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Donnerstag, 21. Oktober 2021

Trunken von...

Es bleibt eine schwierige Zeit. Ob man es wissen, lesen, hören will oder nicht, auf den "gestiegenen Zahlen" wird überall herumgekaut. Drohungsszenarios werden erneut fantasiereich ausgeschmückt und veröffentlicht. Und nachdem letztes Jahr die Grippe "wegen der Maßnahmen" (Masken, Abstand, Hygiene) offenbar ausgestorben war, wird sie dies Jahr in fetten Großbuchstaben als Menetekel an die Wand geschrieben. Wenn man den Nachrichten glauben darf, sind wir umzingelt von Bedrohungen. Zum Depressiv-Werden!

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Manch einer dürfte dann zur Flasche greifen.
Oder zu vom Arzt verschriebenen Glückspillen.

Oder zu gedruckten Träumen.
Sich in Liebesromane versenken... ist auch eine Sucht…

Dies Bangen bis zum ersehnten Happy End. Das Wahrnehmen all der "Fehler", die die meist jungerwachsenen, bis Mitte 30 Jahre alten Heldinnen machen:
Wie sie andauernd versuchen, ein Bild von sich aufzubauen und vor sich her zu schieben, von dem sie denken, der Angebetete suche so etwas. Anstatt sie selbst zu sein. Wie sie ihre wahren Gedanken zu und Empfindungen von Liebe nicht äußern. Wie allzuoft die männlichen Figuren Gleiches tun. Bis dann zum Schluss doch die "echte", die "wahre" Wahrheit herauskommt und die Heldin und ihr Auserwählter sich endlich in den Armen liegen.

Diese Cliffhanger im Buch. Man (frau!) denkt beim Lesen: "jetzt, jetzt wird alles gut, und sie kriegen sich!" – und dann macht eine/r von beiden einen "Fehler", oder versteht die Aufrichtigkeit des Gegenüber als Taktik oder Ironie – und die Ungewissheit und damit die Spannung gehen in die nächste Runde. Des Singledaseins. Oder der Beziehung mit dem/er "Falschen", in die man/frau zurückkehrt, weil zwar ohne Schmetterlinge im Bauch, aber dennoch gemütlich. Weil die Konvention es so will. Oder das "moralische Gewissen", das eigene, oder jenes des/der anderen.

Je nach Kunstfertigkeit der Autorin (meist sind diese Art Bücher von Frauen geschrieben) gibt es mehrere Wendungen dieser Art im Buch. Im besten Fall in einer Art Spirale auf den alles erlösenden Punkt zulaufend. Und – ebenfalls im besten Fall – garniert mit sprachlichem Feuerwerk sowie, neben der Dramatik, garniert mit Humor und Witz.

Daran kann man (frau!) sich betrinken wie die Figuren (meist die weiblichen) der aktuell vermutlich auf die 40 zugehenden, modischen Schreiberinnen. Ich merke da den Generationen-Unterschied. Weder wir noch unsere damaligen Romanheldinnen haben derart oft zum Alkohol gegriffen, um die eigenen Gefühle zu betäuben und dann am Tag darauf doppelt verkatert aufzuwachen. Ich glaube, wir (und unsere papiernen oder filmischen Heldinnen) haben uns absolut in unsere Gefühle fallen gelassen und diese bis in alle Tiefen und mit aller Dramatik ausgekostet. Das war ein so eigener Rausch, eine solch heftige Lebendigkeit, da brauchte es keinen Alkohol.

Aber ich schweife ab.

An diesen Schmökern kann frau sich also besaufen.
Warum macht eine im Alter von 60+ so etwas?

Zweifellos aus dem gleichen Grund, aus dem die Romanfiguren das mit Alkohol tun: um der als untragbar, unerträglich erfahrenen Realität zu entfliehen.
Und wie nach dem Genuss von zu viel Alkohol gibt es danach einen dicken Kater.
Nach dem Weglegen des Buches ist das eigene Leben noch genau so wie vorher.
Der Körper hat dieselben, störenden Symptome. Die Gesellschaft, die Politik sind noch genauso aussichtslos in den C-Irrsinn verstrickt. Das C-bedingte, tägliche Einerlei mit seiner zugehörigen Isolation ist noch immer das Gleiche. Kein einziges der Probleme, die die Tage grau und perspektivlos erscheinen lassen, hat sich inzwischen gelöst.

Es sind lediglich kostbare Lebensstunden verstrichen. Der Druck die Dinge zu tun, die getan werden müssen, ist nur größer geworden. Und die eigene Energie geringer. Der Kater halt, mit dem man aus dem schönen Traum erwacht ist.

