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Dienstag, 7. Juli 2020

Umsonst und draußen


Mit einer herzlichen Bitte um Entschuldigung für das verspätete Erscheinen des heutigen Blogs.

Seit Mitte Juni, seit ich in Frankfurt verbleibe, bin ich beinahe jeden Tag ausführlich unterwegs.
Mit dem Rad. Oder zu Fuß. 

Solange die Maskenpflicht besteht, benutze ich möglichst keine öffentlichen Verkehrsmittel, und so lege ich alle Wege auf diese Weise zurück. Da ich wegen der Maskenpflicht auch keine Museen und Konzerte besuche, bleibt das "Draußensein" - abgesehen von gelegentlichen Treffen mit Leuten - als einzige Abwechslung, einzige Art und Weise, neue Eindrücke zu erleben.

Da bin ich offenbar nicht die einzige.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals erlebt zu haben, dass sich so viele Menschen 'draußen' aufhalten.

Noch nie habe ich in Frankfurt so viele Menschen auf Rädern gesehen. Die Anzahl derjenigen, die radelnd Entfernungen überbrückt, Einkaufen fährt oder zu/von der Arbeit, grenzt an niederländische Verhältnisse. Nicht mehr nur Freizeit-Radler plus ein paar Ökos plus die unvermeidlichen jung-dynamischen Großstadt-Businessmen im Anzug auf dem Sportrad. Nein, man und frau ist offenbar massenhaft aufs Rad umgestiegen. Allerdings haben diese Massen weder die niederländische Professionalität noch die niederländische Gelassenheit auf dem Rad. 

Dass viele von den Radlern, die mir begegnen, relative Neulinge auf diesem Verkehrsmittel sin, ist darum auch oft genug zu merken.
Oder zu sehen. Die Firma Ortlieb muss in den letzten Monaten Rekordumsätze gebucht haben, gemessen an der Anzahl niegelnagelneuer Ortlieb-Packtaschen, die ich an den oft ebenso niegelnagelneuen Rädern hängen sehe. Auch das im  Unterschied zu den Erfahrungen, die ich in den Niederlanden mache. Dort ist die Mehrzahl der Packtaschen an den Rädern schlicht und alltagstauglich, zu schließen mit einer einfachen Klappe durch Klickverschluss, wobei dieser meistens nicht einmal eingerastet wird. Zum alltäglichen "fietsen" (Fahrradfahren) käme wohl kaum jemand auf die Idee, schweineteure 110% wasserdichte Touren-Packtaschen ans Rad zu hängen. Schließlich legt man üblicherweise zum Einkaufen keine rekordverdächtigen Abstände zurück.

Noch nie auch habe ich so unglaublich viele joggende Menschen erlebt. Nicht einmal in der Hoch-Zeit dieser Fitness-Aktivität, als durch den mager gewordenen Joschka Fischer das Joggen plötzlich in aller Füße und Beine war. 
Ein inzwischen überholter Artikel aus dem April zum Joggen
Egal, wo ich mit dem Fahrrad herumtoure, in einem der großen Parks, auf dem ehemaligen Bundesgartenschau-Gelände, heute Niddapark genannt oder in den Anlagen in der Nähe der Siedlung - mir kommen schwitzende und mehr oder weniger schnaufende Läufer/innen en masse entgegen oder werden von mir überholt.
Zugegebenermaßen sind diese Begegnungen nicht meine liebsten. Ich passiere schweißtriefende, in unter-schiedlichem Maß schwer atmende Menschen. Oft, ohne den passenden Abstand einhalten zu können. Schon in der Vergangenheit war ich keine Freundin davon, beim Passieren eines Joggers mit Schweißtröpfchen beschleudert zu werden oder bei der Begegnung mit einer im Schweiße ihres Angesichts Trainierenden deren erhitzten Atem zugeblasen zu bekommen.
Die Abneigung ist in diesen Zeiten sicher nicht kleiner geworden.

Oft genug frage ich mich, wie sinnvoll das Gelaufe ist. Zum Beispiel an Tagen wie vergangenes Wochenende, wo ich bei hoher Luftfeuchtigkeit und Temperaturen knapp unter 30°, im mittäglichen Sonnenschein, auf meinem Weg zum Palmengarten reichlich Laufliebhaber/inne/n begegnete.

Meine persönliche These ist, dass es hier nicht nur um "gesund an der frischen Luft" geht. Man schaut diesen Menschen vermutlich darum normalerweise nicht beim Schwitzen zu, weil sie in einer der in dieser Stadt in unfassbarem Ausmaß anwesenden Muckibuden an irgendwelchen Geräten ächzen und stöhnen. Was in den letzten Monaten ja nicht ging und vermutlich trotz umgebauter Studios vielen noch immer nicht ganz geheuer ist.

Nicht gratis. Und doch übervoll: der Palmengarten am letzten Sonntag.
Auf dem Weiher ein Betrieb wie sonst am Rosen- und Lichterfest.
Auch hier dominieren die Familien mit Kindern. Aus ihrem Sozialverhalten
zu schließen meistens aus der SUV-Generation.
Auch viel, viel mehr Spaziergänger, vor allem jüngere, darunter sehr viele Eltern mit Kindern, sind unterwegs. 
Die Spielplätze sind bevölkert, wie seit meiner Kindheit nicht mehr.
Und es wird auf den Rasenflächen zusammengesessen, mit Abstand oder auch nicht. Es wird gepicknickt, gespielt, sich unterhalten. Und gegen Abend fungiert das Ganze als Kneipen- und Restaurant-Ersatz. Die Papierkörbe in den Parks quellen über, Pizzakartons und Behältnisse von Abhol-Mahlzeiten liegen herum. Ich sehe zwei Jungerwachsene auf einer Bank, zwischen sich in halbleeres Sixpack, oder fünf Jugendliche auf einer anderen Bank, jede/r mit irgendeinem Fläschchen Getränk in der Hand. Ein besonderes Bier oder was auch immer.
Ganz offenbar verlagern jetzt im Sommer ganz viele Menschen ihr Leben nach draußen.

Selbst das gute, alte Frisbee habe ich bei einer Gruppe junger Menschen wieder in Aktion gesehen.

Jetzt noch ein Grüppchen, das um eine Person mit Gitarre herum sitzt und knutschende Pärchen irgendwo auf der Wiese, und es ist beinahe wie in den seligen Hippie-Zeiten.

Nur ließen wir damals keine Pizzakartons, Schickimickibierfläschchen und Pringelsverpackungen auf dem Gras zurück.

Gesehen 1976 in einer Töpferei auf Kreta.
Die Zeit, wo man noch einfach so am Strand schlafen
durfte und die Höhlen von Matala bevölkert waren
von Hippies.

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