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Sonntag, 9. Mai 2021

Maiensonntag

Ein komischer Sonntag. Ein-Tages-Hochsommer-im-Mai. In der Nacht waren, wie angekündigt, die Temperaturen gestiegen statt zu fallen. Wegen des sturmartigen Windes aus Südwest, der direkt aufs Bett geblasen hätte, hatte das Fenster geschlossen bleiben müssen. Ich wachte auf und hatte es viel zu warm. 

Die Sonne schien fahl hinter den ewigen Schleierwolken, die dies Frühjahr so oft den Himmel verunzieren. Im Grunde habe ich auch an den Tagen, an denen die Wettervorhersage "unbewölkt" ankündigte, wie übrigens auch für den heutigen Morgen, so gut wie nie einen klaren, blauen Himmel gesehen. Andauernd diese hochnebelartigen Feder-Schleierwolken, die aus den Kondensstreifen der Flugzeuge entstehen, die der Sonne die Klarheit und einen Teil der Kraft nahmen. So auch heute. Dennoch wurde es warm und wärmer.

Für den Vormittag hatte ich mir vorgenommen, einen Brief zu beenden, den ich gestern spätabends noch angefangen hatte. Fröhlich und gut gelaunt begann ich zu schreiben, und die Ideen flossen mir nur so in die Feder. Ich freute mich an dem schönen Briefpapier mit den Tulpen. Während ich schrieb, nachdachte, schrieb, wurde es draußen dunkler und dunkler. Die Sonne war weg. Schwarze Wolken waren aufgezogen. Und dann hörte ich es donnern. Donnern! Und es begann zu schütten. Noch ein Donner. Und noch einer. Ein Gewitter. Nicht direkt über uns, aber auch nicht weit weg.


Verrückt genug brachte es  keinerlei Abkühlung. Eher weitere Erwärmung.

Eine Stunde später war der Zauber vorbei, es regnete noch eine Weile nach. Dann kam die Sonne wieder zum Vorschein. Inzwischen war es beinahe Mittag geworden, Zeit, den Brief abzuschließen und den Lunch vorzubereiten.

Am Nachmittag wollten wir gemeinsam ein Stück mit dem Rad fahren, dabei dem gigantischen Hof-Supermarkt von Meinardi, dem ortsansässigen Spargel- und Erdbeeranbaubetrieb einen Besuch abstatten und ein Kilo Erdbeeren mitnehmen. Erntefrischer Vorrat für die kommenden Tage. Endlich wieder frische Erdbeeren morgens im Müsli!

Das Wetter machte uns erst mal einen Strich durch die Rechnung. Es regnete. Bei Temperaturen von 23 Grad. Gestern waren es noch 13° gewesen. Irre! Fahrradfahren würden wir frühestens in zwei Stunden können.

Während des Essens hatte mein Mann mir von zwei Kolumnen erzählt, die er in zwei renommierten Tageszeitungen gelesen hatte. Es ging um Anthroposophen in Deutschland und den angeblichen Rechtsruck eines Teils von ihnen im Rahmen des Widerstands gegen die Einschränkungen der Grundrechte durch u.a. das mehrfach geänderte Infektionsschutzgesetz.
Einer der Kolumnisten hatte sich dabei verstiegen, zu behaupten, dass dies nur die konsequente

Zur Geschichte des Verbandes
siehe z.B. hier und hier
Fortsetzung gewesener Geschichte sei, denn die Demeter-Organisation sei 1933 in Zusammenarbeit mit unter anderem Rudolf Heß gegründet worden und von den Nazis hofiert und gefördert worden. Mir verschlug es die Sprache. Ich machte mich ans Recherchieren.

So stimmt das Ganze nicht. Zwar hatten auch leitende Personen bei Demeter sich, wie so viele andere im damaligen Deutschland, zeitweise blenden lassen und eine unselige Zusammenarbeit probiert. Aber wie alle anderen anthroposophischen Einrichtungen und Organisationen wurde auch der Demeter-Wirtschaftsverbund im weiteren Verlauf durch das faschistische Regime verboten und bekämpft.

Die polemische Verurteilung alles anthroposophischen in dieser Kolumne machte mich enorm betroffen. Wunderte mich aber wenig, denn aus dem Text ging hervor, dass es sich hier um jemand handelte, der sich mit Wut im Bauch von der Umgebung seiner Kindheit und Jugend losgesagt hat.
"Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche."

