Überall lässt
sich beobachten, und zwar in zunehmender Heftigkeit, dass Menschen mit einander
in Streit geraten über ihre jeweilige Einstellung zu den Corona-Maßnahmen und
zu der ganzen C-Virus-Krise überhaupt.
Was als Gespräch
beginnt, endet nicht selten im Zerwürfnis. (Dazu habe ich in den letzten Tagen mehr geschrieben: Freundschaften, Zerrissen, Verstand, Herz und Bauch)
Wie könnte man in
Gesprächen über dies Thema anders mit einander umgehen? Welcher Weg kann
beschritten werden, um einander zu verstehen?
Was auffällt ist,
dass ganz oft beide Beteiligten sehr emotional und felsenfest auf ihrer bereits
eingenommenen Haltung, Meinung beharrend reagieren. Sie schleudern einander
Argumente an den Kopf im strikten Bemühen, den/die andere auf die eigenen
Position zu ziehen.
Was völlig
vergessen geht hierbei ist der echte Blick auf die Person, mit der ich im Gespräch
bin.
Was bewegt sie
eigentlich wirklich, hinter der so vehement verteidigten Position?
Kendra Gettel*)
nennt es: auf die Bedürfnisse schauen, die mein/e Gesprächspartner/in durch die
verteidigten Maßnahmen und Aktionen zu erfüllen hofft.
"Auf der
Bedürfnisebene wird das Gemeinsame, Verbindende deutlich." Ich nehme den/die andere wieder als
Mensch, als Person wahr, die sich durch das, was sie so vehement vertritt,
verteidigt, etwas Bestimmtes für sich und ihre Lieben erhofft.
Der Giraffenengel bringt Abhilfe, Website von Kendra Gettel |
In den beiden
Geschichten von Kendra Gettel ist es der Giraffenengel, der den
Dialogpartnerinnen den Weg weist in einen solchen Umgang mit der kontrovers
erfahrenen Situation weist.
Die beiden Akteurinnen
in der Geschichte kommen sich in die Haare über die Frage von Sinn und Nutzen
der Maskenpflicht und anderer Maßnahmen sowie darüber, ob es eine gute Idee
ist, an Kundgebungen bzw. Demonstrationen gegen die als überzogen empfundenen
Maßnahmen teilzunehmen.
Die Frage ist:
was treibt die jeweilige Person an, genau ihre Ansicht so vehement zu
vertreten? Welches Bedürfnis will sie erfüllt sehen durch entweder die penible Einhaltung
der Regeln oder die Abschaffung der Regeln?
Person A möchte
die Gesundheit und das Leben von sich und anderen schützen. Es geht also um das
Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit für sich und andere. Und sie möchte
beitragen, mithelfen, dies zu verwirklichen und durch das Befolgen der Regeln ihrer
Solidarität Ausdruck verleihen. Also dazu beitragen, dass es anderen gut geht.
Person B möchte
mit einbezogen werden in Entscheidungen, die sie selbst massiv betreffen. Und möchte
den Freiraum haben, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Sie geht davon aus,
dass erwachsene Menschen gut selbst auf sich aufpassen und sich selbst
schützen können. Hier geht es ebenfalls um das Bedürfnis nach Schutz, aber
selbstbestimmt. Und um das Bedürfnis nach Freiheit und danach, als reife Person
ernstgenommen zu werden. Auch sie möchte dazu beitragen, dass es allen gut
geht.
Wenn wir auf die
Bedürfnisebene beider schauen, ist leicht zu erkennen, dass es deutliche Gemeinsamkeiten
gibt:
Beide möchten
zum Wohlergehen aller beitragen.
Beide möchten
Gesundheit und Wohlbefinden für sich, ihre Umgebung und darüber hinaus.
Beide möchten
ihren Teil tun, um dies zu erreichen.
Allerdings
haben beide eine völlig andere Vision davon, wie dieses Ziel von möglichst viel
Gesundheit und Wohlbefinden für alle zu erreichen ist. So entsteht der
Konflikt.
Für eine der beiden
Freundinnen liegt ganz selbstverständlich der Weg darin, die Corona-Maßnahmen
zu befolgen. Maske tragen, Abstand halten, soziale Kontakte einschränken etc.
