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Montag, 31. Januar 2022

Geburtstag in diesen Zeiten

Vor einigen Tagen hatte mein Mann Geburtstag. An sich hatte seine Tochter mit ihren zwei Mädchen (11 und 15) am Wochenende davor aus dem Westen des Landes zu Besuch kommen wollen. Seit Ende Januar 2020 haben wir uns nicht mehr gesehen. Die drei wollten hier zwei Tage und zwei Nächte bleiben.

Am Tag vor dem angedachten Besuch bekamen wir die Nachricht, dass die jüngste Tochter mit ihrer ganzen Klasse in Quarantäne musste; eine Mitschülerin und drei Lehrerinnen, die in der Klasse unterrichten, waren positiv getestet.
Aus die Maus mit dem Besuch. *)

Keine Extra-Lebendigkeit im Haus. Auch keine Extra-Tätigkeiten wie Extra-Saubermachen, Extra-Bettwäsche-Waschen, Extra-Einkäufe – alles hat seine zwei Seiten. Aber wir haben uns gegenseitig versichert: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Mal sehen, wann es so weit ist.

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Zum Geburtstagskaffee nachmittags kam eine gemeinsame Freundin, die 15 Auto-minuten entfernt wohnt. Auch wir haben einander schon wieder seit Monaten nicht gesehen und nur ganz ab und zu mal telefoniert. In diesen letzten zwei Jahren sind alle sozialen Beziehungen ausgetrocknet.

Schon seit Tagen freute ich mich wie Bolle auf die Abwechslung in unserem täglich gleichen Lebensalltag.

Es war richtig schön, bei Kaffee, Kuchen, Kerzenlicht zusammen zu sitzen und sich zu unterhalten oder eine kleine Weile dem Orgelspiel des Geburtstagskindes zu lauschen. Unsere Freundin mag Orgelmusik sehr, und es gab einen neu erworbenen, französisch-barocken Sampleset der Hauptwerk-Orgel zu bewundern.  Also hörten wir ein paar Teile aus der "Messe pour les Paroisses" von François Couperin.

Eines der Geschenke, das die Freundin mitgebracht hatte, ist ein Bildband aus dem Jahr 1982 mit Fotos aus dem Leben von Menschen in muslimisch geprägten Staaten. Wunderbare Fotos! Richtig großartige Fotokunst. Zuallererst wird mir bewusst, dass ich diesen Bildern noch glauben kann.
Digitale Bearbeitung gab es damals noch nicht. Die Schönheit der abgebildeten Menschen ist ihre wirkliche Schönheit. Viele Szenen mögen auf die eine oder andere Weise gestellt sein; dennoch haben die Bilder eine Seele und eine  authentische Atmosphäre. Noch nie ist mir der Unterschied zur digitalen, professionellen Fotowelt, die uns heute in den Medien präsentiert wird, so deutlich geworden wie beim Betrachten dieser Bilder.

Wie im Flug verging die Zeit. Der Kuchen war verdrückt, die zweite Tasse Kaffee getrunken, und nach niederländischem Ritual wären wir jetzt an den Punkt "Erfrischugnsgetränke und Knabbereien" gekommen im Lauf des Geburtstagsnachmittags. Aber es wurde bereits allmählich dunkel draußen, und unsere Freundin, die die 80 bereits überschritten hat, wollte nicht ganz im Dunkeln fahren müssen. Es half nichts, nach den gerade mal etwas mehr als zwei Stunden wollte sie partout nach Hause. Ohne die früher selbstverständliche Umarmung verabschiedeten wir uns, winkten ihr noch nach.

Das war es dann. Zweieinhalb Stunden, auf die ich mich tagelang gefreut hatte. Eine schöne, eine lebendige Zeit, endlich mal wieder mit jemand zusammensitzen. Aber so schnell vorbei.

Wir waren wieder zu zweit. Zurück in unserem üblichen Alltag. Abgesehen von dem Rest Kuchen und Schlagsahne, die uns morgen und übermorgen an heute erinnern würden.

Am weiteren Geburtstagsabend durfte man gespannt sein, was die niederländische Obrigkeit in Gestalt des Ministerpräsidenten und des Gesundheitsministers in der Pressekonferenz verkünden würden an "Erleichterungen". Die Gerüchteküche blühte schon seit Tagen und erzählte von "Restaurants wieder auf", mit Fragezeichen "Museen wieder auf", auch "Theater und Konzertsäle wieder auf" – aber alles muss um spätestens 20 Uhr schließen. Offenbar hatte - so bissige Kommentare im Radio -  niemand den kulturell banausigen Politikern erzählt, dass Theater und Konzertsäle normalerweise um 20 Uhr öffnen. Unter welchen Bedingungen diese 'Lockerung des Lockdowns' zugestanden werden wird, ist zu jenem Moment noch unklar. **)


"Bedingungen, unter denen der Besuch von kulturellen Veranstaltungen oder der Besuch von Restaurants zugestanden wird".
Wie verrückt ist das denn, mit normal-nüchternen Augen betrachtet?

Viele haben sich daran gewöhnt, einem ständigen Auf und Ab von Einschränkungen, Lockerungen, mehr Einschränkungen, wieder ein paar Lockerungen, Einschränkungen, Zugeständnissen….. unterworfen zu sein. Ich persönlich werde mich niemals daran gewöhnen.

Ich bleibe dabei, das einen sehr irrealen Vorgang zu finden.

Man muss sich das mal mit seinem inneren Bewusstsein von 2019 vorstellen: die Obrigkeit schreibt der Bevölkerung vor, was sie wann darf und nicht darf; wie weit man von anderen Menschen weg stehen oder sitzen muss; ob man im Restaurant essen gehen darf oder nicht; ob Menschen Konzerte erleben, Museen besuchen, in Tiergärten herumschlendern dürfen oder nicht; ob man dem eigenen Kind sonntags beim Fußballspielen zusehen darf oder nicht bzw. ob dies Kind überhaupt Fußballspielen darf.

'Mein Bauch gehört mir' haben Frauen zu Zigtausenden in den 70ern immer wieder gerufen und geschrieben. Mit Erfolg. Keine Frau braucht (in den meisten europäischen Ländern) heute noch ungewollt Mutter zu werden.

 

 

 

Wie wäre es nun mit dem unüberhörbaren Ruf "Meine Lebendigkeit gehört mir"?

 

 



*) Und das war vielleicht auch gut so.
Jüngste Tochter erkrankte dann doch auch, undramatisch. Glücklicherweise ist sie schon auf dem Weg der Besserung.

**) Letztlich darf alles bis 22 Uhr geöffnet bleiben. Allerdings ist für beinahe alles, auch für Dinge, die vorher ohne zugänglich waren wie z.B. Sport, ein "coronatoegangsbewijs", eine Corona-Eintrittskarte, nötig. Übersetzt in den deutschen Sprachgebrauch: "3g". Bücher ausleihen in der Bibliothek darf man noch ohne. Und Einkaufen und Haareschneiden auch.  

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