Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Montag, 21. September 2020

Zwei Grautöne?

Vorgestern fiel mir auf, dass eine bestimmte Briefmarke zur Zeit besonders häufig auf den Briefen klebt, die mich aus Deutschland erreichen. Ich hatte sie mir bislang nicht genau angesehen, nur die nicht gleich interpretierbare Abbildung und die etwas düstere Atmosphäre mit dem  Grau und dem Lila halbbe-wusst wahrgenommen. Lila ist hier in den Niederlanden eine Farbe der Trauer.

Nun schaute ich mir die Marke näher an. Wenn die Deutsche Post für so ein Motiv sich entscheidet, muss es ja einen Sinn haben, war die Überlegung, dann muss ja was dran sein…Oh ja, die Marke hat einen tiefen Sinn! Es ist eine Menge dran, wenn ich an meine Erfahrungen während der längeren und kürzeren Besuche in Deutschland in der letzten Zeit denke.

"Zwei Grautöne? 2020 Deutschland"
Deutlicher und treffender kann man es nicht sagen! Leider.
Danke, Deutsche Post, für diese Offenheit in verlogenen Zeiten.

Wird man die Deutsche Post wegen dieser (wahrscheinlich nicht beabsichtigten) Offenheit nun als Verschwörungstheoretikerin entlarven? Oder die Marke vom Markt nehmen, weil sie aus Versehen so unverblümt die Wahrheit sagt? Und dann auch noch dem Ausland gegenüber? Der Markenwert ist nämlich derjenige für Auslandsbriefe.

Was ich zur Zeit wahrnehme, wenn ich nach Deutschland reise, ist genau das: ein einziger,
gigantischer Grauschleier, erzeugt durch die "Pandemie der Angst" und die beschlossenen Maßnahmen. Da in den Niederlanden das Leben weitaus freier und uneingeschränkter verläuft, Menschen einander mit offenem Gesicht begegnen und Kinder ganz normal mit einander spielen und zur Schule gehen dürfen, natürlich auch mit offenem Gesicht, erfahre ich den Unterschied zwischen der regenbogenbunten  Beinahe-Normalität hier und dem grauen Pandemie-maßnahmen-Alltag dort besonders deutlich.

"Ooch", höre ich manche nun sagen, "so schlimm ist es doch gar nicht. Eigentlich verläuft mein Leben ganz normal. Wenn ich einkaufen gehen, ziehe ich halt die Maske an. Das macht mir nicht so viel aus.  Da hab ich mich inzwischen dran gewöhnt. Aber ansonsten geht doch alles fast wie immer. Ich sehe meine Familie, meine Freunde. Halte halt Abstand. Gehe aus Essen oder ins Café. Halte halt Abstand. Und im Museum, na gut, da muss die Maske an, aber das hält man schon aus." Oder andere: "Ich hab mich so an die Maske gewöhnt, ich vergesse manchmal, sie wieder abzunehmen." – "Das mit dem Abstand ist doch gar nicht so schlimm. Man gewöhnt sich dran. Es muss halt sein."

Ich selbst erlebe es völlig anders. Niemals normal. Niemals gewöhnungsfähig.
Als Soziologin habe ich unglaublich feine Antennen entwickelt für die (Lebens)Atmosphäre in einer Gesellschaft. Ich habe gelernt, hinter die Masken zu schauen. Nicht die heute im Außen getragenen. Die anderen, die symbolischen Masken. Es gehört zur Profession, nach dem "Eigentlichen" zu suchen hinter einem gesellschaftlichen Phänomen. Was sich verändert hat, ist vor allem die Atmosphäre des Zusammen-Lebens, das durch die Maßnahmen  in ein Nebeneinanderher-Leben gezwungen wird. Das finde ich schlimm. Es macht mich unendlich traurig.

"Zwei Grautöne? 2020 Deutschland"
Wo immer ich in der letzten Zeit in Deutschland bin (im Sommer einen Monat in Frankfurt, nun ab und zu zum Einkaufen jenseits der Grenze in ostfriesischen Städtchen), fröstelt es mich. Ist zwar ganz praktisch während einer Hitzewelle. Aber ansonsten schaurig. Der Grauschleier liegt über allen öffentlichen Räumen, wo viele Menschen gleichzeitig anwesend sind, seien es Plätze, Parkplätze, Läden.
Normalerweise lebe ich teils in Frankfurt und teils in den Niederlanden, und Ich bin immer gerne nach Frankfurt zurückgefahren, oder auch nur Einkaufen im deutschen Landstrich gegenüber. Wenn ich die Grenze nach Deutschland passierte, erfasste mich jedes Mal ein warmes Gefühl von Vertrautheit und Zuhause-Sein.
Was in den letzten Monaten in meiner Heimat passierte und passiert, hat mir dieses Gefühl vollkommen zerstört.

Das zwanghafte Distanzhalten, einander aus dem Weg gehen, verbreitet immer stärker Isolation. Besonders, seit jetzt massenhaft die Kinder in der Schule von einander isoliert werden und hinter Masken gezwungen. Anstatt dem menschlichen Urinstinkt zu folgen und uns unseresgleichen anzuschließen, geht man einander aus dem Weg. Was für eine gigantische Einsamkeit. Nicht zuzupflastern mit den erlaubten Umarmungen und der Nähe in der eigenen Partnerschaft, so man eine hat, oder zwischen den Menschen, mit denen man lebt.