Trotzdem. Die Kolumne erscheint in einer renommierten Zeitung und wird zweifelsohne viele Leser zukünftig mit Abscheu nach allem schauen lassen, auf dem das Demeter-Zeichen prangt oder das aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft kommt. Mir hatte es jedenfalls nachträglich die in der Kräuterbutter auf dem Mittagsbrot verarbeitete Trockenpetersilie verhagelt.

Dahin gute Laune und fröhliche Stimmung.

Dafür konnten wir jetzt endlich aufs Rad steigen. Es nieselte zwar noch ein wenig, aber das sollte bald aufhören. Inzwischen waren es 25° geworden, allerdings wehte ein kräftiger Wind mit Böen Stärke 6 bis 7. Das Radeln machte Freude, noch viel mehr, weil wir zunächst Rückenwind hatten.

 

Später, mit den Erdbeeren im Fahrradkorb, hatten wir zwar Gegenwind, der war aber erstens abgeflaut und zweitens so warm, dass es auch nicht störte. Ganz was anderes als der kalte Nordwest der letzten Tage. Und – hurra, ich hatte endlich, endlich meine geliebten Erdbeeren! Zwar weder bio, geschweige Demeter. Trotzdem! Manchmal muss man Kompromisse machen.

Wieder zuhause angekommen musste ich gleich erst mal naschen. Mmhhh! Soooo lecker! Süße, zarte, aromatische Erdbeeren.

Das gab neuen Schwung, ich war durch die kurze Radtour noch nicht ausgepowert, und so machte ich mich auf zur täglichen Spazierrunde.

Gleich am Beginn im Park hörte ich die ersten Frösche dieses Jahres! Juchhu! Einer ließ sich sogar aufs
Foto bannen, leider nur mit dem Handy aufgenommen und daher – naja, seht selbst.

Kurz drauf sah ich die ersten Schwalben in der Luft kreisen und nach Insekten schnappen. Jaja, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – das hier aber waren vier oder fünf! Jedoch mit dem Handy nicht zu fotografieren, keine Chance.

Die erste Generation Löwenzahn ist am Verblühen und zaubert wunderschöne Pusteblumen in die Welt. Auch am Rand der Verbindung vom Graben hinter den Gärten in den großen Teich des Parks.

Ich begann mich versöhnt zu fühlen. Jedoch die Traurigkeit angesichts der zunehmenden Spalterei in der Gesellschaft klang noch nach. Der Angriff gegen die Anthroposophen ist ja nur ein Teil des Ganzen. Mich graust vor der Apartheid, die drohend am Horizont erscheint und auf uns alle zuzukommen scheint.

Trotzdem genieße ich die Sonne, ihre Wärme, ihre trotz Wolkenschleier vorhandene Kraft, ihr Licht. Ich besuche meine Lieblingsplatane. Lehne mich bei ihr an, genieße auch ihre Kraft. 

Schaue mich um, entdecke den Reiher im Damwildgehege. Da hinterm Zaun kann ihm keiner was, und er sitzt und beobachtet den Entenweiher im Gehege. Lässt sich vielleicht ein Frosch oder Fisch sehen? Wehe! Dann happ und weg.

Und so spaziere ich weiter, genieße die Temperatur, fühle aber auch die Ermüdung, die durch die plötzliche, ungewohnte Wärme sich breit macht.

Da geht’s mir wie dem Damwild: k.o. von der Wärme.

Auch ich werde mich gleich zuhause noch kurz zu einem Nickerchen zurückziehen.

Weiter schlendere ich durchs Dorf, schaue hier, betrachte da, lass mich vom warmen Wind durchpusten. Glücksgefühle wechseln sich weiterhin ab mit unendlicher Trauer über die aktuelle Situation. Die Spaltung in der Gesellschaft scheint täglich tiefer und unüberwindlicher zu werden.

Die Nachrichtenschlagzeilen überschlagen sich fortgesetzt mit Schauermeldungen, irgendwo wird von der vierten Welle schwadroniert, woanders werden andere Schrecklichkeiten verkündet.

Es kostet schon Kraft, in dieser Zeit den aufrechten Gang zu bewahren.

Aber dann höre ich die Schwalben über mir, sehe ihnen zu, wie sie kreisen und blitzschnell die Richtung ändern, sehe sie kurz drauf schweben und von der Thermik sich ein Stück nach oben tragen lassen. Wie von Zauberhand ist auch der Himmel direkt über mir gerade wolkenlos blau.

Danke! Tut gut.


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