Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Sonntag, 14. Juni 2020

Besuch

Am 6. oder 7. März saß ich mit der Nachbarin bei einer Tasse Kaffee am Tisch; sie hatte mir frische Eier von ihren Hühnern gebracht.  Das war das letzte Mal, dass jemand bei uns im Haus war, der nicht zum Haushalt gehört.

Kaffeetrinken Lockdown Gespräch Kontakt

Vor ein paar Tagen hatten wir dann zum ersten Mal seit drei Monaten wieder einen fremden Menschen im Haus. Wir lassen demnächst Sonnenkollektoren installieren und mussten mit dem Berater der ausführenden Firma alles notwendige besprechen.

Einen Fremden im Haus zu haben – in solchen Fällen an sich das Normalste von der Welt und immer eher willkommen denn ein Problem gewesen – machte mich wirklich unruhig. Etwas in mir hätte ihn am liebsten gar nicht ins Haus gelassen.

Abstand Soziale Distanz Von Anfang an ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich versuchte, den Abstand zwischen uns zu vergrößern. Dabei hielt er sich vorbildlich an die Regeln, auch beim Eintreten ins Haus und beim Besichtigen der Situation in der Garage, in der der Umformer montiert werden wird. Da das Auto darin stand, war der Bewegungsspielraum begrenzt.

Während des Beratungsgesprächs saßen wir am Tisch, er brauchte ihn als Unterlage für sein Notebook, um Notizen machen zu können. Mein Mann und ich saßen im gegenüber, ein Stück abgerückt vom Tisch, der ja nur 70 oder 80 cm breit ist. Andauernd hatte ich das Gefühl, noch weiter weg rücken zu wollen.

Der 'schlimmste' und am meisten entlarvende Moment war, als er uns ein Foto eines bestimmten Modells Sonnenzellen auf dem Handy zeigte. In diesem Moment wurden ganz kurz die 1,5 m unterschritten. Als mir das bewusst wurde, erschrak ik, und ich sah zu, dass ich so schnell wie möglich wieder Distanz gewann.

Als fünfundvierzig Minuten später der freundliche und kompetente junge Mann gegangen war, war mein erster Impuls: lüften, lüften, lüften. Nicht nur, um den deutlichen Herrenduft zu vertreiben, den er mitgebracht hatte. Sondern auch und vor allem in dem Bestreben, eventuell herumwabernde, unerwünschte Bestandteile in der Raumluft so schnell wie möglich loszuwerden.

Wie tief hat sich in diesen drei Monaten das grundsätzliche Misstrauen gegenüber jedem Menschen eingegraben, der nicht zum eigenen Haushalt gehör! Hätte mir jemand im Dezember 2019 vorhergesagt, dass ich im Juni 2020 so reagieren würde - ich hätte die Person für komplett neben der Spur erachtet. 

Ich bin doch ein Menschen-Mensch, dem und der Anderen immer herzlich zugewandt gewesen!
Ich bin erschüttert über mich selbst.

Und nun?

Corona Menschen Nähe UmarmungEs verlangt wirklich Selbstbeherrschung und Arbeit an meinem eigenen Inneren, um aus dieser automatischen Reaktion wieder herauszukommen. Und dieser Automatismus hat sich eingestellt, obwohl ich mir nur Weniges an Nachrichten rund um den C-Virus-Irrsinn angetan habe und antue. Ich will meine Mitmenschen wieder als Mit-Menschen wahrnehmen können und nicht ständig als potentielle Bedroher meiner Gesundheit unter Generalverdacht stellen!

Bitter ist es, das wahrnehmen zu müssen, aber ich muss diese neue Sucht zum Zurückweichen, zum Abgrenzen, wirklich ganz bewusst loslassen. Es ist Arbeit, mich den Menschen wieder zu öffnen, denen ich begegne.

Drei Monate beinahe vollständiger Isolation von – den eigenen Mann ausgenommen - echten Sozialkontakten plus permanente Indoktrination über die Gefährlichkeit der Nähe zu all den Menschen, die außerhalb unseres eigenen Haushalts leben, haben großen Schaden angerichtet.

Ich fürchte, nicht nur bei mir.

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