Dennoch, insgesamt erscheint mir das Schmökersaufen mir selbst gegenüber ehrlicher als das, was ich früher öfter machte: mir abends einen Film reinziehen. Das führte schlussendlich in den gleichen oder zumindest in einen vergleichbaren Mechanismus. Nur, dass der Kater hinterher weniger bewusst, weniger direkt fühlbar war und dadurch die suchthaltige Gewohnheit weniger als solche erkennbar.

Bärige Bücher allerdings sind eine andere Sache!

Es scheint, als ob das Lesen zu mehr Reflexion anregt. Vielleicht, weil das Eintauchen ins Phantasiereich durch den Gebrauch der eigenen Vorstellungskraft zum Aufrufen innerer Bilder intensiver, totaler ist. Wenn ich so lese, vergesse ich die Welt um mich herum. Ganz wie damals in der Kindheit. Dementsprechend ist das Erwachen härter. Und die gefühlte Welt danach kälter.

Nun hoffe ich, nein, ich vertraue darauf, dass der Bewusstwerdungsprozess Resultate zeitigen wird.  

Natürlich ist mir das alles nicht neu. Die letzten Male habe ich mich sehr bewusst in das papierne Abenteur gestürzt. Wie die liebesleidenden Heldinnen in den Büchern in ein Besäufnis.

Ähnlich wie bei den anonymen Alkoholikern gilt es, die erste Schmonzette auf dem Server zu lassen.*)
Den elektronischen "Blick ins Buch" auf dem Bildschirm unangeklickt zu lassen.

Das nächste Gratis-Probe-Abo von Kindle Unlimited werde ich ignorieren!

 

*) Eigentlich müsste es heißen: "Das erste Buch im Laden im Regal stehen zu lassen. Der Versuchung, es in die Hand zu nehmen und durchzublättern, zu widerstehen." Nur stehen mir hier keine deutschen Buchhandlungen zur Verfügung. In meiner zweiten, der Nicht-Muttersprache funktionier das Buchbesäufnis nicht. Also blienur die digitale Buchhandlung.

2 Kommentare:

  1. Bezüglich "Verkaterung" beim Filmeschauen habe ich doch eine andere Perspektive. Das sogenannte Leben draußen mag sich nicht verändert haben, nur bin ich dann um einige Erfahrungen und Eindrücke reicher. Ich werde mit einige Dingen konfrontiert, die so nicht in meinem Alltag sind, die mich zum Staunen oder auch zum Nachdenken bringen. Ganz anders, wie beim Kater, wo man nur auf eine Art zugedröhnt oder benebelt war.
    Und es geht mir beim Filmeschauen dann auch um die Fragen, wie etwas gemacht ist und welche Gedanken dahinter stehen. Dann ists wie ein Gemälde, das man besser einordnen kann, wenn man etwas über die Intentionen des Künstlers erfahren kann. Mit den neuen Techniken können Szenen realisiert werden, die sich beim Lesen so nicht vorstellen lassen. Bei "Interstellar" gabs mehrdimensionale Raum-Zeit-Szenen; da wäre ich bei reinem Lesen sicher an meine inneren Phantasiegrenzen gestoßen. Inzwischen hat Musik auch einen anderen Stellenwert beim Film und wird wesentlich früher bei der Produktion mit einbezogen, was, wenns gut gemacht ist, sich in der Gesamtwirkung deutlich bemerkbar macht. Und wenn alles zusammen passt, dann gibts statt Verkaterung eher eine Art "Jungbrunnen".
    Zugegeben, wenn man wahllos in den Sendern rumzappt, kann Verkaterung entstehen. Macht man sich jedoch auf die Suche, kann man auch zu ganz anderen und wesentlich lebendigeren Ergebnissen kommen.

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    1. Vielen Dank für diesen anregenden Kommentar.
      Er macht mir deutlich, dass ich in meinem Text nicht deutlich genug war ;-)
      Was Du beschreibst, dieses Betrachten und Durchdenken, kenne ich natürlich auch und habe es früher gerne ab und zu getan. Gerade fallen mir zwei wunderbare, lang zurückliegende Beispiele ein: "Die wunderbare Welt der Amélie" und "Die siebte Saite".
      Was ich allerdings meinte mit "abends einen Film reinziehen", war etwas anderes. Damit spielte ich auf das Konsumieren von unterhaltenden, nicht sehr tiefgehenden Filmen an, darauf, mich in den Film, ins Geschehen ziehen zu lassen, die Distanz aufzugeben, eingesogen zu werden.
      Das führte bei mir unweigerlich zum fröstelnden 'Erwachen nach dem Traum'

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