Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Dienstag, 16. Juni 2020

Einkaufen in Deutschland


Es ist drei Monate her, dass ich ganz knapp vor Beginn des Corona-Wahnsinns in Deutschland einkaufen war. Gestern stürzte ich mich nach dieser langen Pause zum ersten Mal wieder ins Abenteur.  Lebensmittel kaufen für meinen erste Woche in Frankfurt.

Eine bizarre Erfahrung.

Der erste Eindruck, aber das kannte ich ja schon aus den Niederlanden: jede Freude am Einkaufen ist weg. Von Spaß an der Sache ganz zu schweigen.

Die Maskenpflicht und die Abstandsregel haben zu allerlei Ritualen geführt, die uns allen vor einem halben Jahr noch mehr als seltsam vorgekommen wären. 
Um die Anzahl der Anwesenden in einem Supermarkt zu kontrollieren, muss jede/r einen Einkaufswagen benutzen; möchten zwei Personen gemeinsam einkaufen: zwei Einkaufswagen. 
Als nächstes gilt es, den Griff des Einkaufswagens zu desinfizieren. 
Hier ist schon der erste logische Bruch. Die Einkaufswagen stehen an einer etwas vom Eingang entfernten Stell, das Desinfektionsmittel auf einem Tisch am Eingang. Richtigerweise müsste man also ein Papiertuch (stehen zur Verfügung) mit dem Desinfektionsspray einsprühen und damit den Griff des ins Auge gefassten Wagens säubern, ehe man mit ihm losschiebt. Manche Läden lassen den Gebrauch der Karren zur Zeit ohne Münze zu, bei anderen muss man noch eine Münze einschieben, um den Wagen von seinen Artgenossen losmachen zu können. Da müsste dann auch der Münzeinwurf noch desinfiziert werden.
Die meisten Leute tun weder das eine noch das andere. Sondern holen den Einkaufswagen, laufen damit zu dem Tisch, auf dem Papiertücher und Desinfektionsmittel stehen, fassen die Sprühflasche mit ihren undesinfizierten Händen an, sprühen das Papiertuch ein und wischen dann den Handgriff.

Ein Mann vom Sicherheitsdienst, statt Maske mit einem Plexiglasschild, einer Art Visier vor dem Gesicht (siehe Abbildung), beaufsichtigt alles und leitet es in einigermaßen geordnete Bahnen. Corona: Boom-Zeiten für Sicherheitsdienste.

Ab hier, dem Eingangsbereich des Ladens, ist Maskierungspflicht. An Mund-Nasenschutzen sieht man um sich herum so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann, von selbstgenäht über die aus der Arztpraxis bekannten Wegwerfmasken bis hin zum Baumarktmodell. Auch an Arten und Weisen, ihn zu transportieren und aufzusetzen. Manche Leute haben sie schon unterm Kinn hängen, andere friemeln den ihren mühsam aus der Tasche, wieder andere schlenkern das Teil nonchalant am Handgelenk.

Ausschnitt aus "Instandbesetzer 1981"
Foto: Tom Ordelman, CreativeCommons
Ich hatte mich für ein Baumwollkopftuch entschieden, das ich nach Art des Demo-Gesichtsschutzes gebunden hatte. Was schon lange auf jeder Demonstration verboten war, ist nun nicht nur erlaubt, sondern sogar Pflicht.

Das Einkaufen mit dem Tuch vorm Gesicht war furchtbar. Obwohl ein ganz dünnes Tuch aus indischer Baumwolle, schwitzte ich sehr stark. Nach einer Weile begann meine Nase zu laufen, wahrscheinlich der im Tuch hängende Seifenduft. Hörte glücklicherweise nach kurzer Zeit wieder auf. Zum Schluss war das Tuch vollkommen durchnässt vom Gesichtsschweiß und der Atemluft.

