Eine
Brieffreundin schrieb mir Ende März, dass sie in der Apotheke ihr vertrautes
Präparat zur Behandlung einer chronischen Erkrankung nur noch in einer höheren
Dosierung pro Tablette bekommen konnte und die Tabletten nun teilen muss. Im
Radio hörte ich vor einer Stunde - und das brachte mich dazu, diesen Text heute
online zu stellen – dass aktuell weltweit schwere Knappheit an bestimmten Arzneimitteln
besteht. Vor allem solcher, die im Zusammenhang mit der C-Krise benötigt werden. Auf manchen Intensivpflegestationen weiß man sich nicht mehr anders zu helfen als bestimmte
Schlafmittel aus der Tiermedizin einzusetzen, weil
die Menschen-Arznei nicht mehr zu bekommen ist.
Das Ganze
findet statt in einer Situation, in der jedes Land gegen jedes andere konkurriert.
Nicht nur die Amerikaner schnappen "uns" Mundschutze weg. Auch
europäische Länder untereinander benehmen sich wie Piraten, wenn es um diese
knappen Ressourcen geht.
Denn wir
produzieren dies alles nicht mehr selbst. Dies gilt vor allem für Medikamente aus erprobten Wirkstoffen, für die die Patentschutzfrist abgelaufen ist. Die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Gesundheitswesen, die Privatisierung des Gesundheitswesens sowie die Globalisierung sind die dahinter liegenden, verursachenden Prinzipien. Seit Mitte der
80er galt im Gesundheitswesen nur noch ein Prinzip: Kosten senken, Kosten
senken, Kosten senken. Die fatalen Folgen können wir nun auf allen Gebieten des
Gesundheitswesens bewundern, so auch bei der Arzneimittelproduktion. Wo früher
Grundstoffe und Medikamente im eigenen Land oder zumindest innerhalb Europas
hergestellt wurden, wurde diese Produktion aufgrund der immer mächtiger werdenden
"billig, billig"-Mentalität zunächst nach Indien verlagert. Die Medikamente,
so lernte ich in der Radio-Sendung, werden noch immer in Indien gemacht. Aber
inzwischen werden die Grundstoffe schon nicht mehr dorrt hergestellt,
sondern vielfach aus China bezogen. Eventuell werden Halbfertigprodukte auch noch
innerhalb Ostasiens hin und her gekarrt. Und das alles passiert "just in time" – so lange bis bei irgendeinem Glied der Kette
irgendwas schiefgeht. Dann fällt die gesamte Produktion erst mal still. Und
bekommen wir unsere Arzneimittel nicht mehr. Das ist auch vor dem C-Virus
häufiger mal vorgekommen, jetzt aber nimmt es weltweit bedrohliche Formen an, und
es droht ein gigantischer Verteilungskampf.
Als Kollektiv
waren wir uns dieser Abhängigkeiten nicht bewusst. "Irgendwie" hatten
wir es zwar am Rande bemerkt: wo einst Fabriken waren, in denen auch
Arzneimittel hergestellt wurden – Hoechst z.B. – enstanden inzwischen
sogenannte "Industrieparks". Konglomerate von allerlei Betrieben,
worunter auch chemische Industrie, aber im allgemeinen keine vor Ort produzierende
Pharmaindustrie mehr.
Der Prozess an
sich ging schleichend. Man bekam es gar nicht richtig mit. Irgendwann mal in
den Nachrichten Meldungen, dass aus Firma A durch Zusammenschluss mit
Unternehmen Y aus dem Ausland Firma YA geworden war, und vielleicht später mal,
dann schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen, dass YA durch feindliche
Übernahme von Z aufgekauft worden war und daraus nun Z-Y geworden war. Außerdem
spielten die sogenannten Generika*), billige Nachahmer-Arzneimittel eine immer
größere Rolle am Markt. Auch das nahm man so am Rande wahr. Irgendwie hatten
die meisten der darauf spezialisierten Firmen einen Sitz irgendwo im eigenen Land, ober wo nun die
Produktion war? Keine Ahnung. Und auch nie gefragt.
Hinter all dem stecken, wie
oben beschrieben: ausschließlich ökonomische Interessen.
Kosten drücken, koste es, was es
wolle. Der Preis in diesem Fall:
die zuverlässige und sichere Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigen Arzneimitteln.
Resultat: totale Abhängigkeit. Von einzelnen Produktionsstandorten. In China und
Indien.
Wie konnte es so
weit kommen? Fragt sich nun manche und mancher. Tja.
Wieder einmal
macht die C-Krise - wie schon bei der klaren Luft, dem streifenlosen Himmel und
den immer sauberer werdenden Gewässern - auf eine schwere,
gesellschaftlich-politische Fehlentwicklung aufmerksam.
Ob sich die noch
zurückdrehen lässt?
*) Marktanteil Generika bezogen auf alle verkauften Arzneimittel in ausgewählten Ländern Europas 2014: Deutschland 81%, Niederlande 71%, Österreich 52%, Großbritannien 84%, Frankreich 30%
Quelle: OECD
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