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Freitag, 1. Mai 2020

Nicht normal




Aus einer Reklame für Brunnenbau
Ich weiß nicht, wie alt meine Oma (1887-1972) war, als diese Geschichte passierte. Sie war – Stadtkind aus Mainz und Frankfurt – zu Besuch bei Familie in Lampertheim. Ihre – sagen wir mal: Tante – bittet sie, zum Brunnen im Hof zu gehen und den Salat zu waschen. Klein Maria, eifrig im Nachahmen der Großen, macht sich mit Begeisterung auf den Weg in den Hof.
Eine Weile später ist sie mit dem etwas schlapp wirkenden und ein bisschen merkwürdig riechenden Salat zurück. "Kind, was hast Du denn mit dem Salat gemacht?!?" ruft die Tante entsetzt aus. "Und wo bist Du so lang gewesen?" Das Kind, noch eben voll Stolz, antwortet in einer Mischung aus Trotz und Erschrecken: "Ich sollte doch den Salat waschen. Dafür musste ich aber erst die Kernseife aus der Waschküche holen."

Wikimedia Commons/KarlGruber
Vorbei die Zeit, in der ich – damals als Kind, als Oma mir diese Geschichte erzählte, die ich immer wieder hören mochte – herzhaft und unschuldig über Omas Dummheit und dieses Wörtlichnehmen des Auftrags lachen konnte.
Heute, sechs, sieben Wochen nach Beginn des C-Virus-Wahnsinns, stehe ich mit beinahe 67 Jahren selbst in der Küche und würde am liebsten roh zu verzehrendes Obst mit  Seife waschen.
Wie irrsinnig ist das denn???

Man weiß ja nie, welche aus Lohnkostendrückungsgründen ungetestet ins Land geholten Erntehelfer/innen aufs Obst geniest haben oder welche Kunden mit immer noch ungewaschenen Händen im Laden die Apfelsinen, Kumquats, Äpfel, Avocados,…. schon alle betastet haben, ehe sie in meiner Einkaufstasche landeten.

Wieder einmal klingen mir Worte meiner Mutter im Ohr: "Kind, wasch die Zwetschen/Trauben/Äpfel, bevor Du sie isst! Du weißt nie, wer sie schon alles in der Hand hatte!" Später veränderte das dann in: "man weiß nie, mit was sie gespritzt wurden". Und man wusch. Mehr oder weniger gründlich oder nachlässig. Und fühlte sich ansonsten sicher in unserer (westlichen) industrialisierten Welt. Alle großen Infektionskrankheiten waren oder schienen ja ausgerottet. Und die Tausende Grippetoten jedes Jahr starben einen vereinzelten, unbemerkten Tod, über den niemand zu berichten für Wert erachtete.

Meine Erdbeeren wasche ich jetzt mit sehr warmem Wasser. Sicherheitshalber. Das Virus verträgt keine Hitze, sagt man. Dito Apfelsinen vor dem Auspressen, Kumquats, bevor sie ins Müsli geschnippelt werden. Ebenso Äpfel. Zucchini, lose gekauften Paprika, alles lose gekaufte Gemüse, das im Kühlschrank verschwindet: so warm wie möglich waschen, bevor es gelagert wird. Etwas in mir hätte am liebsten wieder verpacktes Obst und Gemüse. Habe ich aus Öko-Gründen bislang voll Abscheu liegen gelassen. Kann ich aber jetzt genauso beruhigt liegen lassen, denn an der Verpackung aus Kunststoff........

Hätte eine weissagende Fee (oder Hexe?) mir dies alles in der Silvesternacht als eines der Kennzeichen des Neuen Jahres vorhergesagt, hätte ich sie entweder hochkant aus meinem Haus expediert oder sie gefragt, ob das ihre etwas schräge Art sei, mir versteckt behandlungsbedürftigen Wahnsinn zu prophezeien.

Postkartenserie Münchhausen:
"Zieht sich an den eigenen Haaren
aus dem Sumpf"
Oskar Herrfurth (1862-1934)
Wohin, um Himmels willen, sind wir im Nullkommanichts gekommen?
Kann mich bitte endlich jemand aus diesem schlechten Science Fiction Film herausholen?
Aus diesem Alptraum wecken?



Da ist es schon wieder.
Modell Münchhausen.
Hieraus kann ich mich nur selbst an meinen glücklicherweise immer länger werdenden Haaren ziehen.
Indem ich bei allen durch die Viren-Angst eingegebenen Handlungsimpulsen in mich hinein höre, aus welcher Quelle sie stammen und mich frage, ob ich ihnen folgen will.

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