Ich erlebe Menschen, die erfasst von Angst und Panik kritiklos alles annehmen, was ihnen von 'Oben' verordnet wird, wie sehr sie dadurch auch eingeschränkt werden. Erlebe immer wieder Menschen, die völlig unnötigerweise sich maskieren, sobald sie die eigenen vier Wände verlassen. In Läden huscht man an einander vorbei, ohne sich anzusehen. Es gibt keine kleinen Schwätzchen mehr mit der Verkäuferin an der Brot- oder Käsetheke oder an der Kasse. Wenn ich eine Mitarbeiterin was fragen muss, versteht man einander kaum und muss alles mehrfach wiederholen. Jede und jeder versucht, so schnell wie möglich aus dem Laden wieder rauszukommen. Wenn jemand sich nicht an die Regeln hält, wird oft von irgendwelchen Mit-Kunden geblafft und geschrien. Ohne zu fragen, ob es vielleicht einen medizinischen Grund gibt, warum jemand keine Maske trägt. Ohne darüber nachzudenken, dass jemand vielleicht in Gedanken war und darum die 1,5 m mal eben nicht eingehalten hat.
Kinder in einer Waldorfschule in Aurich werden überfallartig von Gesundheitsamtsmitarbeitern in kompletter Schutzmontur – ohne Einwilligung der Eltern - während der Unterrichtszeit zwangsgetestet, weil eines der Kinder in der Klasse Geschwisterkind von einem anderen Kind ist, das im Verdacht steht, eventuell PCR-positiv zu sein. Keines der Kinder hat auch nur das kleinste Symptom. 
Solcher Dinge gibt es viel mehr, man findet sie zuhauf, wenn man es wissen will. Nur breite ich ganz bewusst diese Details nicht alle aus.

Das alles dringt zu mir trotz Nachrichten-Fasten. Über meine eigenen Wahrnehmungen. Über Mitteilungen von Menschen, mit denen ich in Sozialen Medien verbunden bin. Keine halbseidenen Gestalten, denen sich leicht sonstwas unterstellen ließe. Sondern aufrechte, ehrliche und ehrlich besorgte Personen.


Es ist eine täglich neu herausfordernde Übung, unter diesen Umständen sich selbst positiv zu stimmen und "Freude ins Feld" (Link heraussuchen) zu bringen. Nichts ist in dieser momentanen Situation wichtiger, als genau das zu tun. Das Grau durch die Farbigkeit lebendiger, hoffentlich übersprudelnder Freude immer mehr zu durchlichten.
Ob das nun Gartenarbeit ist, bei der ich mich mit der Erde verbinde; ein bewusster Spaziergang, auf dem ich mich einstimme auf die Bäume, Sträucher, Pflanzen, Tiere, Landschaft, die mir begegnen, zu ihnen Kontakt aufnehme und mich aus der Menschensphäre eben ausklinke; ob ich aufmerksam ein Stück Musik anhöre, ein Schwätzchen mit den Nachbarn halte, mich aufs Fahrrad setze oder nach Strich und Faden die Tatsache genieße, dass ein paar Kilometer von hier noch immer frische Erdbeeren im Hofladen des Erdbeerbauern zu kaufen sind (ach ja, demnächst aus dem Gewächshaus, und auch kein bio – manchmal muss man verschiedene Prinzipen gegeneinander abwägen und sich entscheiden). Oder ich beschließe ganz bewusst, welche Kleidungs-stücke ich trage, genieße das wunderbare Naturmaterial, aus dem sie gemacht sind, freue mich über die Farbe und Gestaltung der Ohrringe, die ich dazu trage. Auch die Blockflöte werde ich mal wieder zur Hand nehmen, die durch die Frankfurt-Reise und die folgende Hitzewelle in Vergessenheit geraten ist. Ich pflege Verbundenheit zu anderen Menschen durch meine Brieffreundschaften und lasse meiner Kreativität freien Lauf in diesem Blog.

Es gibt so viele, freudvolle Dinge und Situationen, auf die ich mich konzentrieren kann.
Auf die Ihr Euch konzentrieren könnt. Tut es!

Hier in diesem Land, in dem wir relativ viel Freiheit genießen, freue ich mich jeden Tag an all den Menschen, denen ich im Straßenbild begegnen darf. Menschen, die aufrecht, angstfrei und mit offenem, sprechendem Gesicht unterwegs sind. Hier ist das Leben tatsächlich einigermaßen normal. Ich hoffe und wünsche für alle Menschen, dass das in ihrer Lebensumgebung auch schnellstmöglich wieder der Fall sein wird.

Nein, noch anders.

Ich wünsche aus ganzem Herzen, dass wir alle, alle Menschen auf dieser Welt – am liebsten sofort –alle Freiheit und Freude genießen können, die uns als Geburtsrecht von Anfang an zusteht!


Ein guter Anfang wäre das Beherzigen des folgenden Wahlspruchs:
"Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewissen Leuten die Freiheit genommen wird, alles zu tun.“

Louis Terrenoire (1908-1992),
Journalist, Politiker, Widerstandskämpfer und Gewerkschafter


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Viel gelesen