Auch ich konnte durch den Lockdown bestimmte Arzttermine nicht wahrnehmen. Eine eigentlich notwendige Kontrolle beim Augenarzt wurde von Ende März nach Oktober verschoben.
Naja, nicht ganz.
Gestern musste ich von jetzt auf gleich meine Augen nachsehen lassen. Hier in
Frankfurt.
Bislang hatte ich
bezüglich bestimmter Aspekte des niederländischen Gesundheitssystems schwere
Vorbehalte. Z.B. gegenüber der Tatsache, dass Fachärzte nicht frei gewählt werden können. In den Niederlanden existieren ausschließlich Polikliniken, in denen angestellte Fachärzte arbeiten. Menschen werden durch ihre Hausärzte dorthin
überwiesen, wobei in städtischer Umgebung, in der mehrere Krankenhäuser
mit den ihnen angeschlossenen Polikliniken existieren, eine gewissen Wahlfreiheit besteht. Auf welche Ärztin/welchen Arzt man dann in der
Poliklinik trifft, ist Zufall. Es ist nicht möglich zu sagen: ich möchte gerne
zu Herrn Dr. Y oder Frau Dr. X. Idealerweise hat man dann zukünftig aber immer Kontakt mit derselben Ärztin/Arzt.
Andererseits: es
gibt im niederländischen Gesundheitswesen kein zwei-Klassen-System. Es gibt
keine "Privatpatienten". In den Unikliniken machen die Damen und
Herren Professores genauso Dienst in der Normalsprechstunde wie alle anderen Ärztinnen
und Ärzte.
Und alle Mitarbeitenden
in den Krankenhäusern sind ausgebildet, sich gegenüber den Patient/inn/en
respektvoll und patientenzentriert zu verhalten. Alle. Von der Sekretärin bis
zum höchstdekorierten Facharzt/-ärztin. Die Patientenzufriedenheit wird mit regelmäßigen Fragebogen-Aktionen überprüft.
Wie hoch das zu wertschätzen ist, weiß ich seit gestern.
Die Beschwerden
am Auge, mit denen ich kämpfte, können zu einem relativ harmlosen
"Alterungsprozess" gehören, aber auch Anzeichen für Schäden an der
Netzhaut sein. Deswegen werden meine Augen ja regelmäßig kontrolliert. Eigentlich.
In meiner Not
wandte ich mich an eine Praxis, in der ich vor vier Jahren hervorragende Erfahrungen gemacht hatte. Damals hatte der
mir noch relativ jung erscheinende Arzt sich gerade niedergelassen. Gut gelaunt, kompetent und mich patientenzentriert ernst nehmend hatte er mich damals behandelt. War auf alles gut eingegangen und hatte sich ausreichend
Zeit genommen.
Damals.
Schon am Telefon
hatte ich es jetzt mit einer schnippischen, jugendlichen Assistentin zu tun. Ein
späterer Blick auf die Website lehrte mich, dass Herr Dr. ausschließlich zwei
Auszubildende beschäftigt hat, keine voll ausgebildete Arzthelferin.
Das Schnippische
setzte sich in der Praxis fort. Meine Daten waren von damals noch im PC, aber
ich musste das Anmeldeformular erneut ausfüllen. Als ich das nicht in der
erwarteten Zeit erledigt hatte – wer kennt schon die Postleitzahl der Haus- und
Augenarztpraxis, hier musste Rat im www gesucht werden – war das schnippische Fräulen
überdeutlich 'not amused'.
Im gleichen Fall
in der NL-Klinik hätte ich zu hören bekommen: Ist in Ordnung, mevrouw, nehmen Sie
sich in aller Ruhe die Zeit, die Sie brauchen.
Ernst gemeint. Nicht zynisch.
Nächster Schritt:
die Voruntersuchungen. Durch die Assistentinnen-Lehrlinge. Alles sehr
husch-husch und wie am Fließband. Es waren gleichzeitig mit mir fünf
Mitpatient/inn/en im Wartezimmer gewesen.
Dann mussten die
Pupillen-erweiternden Tropfen ins Auge gegeben werden. Hier war es überdeutlich
zu merken, dass mir eine Azubine gegenüber saß. Sie tropfte enorm ungeschickt,
2/3 gingen daneben, das machte aber nichts bezüglich des benötigten Effektes,
denn sie drückte so hart auf das Fläschchen, dass ein dicker Schwung auf einmal
herauskam. Vom Tränenkanal zuhalten hatte sie offenbar noch nie gehört (in 'meiner'
niederländischen Augenklinik Standard, die Tropfen können sonst auch auf den
restlichen Körper wirken). Und um die nun an meiner Wange Richtung Maske
laufende Flüssigkeit wegtupfen zu können, musste ich um einen Zellstofftupfer
bitten. Die Azubine hatte nicht einmal gemerkt, dass meine Wange nass war wie bei
einem Heulanfall.
