal sein Name sei? konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
Dass er die Botschaft begriffen hat, wage ich zu bezweifeln.

Kurze Erklärung, was ich weiter tun solle, worauf achten und dann: "In drei Wochen sehen wir Sie dann wieder zur Kontrolle!" Hä? Ich war doch als Auslands-Notfall hier ...?...
"In drei Wochen gehe ich in den Niederlanden zum Augenarzt" verbesserte ich ihn.
Hm...

Dies wäre in 'meiner' Augenklinik ebenfalls anders abgelaufen. Auch dort spricht die Ärztin kein überflüssiges Wort. Trotzdem ist ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch die Regel. Ich kann alle Fragen stellen, ohne das sie Zeitdruck erkennen lässt.

Nachdem ich mich im Nachhinein mit den Rezensionen dieser Praxis nochmal befasst habe,viel es mir wie Schuppen von den Augen.
Die Praxis hat zwar eine Bewertung von 1,6. Aber: der Löwenanteil der Bewertungen kommt von Privatpatient/inn/en oder von Leuten, die gelasert wurden oder eine andere OP hatten.
So wie es sich heute anfühlt, ist die ganze Praxis basierend auf  Zusatzleistungen und OPs gebaut. Business. Verdienmodell. Das versorgende Normalgeschäft ist nur das Kleinvieh, das auch Mist macht.

Klarer Fall von Ent-Täuschung.

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