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Mittwoch, 13. Mai 2020

Geburtstag(e)



Vor ein paar Tagen jährte sich der Tag meiner Geburt. 
In C-Virus-Krisenzeiten ein Tag ohne Kaffeekränzchen und ohne Wochenendbesuch von meiner Schwester und vielleicht meiner Nichte, die beide in bzw. bei Frankfurt leben.

Trotzdem ein schöner Tag. Im Garten stehen die Tomatenpflänzchen, die ich von meinem Mann bekam. Und jetzt gerade schenkt er mir ein Wohnzimmer-Orgelkonzert. Ein Überraschungsblumenstrauß steht auf dem Gabentisch und ein dickes Buchgeschenk mit lieblichem Inhalt wartet ab jetzt darauf, von mir gelesen zu werden. Und eine soziologische Studie zum Vergleich von Kindheiten um 1900 in Wiesbaden und Leiden (schon 1989 herausgegeben) hat überraschend den Weg zu mir gefunden.

Ich bekam Post, Telefonanrufe, whatsapp-Nachrichten, mails. Manche davon überraschend. Wie schön! 
Vielen, vielen Dank, all Ihr lieben Menschen!

Die mail einer Brieffreundin, mit der ich mich herzlich verbunden fühle, enthielt diesen Link  zum unten stehenden Gedicht von Rose Ausländer. Ausländer ist eine meiner Lieblingsdichterinnen.
Sie spricht das Gedicht selbst. Ich finde es sehr berührend, sie selbst zu hören.

Noch bist du da

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast


Es scheint paradox, am Geburtstag an die eigene Vergänglichkeit erinnert zu werden. Früher hätte ich mich darüber vielleicht erschrocken. So habe ich einem gemeinsamen Freund aus der Zeit mit einem früheren Gefährten übel genommen, dass er uns zum Jahreswechsel dies Gedicht von Erich Kästner schickte:

"Wird's besser? Wird's schlimmer?"
 fragt man alljährlich.
 Seien wir ehrlich:
 Leben ist immer
 lebensgefährlich.


Mit Mitte 30 wollte ich partout nicht an meine Vergänglichkeit erinnert werden.
In den letzten Wochen aber wurden und werden wir alle permanent an unsere Vergänglichkeit erinnert. 
Und so habe ich spätestens jetzt gelernt, meinen Fokus anders einzustellen.

"Noch duftet die Nelke / singt die Drossel" 

…darf ich lieben!
…Worte verschenken!

"Sei was du bist / gib was du hast"

Da weiß ich nur eine Antwort. Auch von Rose Ausländer.



Wer bin ich

Wenn ich verzweifelt bin
schreib ich Gedichte

Bin ich fröhlich
schreiben sich Gedichte
in mich

Wer bin ich
wenn ich nicht
schreibe





Die Blumenfotos habe ich von Freunden und Freundinnen zum Geburtstag bekommen.


Und außerdem:
Heute mit Verwunderung erstmals in meinem Leben wahrgenommen (oder hatte ich es nur vergessen?): 
R.A. ist mit einem Tag (und 52 Jahren) Abstand von mir zur Welt gekommen. 
Muss ich mich da noch wundern, dass sie zu meinen Lieblingsdichterinnen gehört?

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