Wie das dem RKI entsprechende Institut in den Niederlanden, RIVM – Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, als Grund benannte, um keine Maskenpflicht einzuführen, erzeugen die Masken bei vielen der Trägerinnen und Träger offenbar  eine Scheinsicherheit.
Folge in den Läden, jedenfalls in den beiden, in denen ich war, einem mittelgroßen Bio-Supermarkt und einem riesengroßen Lebensmittelsupermarkt einer in der Region verbreiteten Kette: sehr viele einkaufende Mitmenschen meinen, sich nicht an die Abstandsregel halten zu müssen. 
Im inzwischen weit verbreiteten Corona-Autismus bewegen sie sich mit ihrer je eigenen Glasglocke, als ob niemand  um sie herum existiert. Egoistisch bis zum letzten, noch schlimmer als vor dem C-Virus, nur den eigenen Zielen und Interessen nachstrebend. "Alles so schnell wie möglich einsammeln, was auf der Einkaufsliste steht, und dann nix wie raus hier!" Wobei die anderen Menschen, falls wahrgenommen, möglichst nicht angeschaut werden. 

Im Bio-Laden war das fast noch schlimmer als im 'normalen' Supermarkt. Ob das jetzt dem unterschiedlichen Raumangebot im Laden oder dem unterschiedlichen Publikum geschuldet war – Bio-Käufer in einer Großstadt wie Frankfurt sind schon lange keine traditionell-alternativen "Ökos" mehr - , vermag ich nicht zu sagen.
Am Gemüsestand kann sich die Kundin vor mir nicht entscheiden. Sie steht bei den Gemüsesorten, bei denen ich auf vorbeischauen möchte. Höflich warte ich auf Abstand, bis ich an die Stelle kann, an der sie verharrt. Inzwischen kommt eine andere Kundin herein und rückt mir sogleich auf die Pelle.
Ich weiche aus, schaue erst mal nach anderen Dingen, die auf meiner Liste stehen.
In den Gängen ein ähnliches Spiel: niemand weicht aus, irgendwo steht jemand breit vor einem Regal und tippt ausführlich auf dem Smartphone herum. ich suche meinen Weg durch einen anderen Gangl, laufe Umwege und Umwege, um Leuten aus dem Weg zu gehen. Komme bei den Eiern vorbei, schaue nach der Sorte, die ich will (eine, bei der auch männliche Küken überleben dürfen), da rückt mir schon wieder jemand auf die Pelle.

Als ich am Ende alles habe, bin ich geschafft. Und verärgert darüber, dass durch die allüberall angelegten Masken außer mir hier beinahe alle zu denken scheinen, dass man sich das Abstandhalten nicht mehr praktizieren müsse.

5 Minuten Gehweg, nächster Laden. Wegen des durchnässten Halstuches mit frischer Maske.
Dort steht kein Desinfektionsmittel für die Wagen zur Verfügung. Aber ich habe ja mein Sterillium in der Jackentasche und ein Päckchen Tempotücher.

Der Laden an sich ist, wie gesagt, viel weiträumiger. Trotzdem meinen auch hier viele Kunden, keinen Abstand halten zu müssen.
Auf meinem Einkaufszettel für hier stand unter anderem Recycling-WC-Papier der Hausmarke und flüssige Handseife. Das WC-Papier-Regal ist noch immer halbleer, ich frage einen Mitarbeiter, der wie gerufen gerade am Regal räumt, nach der gesuchten Sorte. Das gibt es vorläufig nicht. Ausverkauft. Nicht lieferbar. Statt der normalerweise hier herumliegenden gefühlten 10-20 Sorten Toilettenpapier gibt es nur Restbestände von zwei Sorten. Eine Luxusmarke und ein kratziges Recycling-Papier.
Wo die Handseife steht, frage ich gleich auch noch. Er weist mir das Regal und sagt sogleich dazu, dass ich da aber kein Glück haben werde. Alles ausverkauft.
Noch immer!?
Ich frage mich ernsthaft, was die Leute mit all dem Klopapier und all der Seife machen! Das geht doch jetzt schon seit mehr als drei Monaten so, irgendwann müssen die Vorräte zuhause nun wirklich aufgefüllt sein! Oder hat die Viruspanik Massendiarrhoe ausgelöst? Und haben sich die Leute früher keine Hände gewaschen?




Während ich vor dem Laden meine Einkäufe in meinen 'Rentnerbuggy' – die Einkaufstasche auf Rädern – verstaue, schaue ich mir die Menschen an.
Und bin mit meinem Mann herzlich einig: Was für ein Glück, dass wir in den Niederlanden mit freiem Gesicht einkaufen dürfen. Das befördert eindeutig die Disziplin beim Einhalten des Abstandes. Auch kommt man nicht schweißüberströmt aus dem Laden in den kühlen Luftzug draußen. Und besser Atmen lässt es sich auch. 