Wie sehnte ich
mich nach der Augenklinik in Groningen, in der die medizinischen
Assistentinnen, die diese ganzen Voruntersuchungen tun, ein eigenes
Sprechzimmer haben, in dem alles gelassen und in Ruhe abläuft. Auszubildende
laufen immer mit voll ausgebildeten Kräften mit, und man wird explizit um
Einverständnis gefragt, wenn sie praktische aktiv werden sollen. Die Anamnese,
auf der basierend später die Ärztin mir begegnet, wird sehr sorgfältig
aufgenommen. Die Tropfen werden sehr wohldosiert, aufmerksam und sorgsam
verabreicht, und selbstverständlich wird der Tränenkanal zugehalten und erhalte
ich einen Zellstofftupfer, um das dann selbst weiter zu tun. Die ganze Zeit
bekomme ich das Gefühl vermittelt, nicht nur als "Verdacht auf…"
dazusitzen, sondern als Mensch mit Gesundheitsbeschwerden wahrgenommen und ernst genommen zu
werden.
Zurück ins
Frankfurter Wartezimmer, in dem ich nun mit meinem getropften Auge saß und
warten durfte, bis die Tropfen wirkten. Und schon steht wieder eine Assistentin an meinem
Stuhl und verpasst mir, ohne zu kontrollieren, ob es überhaupt nötig ist, eine
zweite Ladung der gleichen Tropfen. Ich bat sie noch, doch erst zu
kontrollieren – aber das wischte sie weg mit einem Hinweis auf meine dunklen Augen,
bei denen man immer zweimal tropfe. Überdosis. Das merkte ich später am Tag,
denn ich hatte 12 Stunden später noch immer Sehprobleme. Immerhin war diese Helferin
in Ausbildung schon ein Ausbildungsjahr weiter und somit erfahrener, dosierte
besser und hatte ein Stückchen Zellstoff für mich zum trockentupfen
mitgebracht. Damit konnte ich mir dann selbst den Tränenkanal zuhalten.
Irgendwann später
wurde ich von einem Arzt in modischem Schwarz ins Sprechzimmer gerufen. Vom Sehen
her beeinträchtigt, fiel mir nicht gleich auf, dass das nicht mein Dr. von
damals war. Er war zwar auch jung, sah aber irgendwie völlig anders aus als der
Arzt, den ich in Erinnerung hatte.
Er hielt es nicht
für nötig, sich mir vorzustellen und somit das Rätsel zu lösen. Vage schoss mir durch den Kopf, dass auf der
Website gar nichts stand von weiteren, in der Praxis mitarbeitenden Ärzten…
Kurze Frage nach
den Symptomen, die er auf dem Bildschirm vor sich aufgeschrieben sah.
Routinierte, aber auch sehr abgezirkelte Schnell-Schnell-Untersuchung.
Mitteilung, dass das vorläge, was mir schon bekannt war. Plus etwas, von dem
ich noch nichts wusste, aber nur im Anfangsstadium. Das sei durchaus
'altersgerecht'.
Die Netzhaut sei
in Ordnung.
Damit wollte er abschließen.
Leider musste er noch ein paar Fragen von mir aushalten. Was ihm nicht
schmeckte. Jede Antwort gab er in einem abschließenden Tonfall. Machte aber
nichts. Wofür hat der Mensch früher mal Gesprächsführung gelernt?
In diesem
Nachgespräch fiel dann im Nebensatz "Der Chef operiert heute."
Ach, er sei gar
nicht der Dr. Augenarzt?
Nein.
Wie nochmal sein
Name sei? konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
Dass er die
Botschaft begriffen hat, wage ich zu bezweifeln.
Kurze Erklärung,
was ich weiter tun solle, worauf achten und dann: "In drei Wochen sehen
wir Sie dann wieder zur Kontrolle!" Hä? Ich war doch als Auslands-Notfall
hier ...?...
"In drei
Wochen gehe ich in den Niederlanden zum Augenarzt" verbesserte ich ihn.
Hm...
Dies wäre in
'meiner' Augenklinik ebenfalls anders abgelaufen. Auch dort spricht die Ärztin kein
überflüssiges Wort. Trotzdem ist ein gutes Arzt-Patienten-Gespräch die Regel.
Ich kann alle Fragen stellen, ohne das sie Zeitdruck erkennen lässt.
Nachdem ich mich
im Nachhinein mit den Rezensionen dieser Praxis nochmal befasst habe,viel es
mir wie Schuppen von den Augen.
Die Praxis hat zwar
eine Bewertung von 1,6. Aber: der Löwenanteil der Bewertungen kommt von
Privatpatient/inn/en oder von Leuten, die gelasert wurden oder eine andere OP
hatten.
So wie es sich
heute anfühlt, ist die ganze Praxis basierend auf Zusatzleistungen und OPs gebaut. Business.
Verdienmodell. Das versorgende Normalgeschäft ist nur das Kleinvieh, das auch
Mist macht.
Klarer Fall von
Ent-Täuschung.
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