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Montag, 5. Juli 2021

Nocebo

Eine handliche, englischsprachige Definition von Nocebo habe ich hier gefunden
Viele Ärzte, vor allem da, wo schwere Krankheiten behandelt werden, sind Meister im Nocebo. Das wurde mir kürzlich erneut bewusst, als ich über meine Gesundheit der letzten zehn Jahren sinnierte.

Nocebo-Effekt ist das negative Gegenstück zum Placebo-Effekt. Letzterer ist die Bezeichnung für stattfindende Heilung oder Besserung von Symptomen, die durch positive Vorstellungen und Erwartungen gefördert und beeinflusst wird. Mit Nocebo wird demzufolge ein Geschehen bezeichnet, bei dem Symptome und Erkrankungen entstehen aufgrund von negativen Erwartungen und Vorstellungen über die eigene Gesundheit.

Und so denke ich an zehn Jahre zurückliegenden Erfahrungen mit behandelnden Ärzten zurück. Interessanterweise waren es alles Ärzte, die mit der zweiten Stufe der Behandlung befasst waren, also mit dem, was nach dem akut notwendigen, chirurgischen Eingriff kam. Direkt im Umfeld des Eingriffs und der Nachsorge (ich war in einer deutschen Klinik und durfte damals noch so lange im Krankenhaus bleiben, bis die Wunde geschlossen war, und wurde wirklich menschenfreundlich behandelt und gepflegt) waren Ärzte und Schwestern sorgsam, mitfühlend und positiv-heilsam.
Aber dann. Begannen die negativen Programmierungen.
Die wieder loszuwerden ich mich seit dem bemühe.

Netzfund (Twitter)
Besonders unangenehm habe ich die Radiologin in Erinnerung, zu der ich noch vom deutschen Krankenhaus aus zwecks Information geschickt wurde, obwohl die eigentlichen Bestrahlungen dann in der Poliklinik in den Niederlanden stattfanden. Diese Ärztin war eine wahre Meisterin im Entmutigen und im Einpflanzen negativer Vorstellungen. Einzelne der damals von ihr drohend beschworenen Bilder drangsalieren mich noch heute, was natürlich kein Wunder ist. Ich war per sitzendem Krankentransport sozusagen vom Bett weg in die Praxis gebracht worden, hatte dort mehr als zwei Stunden im Rollstuhl mehr hängend als sitzend warten müssen, die eingreifende OP war vielleicht sechs oder acht Tage her. Entsprechend noch schwach und beeinflussbar war meine Verfassung.

Mit weiterer Bitterkeit gedenke ich des ersten Arztes, der mir für die vierteljährlichen Kontrolluntersuchungen zugeteilt worden war. Auch er war perfekt im Ent-Mutigen, anstatt mir Mut zu machen und positive Perspektiven aufzuzeigen. Bei meinem ersten oder zweiten Besuch erklärte er mir allen Ernstes, dass ich jetzt den kurativen Teil der Behandlungen – also den auf Heilung gerichteten – hinter mir habe. Sollte sich eine gleichartige Erkrankung irgendwann erneut zeigen (er nannte dann auch gleich mal Beispiele von Organen, um das negative Bild perfekt abzurunden), käme lediglich noch palliative Behandlung in Frage. Also eine Behandlung, die nicht auf Heilung, sondern nur noch auf Linderung abzielt.

Na prima. So startete ich also in den nächsten Teil meines Genesungsprozesses.

An der Universität Leiden ist aktuell eine Sozialwissenschaftlerin beschäftigt mit einer
Untersuchung des Placebo-Effektes und fordert die Leser ihrer Website dazu auf, ihre persönlichen
Selbstheilungs-(Placebo-)Geschichten mit ihr zu teilen.

Was hätte er besser statt dessen zu mir gesagt? – Das, was ich mir selbst dann immer wieder sagte, um seine Programmierung durch meine zu ersetzen:
Es wurde alles getan, was sinnvoll war, um das Störende zu entfernen. Jetzt heilt der Körper. Sorge für optimale Bedingungen: sei vor allem zuversichtlich! Iss gesund. Sei optimistisch, glücklich, dankbar, gelassen, freue dich am Leben. Genieße, was es zu genießen gibt. Sei kreativ, geh in die Natur, tu Dinge, die dir Freude machen.



Der Gegensatz kurativ – palliativ lag mir noch lange wie ein schweres Gewicht auf der Seele.
Ebenso wie die angstmachenden Bilder der Radiologin.
Beide Ärzte pflanzten, wahrscheinlich nicht einmal bewusst, Angst. Und taten damit das Gegenteil von dem, was sie eigentlich hätten tun müssen: Mut und Zuversicht säen und pflegen.
Angst ist der größte Stressor, den man sich vorstellen kann, Feind der Gesundheit und jeglicher Heilung.

Übrigens schlugen auch viele weitere, gut gemeinte Äußerungen und Ratschläge in dieselbe Kerbe: "Du musst jetzt auf dich aufpassen", "Leute, die solche Behandlungen (ersatzweise: Krankheiten) hatten, sind besonders empfindlich", "Streng dich nicht zu sehr an", "Schone dich", usw. Letzten Endes alles Aussagen und Bemühungen, die lieb gedacht waren. Die aber auf Dauer nicht helfen, nach der Krise wieder in die eigene Kraft und Macht zu kommen.

Es ist kein Zufall, dass mir das alles gerade nun wieder durch den Kopf geht. Seit eineinhalb Jahren erleben wir alle, dass um uns her vor allem Angst gesät und geschürt wird. Was für eine gigantische Aufgabe, in einem solchen Klima positiv, lebensgerichtet zu bleiben!

Die oben geschilderte Hypothek macht es nicht einfacher.
Und wie viele Menschen tragen dieser Art Hypotheken mit sich herum!


Mich selbst hat es angeregt, mich wieder einmal mehr mit der Auswirkung heilsamer und positiver Bilder, Gedanken, Vorstellungen auf die Gesundheit zu befassen. Mit der Auswirkung hoffnungsvoller Gedanken und angenehmer Gefühlen wie Freude und Erleichterung auf das Wohlbefinden.
Placebo.
"Ich werde gefallen" – so die Übersetzung des lateinischen Begriffs.

Wie viele von uns kann ich das gerade gut gebrauchen. 

 

 

Den nebenstehenden Buchtip dazu habe ich heute in meiner Gruppe in Groningen erhalten. 

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