Nachtrag:
Leserinnen und Leser in Deutschland kennen das natürlich schon und werden mir sagen wollen: man gewöhnt sich dran. Schon möglich. Sogar wahrscheinlich. 
Ich glaube, ich will mich gar nicht daran gewöhnen.

Sonntag, 14. Juni 2020

Besuch

Am 6. oder 7. März saß ich mit der Nachbarin bei einer Tasse Kaffee am Tisch; sie hatte mir frische Eier von ihren Hühnern gebracht.  Das war das letzte Mal, dass jemand bei uns im Haus war, der nicht zum Haushalt gehört.

Kaffeetrinken Lockdown Gespräch Kontakt

Vor ein paar Tagen hatten wir dann zum ersten Mal seit drei Monaten wieder einen fremden Menschen im Haus. Wir lassen demnächst Sonnenkollektoren installieren und mussten mit dem Berater der ausführenden Firma alles notwendige besprechen.

Einen Fremden im Haus zu haben – in solchen Fällen an sich das Normalste von der Welt und immer eher willkommen denn ein Problem gewesen – machte mich wirklich unruhig. Etwas in mir hätte ihn am liebsten gar nicht ins Haus gelassen.

Abstand Soziale Distanz Von Anfang an ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich versuchte, den Abstand zwischen uns zu vergrößern. Dabei hielt er sich vorbildlich an die Regeln, auch beim Eintreten ins Haus und beim Besichtigen der Situation in der Garage, in der der Umformer montiert werden wird. Da das Auto darin stand, war der Bewegungsspielraum begrenzt.

Während des Beratungsgesprächs saßen wir am Tisch, er brauchte ihn als Unterlage für sein Notebook, um Notizen machen zu können. Mein Mann und ich saßen im gegenüber, ein Stück abgerückt vom Tisch, der ja nur 70 oder 80 cm breit ist. Andauernd hatte ich das Gefühl, noch weiter weg rücken zu wollen.

Der 'schlimmste' und am meisten entlarvende Moment war, als er uns ein Foto eines bestimmten Modells Sonnenzellen auf dem Handy zeigte. In diesem Moment wurden ganz kurz die 1,5 m unterschritten. Als mir das bewusst wurde, erschrak ik, und ich sah zu, dass ich so schnell wie möglich wieder Distanz gewann.

Als fünfundvierzig Minuten später der freundliche und kompetente junge Mann gegangen war, war mein erster Impuls: lüften, lüften, lüften. Nicht nur, um den deutlichen Herrenduft zu vertreiben, den er mitgebracht hatte. Sondern auch und vor allem in dem Bestreben, eventuell herumwabernde, unerwünschte Bestandteile in der Raumluft so schnell wie möglich loszuwerden.

Wie tief hat sich in diesen drei Monaten das grundsätzliche Misstrauen gegenüber jedem Menschen eingegraben, der nicht zum eigenen Haushalt gehör! Hätte mir jemand im Dezember 2019 vorhergesagt, dass ich im Juni 2020 so reagieren würde - ich hätte die Person für komplett neben der Spur erachtet. 

Ich bin doch ein Menschen-Mensch, dem und der Anderen immer herzlich zugewandt gewesen!
Ich bin erschüttert über mich selbst.

Und nun?

Corona Menschen Nähe UmarmungEs verlangt wirklich Selbstbeherrschung und Arbeit an meinem eigenen Inneren, um aus dieser automatischen Reaktion wieder herauszukommen. Und dieser Automatismus hat sich eingestellt, obwohl ich mir nur Weniges an Nachrichten rund um den C-Virus-Irrsinn angetan habe und antue. Ich will meine Mitmenschen wieder als Mit-Menschen wahrnehmen können und nicht ständig als potentielle Bedroher meiner Gesundheit unter Generalverdacht stellen!

Bitter ist es, das wahrnehmen zu müssen, aber ich muss diese neue Sucht zum Zurückweichen, zum Abgrenzen, wirklich ganz bewusst loslassen. Es ist Arbeit, mich den Menschen wieder zu öffnen, denen ich begegne.