Für die andere Freundin
ist völlig klar: die ganzen Maßnahmen führen ihrerseits zu ganz viel Stress und
Leid. Ihre Wirksamkeit zur Erhaltung von Gesundheit ist unklar. Es entsteht
eine Vielzahl von Problemen wirtschaftlicher, psychischer, sozialer,
kultureller und eben auch gesundheitlicher Art eben aufgrund der Maßnamen.
Mit anderen
Worten:
-
Wenn
ich davon ausgehe, dass Masken, Abstand etc. zur Gesunderhaltung beitragen,
dann beteilige ich mich natürlich daran.
-
Und
wenn ich davon überzeugt bin, dass der durch die Maßnahmen entstehende Schaden
den Nutzen bei Weitem überwiegt, versuche ich, auf ihre Abschaffung
hinzuwirken.
Und wie kommen
wir nun aus dem Dilemma?
Wir schauen erneut
auf das, was beide Seiten verbindet.
Wenn beide
einander so weit zugehört haben, dass ihnen folgendes bewusst geworden ist: Eigentlich
wollen wir beide dasselbe: wir wollen, dass es uns und unseren Lieben, dass es
allen gut geht und dass Menschen möglichst lange und bei guter Gesundheit leben, .....
..... dann können
sie gemeinsam danach schauen: welche
Strategien möchten wir entwickeln, um die maximale Gesundheit und das maximale
Wohlbefinden der Menschen zu fördern?
Was brauchen
Menschen, um möglichst lange und gesund zu leben?
Welche Faktoren
müssen wir dabei alle berücksichtigen? Körperliche, seelische? Die
Umgebung? Den Stresslevel? Besondere belastende Situationen?
Vielleicht würde
man weitere Fragen stellen wie:
Wie viel Anteil
hat, wenn ich krank werde, der Kontakt mit einem Virus oder Bakterium, und wie
viel Anteil hat der Zustand meines eigenen Immunsystems?
Wie kann man das
Immunsystem stärken – und was schwächt es?
Wie entwickeln
wir ein möglichst wirksames, stimmiges Gesamtkonzept?
Die Frage ist, wie
sich hier tatsächlich zu einem Kompromiss kommen lässt. In einem Kommentar zu ihrem Artikel zu
genau dieser Frage antwortet Kendra Gettel, und mir gefällt diese Antwort, weil
sie phantasievoll einen "Dritten Weg" eröffnet:
"Es muss
einen dritten Weg geben, und ich vermute, Politik und Gesellschaft sind im
Augenblick paralysiert, weil sie meinen, nur zwei Optionen zu haben: komplette
und krasse Maßnahmen für alle oder „Brasilien“.
Ganz banal:
Bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr Wagen für Risikogruppen anbieten,
in denen es Masken und Abstand gibt, und Wagen ohne, für diejenigen, die gesund
sind und gerne mal ihr Immunsystem trainieren.
So wären ja
diejenigen sicher, für die das wichtig ist, und diejenigen frei, denen das
wiederum wichtig ist. So etwas auf dieser Basis? Lass uns nicht aufgeben. Wir
sind kreativ, wir sind intelligent, und es gibt immer Wege, an die noch keiner
gedacht hat.
Oder:
Homeoffice und Homeschooling ab sofort unkompliziert für alle Risikogruppen
möglich. Jeder, der möchte, darf, aber keiner muss.
Es dürfte
einfach auf Dauer nicht konstruktiv sein, die ein oder andere Schiene
„hardcore“ gegen den Willen eines beachtlichen Anteils der Menschen zu fahren."
*)Wieder einmal habe ich mich heute
inspirieren lassen durch Texte, die ich in den letzten Tagen im Internet
gefunden habe. In diesem Fall die inspirierenden Anregungen von Kendra Gettel.
Manche Formulierungen habe ich von ihr wörtlich übernommen, weil sie es so
fantastisch ausdrückt.
Es empfiehlt sich
auf jeden Fall, die Geschichten selbst komplett zu lesen. Nicht nur, um das
Konzept wirklich zu verstehen. Sie sind auch einfach nett zu lesen und geben
ein Stück Optimismus zurück.
Zu diesem Beitrag über Streitereien fiel mir gleich das Gleichnis mit dem Elefanten und den blinden Menschen ein. Hier der Link dazu:
AntwortenLöschenhttps://marieluise-noack.de/2019/07/13/konfliktloesung-die-blinden-maenner-und-der-elefant/