Heute beim Spaziergang stand mitten auf dem Dorfplatz mutterseelenallein ein anthrazitfarbenes, nicht ganz kleines Auto mit weißem Nummernschild. Jedes weiße Nummernschild im Dorf macht mich neugierig, und bei näherem Hinsehen entpuppte sich der Wagen als aus dem Westerwaldkreis kommend. WW-RK begann das Kennzeichen. 'Ein katholischer Pfarrer oder Dekan aus dem Westerwald' kam es mir in den Sinn. Ja, der katholische Westerwald…
Ein Pfarrbüro, irgendwo. Natürlich hatten wir damals andere Bildschirme. |
Ganz plötzlich sehne ich mich zurück nach dieser Zeit Ende der 80er Jahre. Gerade die Mitte 30 überschritten hatte ich, war voller Lebenskraft, und von der ganzen Negativität, die uns alle noch heimsuchen sollte, war noch kaum etwas zu spüren. Zwar hatte die Ära Kohl schon begonnen, aber die Euphorie nach dem Anschluss der DDR an die BRD war noch ungebrochen, und kollektiv wurde von einer nunmehr friedlichen Welt geträumt.
Drei Mal in der Woche saß ich nachmittags ein paar Stunden im Pfarrbüro, nahm Telefongespräche an, rechnete Kollekten und Kosten mit dem Rentamt ab, machte Plakate für Orgelkonzerte, nahm Bestellungen für hl. Messen an ("wir beten in diesem Gottesdienst besonders für…."), hielt manches nette Schwätzchen oder tiefgründige Gespräch mit meinem Pfarrer-Chef, suchte Vertretungen für den Organisten oder einen Pfarrer, Diakon oder Pastoralreferenten, der eine Beerdigung übernehmen konnte (der Pfarrer hatte nur eine halbe Stelle), hatte ein offenes Ohr für die Menschen, die zu uns kamen und eine oder zwei Mark in der "Bettlerkasse" für "Durchwanderer" (die wir ansonsten
Eigentlich hätte ich ihn schon daran erkennen müssen, den Bischof |
durchweg weiterverwiesen an die Caritas oder andere Instanzen des nicht ganz schlechten Hilfsnetzwerks) und erkannte den Bischof nicht, als er eines Nachmittags im schwarzen Anzug mit seiner unvermeidlichen, klassischen Baskenmütze in der Hand kurz den Pfarrer sprechen wollte, ehe er gegenüber im Rundfunk zur Aufnahme einer Morgenfeier o.ä. ging. Pfarrer aber war gerade in der Dienstagnachmittagmesse und Bischof sagte: sagen Sie ihm einen Gruß, ich komme dann ein ander Mal.
Obwohl mir manches in meinem damaligen Leben, offiziell studierte ich im Zweitstudium und dies war nur eine 25%-Stelle, gehörig auf den Senkel ging, sage ich heute im Rückblick: damals war ich glücklich!
Ein tiefes Seufzen macht sich Luft, während ich mir am Ufer des Hafens noch ein paar Minuten die Zeit vertreibe in der Hoffnung, dass der Eigentümer des PKW zurückkommen möge. Wer weiß… bei dem Nummernschild…
Er tut mir nicht den Gefallen. Irgendwann muss ich weiterziehen auf meinem Spaziergang durchs Dorf.
Mein anderer kirchlicher Arbeitsplatz 2005 mitten im Elend der Umstrukturierung, verklärt von der Patina der Erinnerung |
Auch schon wieder
so lange her…
Gelebtes Leben.
Lebenszeit.
Was ist seit dem schon wieder alles passiert...
Mit all diesen
Erinnerungen geht – von heute aus gesehen, in dieser speziellen historischen
Situation, in der wir nun sind – eine enorme Wehmut einher. Ich komme mir vor
wie meine eigene Großmutter, als ich mich bei dem Gedanken ertappe, dass die
Entwicklungen seitdem wirklich keinen Anlass zum Jubeln geben. Dieses 'ja, damals'-Gefühl...
Der aktuelle Zustand unserer Gesellschaft und unserer politischen Systeme, die Lebensregeln, denen wir seitens der Politik nun unterworfen sind, machen es einer schwer, ein Wohlfühlen zu entwickeln.
Als Foto eine Erinnerung, aber der Ort gehört zu meiner Gegenwart:
die alte Brücke von 1916 übers Muntendammer Diep in Zuidbroek
Etwas in mir
weiß, dass es dennoch unabdingbar ist, positive Gefühle in sich zu pflegen,
hochzuhalten. So schwer es auch ist. Nach Herzkohärenz zu streben, wie manche
es nennen. Ich kann auch sagen: liebevoll mit mir umgehen. Dankbar sein.
Der Sonnenschein, der uns heute bei unverschleiert blauem Himmel
geschenkt wird, an dem höchstens ab und zu ein paar Ansichtskarten-Wölkchen
entlangziehen, hilft dabei.
Und so
verabschiede ich mich von der Wehmut und schaue mit anderen Augen nach meinen
Erinnerungen:
Über welch einen reichen Schatz an glücklichen Zeiten und Erinnerungen verfüge
ich doch, wenn ich zurückschaue!
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