Drei Monate beinahe vollständiger Isolation von – den eigenen Mann ausgenommen - echten Sozialkontakten plus permanente Indoktrination über die Gefährlichkeit der Nähe zu all den Menschen, die außerhalb unseres eigenen Haushalts leben, haben großen Schaden angerichtet.

Ich fürchte, nicht nur bei mir.

Freitag, 12. Juni 2020

Nebensächlichkeiten?


Immer wieder mal sprechen mich engagierte Leserinnen oder Leser darauf an, dass ich mich in diesem Blog mit Dingen beschäftige, die man eigentlich als Nebensächlich-keiten betrachten könnte. 

Das sind Menschen, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten einsetzen für zum Beispiel Frieden und Gerechtigkeit, gegen die menschenunwürdigen Auswirkungen der Globali-sierung, für Umweltschutz auf allen Ebenen des Lebens. Menschen, die liebevoll das Große Ganze im Auge haben und für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen schon viel getan haben und immer noch tun.

Wenn man sich die globale Entwicklung ansieht und das, was dort alles an schwer wiegenden und für viele Menschen lebensbedrohenden Problemen durch die Epidemie und die Maßnahmen der verschiedenen Länder entsteht, sind Fragen wie: 'Maske oder nicht' oder 'ob alles, was wir an Einschränkungen jetzt noch erleben, noch adäquat ist', doch zweitrangig. Und: 'an das bisschen, was wir hier mitmachen, kann man sich schon gewöhnen' – diese oder ähnliche Argumentationen begegnen mir dann.
Ist es nicht viel wichtiger, sich dagegen zu wehren, dass Lobbyisten im Schatten der Krise ihre eigenen Süppchen kochen, vom Zurückdrehen der Beschränkungen in der Autoindustrie bis hin zum Pumpen von Milliarden gerade jetzt in den internationalen Waffenhandel?

Natürlich ist dies in gewisser Weise wahr. 
Folgt man dieser Argumentation, dürfte ich meinen Mund nicht auftun.
Ich habe genug zu Essen, sauberes Wasser, ein komfortables Dach über dem Kopf, und unsere Breiten sind frei von bewaffneten Konflikten.

Ich selbst wähle da für mich den Weg des sowohl – als auch.

Ich bin in eingebunden in die verschiedensten Kommunikations-Netzwerke und werde ausführlich über all diese Dinge informiert. Aufrufe zu den unterschiedlichsten Formen des Kampagneführens erreichen mich täglich mehrere, und ich wähle sorgfältig aus, in wessen Chor ich meine Stimme einbringe. Die Informationen erreichen mich auch über Nachrichtensites, die ich regelmäßig lese sowie über Facebookbeiträge von Menschen oder Organisationen, denen ich folge. Und auch da bringe ich mich ein oder nicht, je nachdem.

Diesen Blog aber habe ich aus einer anderen Erwägung heraus angefangen.

In diesem Blog geht es mir darum, wirklich eine Art Tagebuch zu schreiben darüber, was die C-Virus-Krise alles so mit sich bringt in meinem Lebensalltag. 

Und damit vielleicht auch im Lebensalltag von vielen anderen, die in vergleichbaren Umständen leben.  An praktischen Auswirkungen, an emotionalen Auswirkungen, an Dingen, die mich unzufrieden machen, an Bedrohungen, die ich durch manche der politischen Entscheidungen für unser demokratisches System sehe. Hier. Jetzt.

Lebensalltag – das sind oft Kleinigkeiten, mit denen man sich auseinandersetzt. Über die man stolpert. Die misslich sind. Oder lustig. Oder glücklich machend. Blühende Blumen, Erdbeeren aus dem eigenen Garten, ein Nest voller Blesshühner ebenso wie Maskierungszwang oder die Tatsache, dass ich jetzt schon seit mehr als drei Monaten nur dann telefonischen Kontakt mit meiner Hausärztin aufnehmen darf, wenn ich ein wirklich dringendes Anliegen habe. Was aber ist das genau?

Verglichen mit Menschen in Flüchtlingslagern, mit indischen Wanderarbeitern, die ihre Arbeit verloren haben und ihre Familien nicht mehr ernähren können, sind das Peanuts. Doch es gibt Wege, auf denen ich von hier aus diesen Menschen ein klein wenig Linderung verschaffen kann, und die gehe ich auch. Nicht zur Gewissensberuhigung, sondern, weil das etwas ist, das ich von hier aus tun kann.

Ich werde mir aber auch weiterhin das Recht nehmen, Dinge zu benennen und aufzuschreiben, mit denen ich hier, in meinem Luxus-Leben nicht zufrieden bin.
Ich lebe hier. Und hier muss und will ich mein Leben verantwortlich gestalten.

Ohne die zu vergessen, die in ganz anderen Umständen leben.
Das ist für mich selbstverständlich.

Mittwoch, 10. Juni 2020

Reisen



"Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen."

Goethe inder Campagna, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1787)
Als Goethe den oben zitierten Satz gegenüber Caroline Herder aussprach (zwischen 7. und 9.9.1788, zitiert im Brief von Caroline an ihren Mann Johann Gottfried Herder, 12.9.1788), war man noch mitten im Postkutschen-zeitalter.  Mit Reisen ist hier ganz selbstverständlich der Gesamtprozess des Unterwegsseins gemeint. Nicht nur die Zeit, die in der Postkutsche verbracht wurde, sondern auch die Aufenthalte in den Orten, die man besuchte. Mit kürzerem oder längerem Verbleib.

Reisen im (Post)Kutschenzeitalter war alles andere als komfortabel, auch nicht immer ungefährlich. Und doch haben die Menschen, die es sich leisten konnten, es auf sich genommen. Das, was sie sich von den Reisen erhofften, war es ihnen wert. Meistens kam man zwar ermüdet und durchgerüttelt, aber ansonsten gesund am Fahrziel an. Goethe reiste bis ins hohe Alter auf diese Weise, und ich muss sagen: das bewundere ich.

Heute sind wir meist nur noch unterwegs, um anzukommen. Und nennen auch das 'reisen'.  Unsere Leben finden an verschiedenen Orten statt, heute hier, morgen da, und ob wir in A sind oder in B, meist geht alles so weiter wie immer. Selbst unsere Urlaubsreisen sind häufig genau so gefüllt wie der Rest unserer Leben; ohne www und Mobilfunk fühlen wir uns unvollständig; wir wechseln zwar den Ort, aber nicht unsere Gewohnheiten.

Die Verkehrsmittel, mit denen wir Heutigen uns von A nach B transportieren lassen können, sind schnell und komfortabel. 
ICE im Süden Deutschlands
Das machte bis vor drei Monaten dies 'Reisen' zu einer angenehmen Sache. Wenn es was zu meckern gab, dann meist auf einem hohen Niveau – Verbindung verpasst, Koffer nicht auffindbar -, aber echte Dramen passierten glücklicher-weise sehr, sehr selten.

Vor ein paar Tagen nun hat die Deutsche Bahn eine saisonale Zugverbindung angekündigt, die sich für mich wie ein Traum liest: ein ICE von Norddeich-Mole über Leer und Kassel nach München. Das könnte bedeuten: meine Bahnfahrt nach Frankfurt wird schneller, ich muss nur noch ein Mal umsteigen, kann bis Kassel-Wilhelmshöhe gemütlich sitzen bleiben.
Unter normalen Bedingungen ein Traum:  ein ziemlich komfortabler Zug, Internet via WiFi, Service am Platz. Und ca. 4 Stunden Fahrt genießen ohne Umsteigen. Reisen um zu reisen.
Könnte man sagen.

Die Fahrt genießen. Da liegt nun gerade das Problem.

Schön, dieses gestellte Foto der Deutschen Bahn:
der Zug ist, abgesehen von einem Fahrgast, leer.
Denn diese vier Stunden müsste ich unter den heutigen Bedingungen ununterbrochen maskiert im Zug sitzen. Angesichts der Tatsache, dass dies die empfohlene, maximale Tragedauer einer Maske überschreitet, müsste ich diese zwischendurch wechseln. Im Klo? Im Abteil? Auf dem Gang?
Mitarbeiter des Bordbistro nimmt
Zahlung entgegen.





Was es mit meiner Gesundheit tut, 4 Stunden lang unter verminderter Sauerstoffzufuhr und erhöhter Aufnahme von CO2 aus meiner eigenen Ausatem-Luft plus permanenten Zurückatmens eventuell in meinem Atem enthaltener Bakterien oder Viren zu sitzen – die Frage wäre noch von unabhängingen Forschern zu beantworten.

Das sollte man sich nicht nur nicht antun. Das darf man sich nicht antun.
Reisen um zu Reisen - in öffentlichen Verkehrsmitteln ist dies zur Zeit keine Option.

Die nächste Fahrt nach Frankfurt und zurück findet im Auto statt.

Montag, 8. Juni 2020

Such den Fehler


Foto Wikimedia Commons
Beim Gemüsebauern sehe ich eine Frau ihr Portemonnaie zücken und mit Bargeld bezahlen. Richtiges, echtes Geld wechselt hier von Hand zu Hand den Besitzer.

Ich staune.
Dass es das noch gibt!

Nachdem unser Wocheneinkauf gewogen, mit Preisen versehen und in die Kasse getippt, in der Tasche verstaut und mit EC-Karte mittels RFID-Chip kontaktlos bezahlt ist – alles, wie es sich gehört, mit den berühmten 1,5 m Abstand und außerdem an der frischen Luft, denn der Hofladen wurde vor ein paar Wochen kurzerhand nach draußen verlegt – kann ich mir doch nicht verkneifen zu fragen: "Man kann hier auch bar bezahlen???"
"Ja, 'türlich" antwortet die Inhaberin. "Warum nicht?"

Naja, niemand sonst hier in den Niederlanden will noch, dass bar bezahlt wird. Barzahlung war eines der ersten Dinge, das von der Regierung zu Beginn der C-Virus-Krise entmutigt wurde. Die meisten Läden nehmen schlicht kein Bargeld mehr an. Auch Imbisse, Restaurants, Friseure – alles kontaktlos mit EC-Karte. Wie ich die Niederländer so kenne, sogar der Stand mit italienischem Eis, der vor drei Wochen auf dem kleinen Platz in der Mitte des Dorfes aufgeschlagen wurde. Denn schon vor dem C-Virus-Wahnsinn waren die Menschen hier enthusiastische Nutzer des "Pinnens"  - Bezahlen mit EC-Karte. Selbst auf dem Markt, selbst, wenn ich nur 1 Zitrone kaufte oder beim Fischhändler ein Fischbrötchen bestellte, hatte man lieber, dass ich die EC-Karte zückte statt Münzen zu geben.

Seit ich Anfang März, gerade noch vor Beginn des Lockdown-Zirkus, aus Frankfurt zurückgekommen bin, habe ich mein
Portemonnaie nur noch in der Hand gehabt, wenn ich meine Kreditkarte zum Bezahlen von Internet-Einkäufen brauchte.
Meine EC-Karte, Personalausweis und Kundenkarte der Bioladen-Kette stecken in entsprechenden Fächern meiner Handy-Hülle.
Auch meinen Rucksack habe ich nicht mehr benutzt, seit ich aus Frankfurt zurück bin. Einkaufen fahren wir mit dem Auto, und ausschließlich Einkaufen. Zielgerichtet. Dafür brauche ich meinen Einkaufskorb und -tasche sowie mein Handy mit den Karten. Taschentuch in der Hosentasche. Schlüssel in der einen Jackentasche und Sterillium-Fläschchen zum Desinfizieren der Hände nach dem Verlassen des Ladens in der anderen. So gerüstet geht's auf in den Bioladen. Maskieren müssen wir uns hier nicht.

Keine Handtasche. Kein Portemonnaie.

Die Kundin beim Gemüseanbauer ging ganz selbstverständlich um mit dem Bargeld. Etwas, das bei mir auch mal so war. Vor drei Monaten. Inzwischen habe ich schon beinahe vergessen, wie unser Geld aussieht, wie es sich anfühlt. Und, wenn ich so darüber nachdenke, muss ich sagen, ich vermisse das: das Gefühl, tatsächlich gegenständlich eine Art Gegenwert zu tauschen gegen die Lebensmittel, die ich im Laden zusammengetragen habe und nun mein Eigen nennen möchte. Diese Wahrnehmung von etwas Stofflichem, das ich im Tausch gegen das, was mich die nächsten Tage nähren wird, weggebe.

In Frankfurt hatte ich noch extra einen Betrag von meinem Konto abgehoben, weil Geldtanken am Automaten im Ausland ja schweineteuer ist.
Das hätte ich mir sparen können.
Die Scheine liegen noch so unberührt im Sparstrumpf in meinem Schreibtisch, wie ich sie am 3. März hineingelegt habe.

Das Ganze ist eigentlich um  sich an den Kopf zu greifen.
Bargeld ist ein gesetzliches Zahlungsmittel.
Die gesundheitliche Gefährdung (Übertragung durch Schmierinfektion) ist, wird in Deutschland gesagt, nihil.

Bild gefunden im www
 
Hier stimmt doch was nicht.










Bei nebenstehendem Bild stimmt auch etwas nicht. Anders als bei unsererm Bio-Gemüsebauern versteckt sich hier zwischen dem Gemüse eine Raupe, die auch an allem schon ein bisschen herumgefressen hat.
Wer findet sie?


Samstag, 6. Juni 2020

Guten Morgen, du Schöne



Und dann sind da diese anderen Tage. An denen stehe ich auf, und die Welt ist in Ordnung. Dann schaut mir aus dem Spiegel eine heitere Frau entgegen, die auf dem Weg ist, den Archetyp der Weisen Alten mit Leben zu füllen. Die silberweiße Lockdown-Frisur umrahmt üppig in sanften Schwüngen ein schmales, erstaunlich glattes Gesicht, und es blicken mich warmherzige, tiefgründige, seelenvolle Augen an.

Diese Frau hat viel gehört, gesehen, begriffen – muss es nicht einmal selbst mitgemacht haben – und schaut mit traurig-liebevoller Aufmerksamkeit auf all dies Elend, das Menschen untereinander und in der Welt anrichten. "Einfach so" glücklich in den Tag hineinleben – das war das Vorrecht der Jugend in der ihr eigenen, vorwärtsstrebenden Aktivität. 
Darum geht es heute nicht mehr. Es geht um eine tiefere Art Glücklichsein. Herzenswarme Anwesen-heit. Die ist es, die sich zusehends ent-wickelt, aus dem Inneren heraus gemeinsam mit dem Begreifen ent-faltet. Allmählich entsteht eine Art heitere Gelassenheit. Vertrauen in das Leben an sich kommt zurück.

Tatsächlich, bei einem Ding, das passiert, werden sofort alle Konsequenzen bewusst, die das haben könnte für … im Zweifelsfall das globale Leben. Aber eben alle. Denn immer gibt es auch Möglichkeiten, dass aus im ersten Erleben Negativem etwas Konstruktiv-Lebensfreundliches entsteht.
Nicht umsonst lässt Goethe in Faust I (Zeile1336) Mephisto sagen, er sei: "Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft."

Diese anderen Tage sind es, an denen ich wahrnehme, wie überall Menschen sich nicht vom C-Virus-Wahnsinn absorbieren lassen. Wahrnehme, wie überall Menschen damit beschäftigt sind, sich gerade aus diesem Bann zu befreien oder sich schon aus dem Bann befreit haben und auf ihre je eigene Weise an einem menschlichen, menschenwürdigen Zusammen-Leben auf und mit diesem Planeten aus der Krise heraus und nach der Krise zu arbeiten.
In kreativen Zirkeln, Online-Kongressen, gemeinsamen Meditationen, Umwelt-Organisationen, spirituell-philosophischen Gruppen, Reiki-Kreisen, Heil-Gruppen, und, und, und.

Es sind diese Tage, an denen ich wirklich anwesend bin in meinem Leben und tatsächlich die dinge tue, die an diesem Tag getan werden wollen.

Das sind diese Tage, an denen ich dankbar für all das Gute und Wohltuende in meinem Leben,  dankbar für die Menschen, mit denen ich auf vielfältige Weise liebevoll verbunden bin, mein eigenes 'kleines' Jetzt lebe.

Ich wünsche mir, dass es so viele Tage wie irgend möglich sind. 

Viel gelesen