"Auch am
kommenden Wochenende gehen wir alle NICHT massenhaft an den Strand, in die
Wälder oder mal eben zum Vergnügen ins Gartencenter oder den Baumarkt. Bleibt
zuhause!"
Welche inneren Bilder entstehen beim Lesen dieses Textes?
Es wundert mich,
dass bestimmte Fehler bei den Formulierungen öffentlicher Aufrufe noch immer
gemacht werden. Schon vor Jahrzehnten haben Angehörige der Psychologischen bzw.
Pädagogischen Zunft und anderer
Sozialwissenschaften darauf hingewiesen: wenn Du möchtest, dass Kinder,
Jugendliche, Erwachsene… bestimmte Verhaltensweisen annehmen, formuliere dann
so, dass die Verhaltensweise bejahend vor Augen geführt wird. Das Unbewusste
ignoriert Wörter wie "nicht" oder "keine" und bezieht sich
bejahend ausschließlich auf den genannten Gegenstand oder die genannte
Aktivität.
Dazu das
uraltbekannte Beispiel: "Denken Sie nicht ein einen rosa Elefanten!"
Was passiert? Ja,
genau! Das Tier taucht in voller Größe, wunderbarer Gestalt und fantastischem
Rosa vor dem inneren Auge auf.
Noch immer staune
ich auch über den Programmierer, der auf dem Bildschirm eines
Buchhaltungsprogrammes, mit dem ich in den 1980er Jahren arbeitete, während der
Rechenprozedur "Jahresabschluss" auf dem Bildschirm folgenden Text
erscheinen ließ: Drücken Sie auf keinen Fall die Taste 'Esc'!
Die Prozedur
konnte mehr als eine Stunde dauern, - es war die Zeit, in der externe
Datenträger noch Magnetplatte hießen und Fernwartung vom Software-Betreuer mittels Akustikkoppler und Telefonhörer ausgeführt
wurde – musste aber durch gelegentliche Blicke auf den Bildschirm überwacht
werden.
Nicht im Traum
wäre mir je eingefallen, diese Taste zu betätigen, sie hatte innerhalb des
Programmes nur in gaaaaaaaanz besonderen Ausnahmefälle eine Funktion. Aber
jetzt…. eine Stunde lang diesen Text auf dem Bildschirm…. was für eine
Versuchung!
Nur die Tatsache,
dass die Reparatur des entstandenen Schadens meinen Auftraggeber wahrscheinlich
1500 bis 2000 DM an Software-Betreuer-Stunden gekostet hätte, hielt mich
letztlich davon ab.
Also, wenn ich
will, dass die Leute auch an verführerisch schönen, angenehm warmen
Frühlingstagen wie heute in ihrer gewohnten Wohnumgebung bleiben, wenn ich Menschenansammlungen
(sofort taucht das Bild übervoller Parks, Strände oder
IKEA-Parkplätze auf) vermeiden will, sieht mein Aufruf so oder ähnlich aus:
"Auch an diesem schönen, sonnigen Wochenende gehen wir nur zum gesundheitsfördernden Spaziergehen oder Fahrradfahren nach draußen.
Auch an diesem schönen, sonnigen Wochenende erkunden wir dabei unsere Wohnumgebung.
Wir gehen spazieren in unseren Stadtteilen oder Dörfern oder starten mit dem Fahrrad direkt von zuhause aus.
Nur so tragen wir zum Gesundbleiben von uns allen bei!"
Macht Euch einen
Knoten ins Taschentuch, ins Ohrläppchen oder sonstwohin, Ihr
Redenschreiber*innen und Sloganerfinder*innen dieser Welt! Denkt 2x nach, ehe
ihr etwas in die Tasten Eures Apple hackt!
Und…..
Bleibt gesund!
Schon Antoine de Saint-Exupéry meinte, dass die Sprache die Quelle aller Missverständnisse sei.
AntwortenLöschenWas mich momentan bewegt ist der in vieler Munde herum geisternde etwas seltsame Begriff „social distancing“. Möglicherweise können die medizinisch Vorgebildeten dies passend einordnen, was passiert aber mit dem Rest der Menschheit? Wenn ich alles richtig verstanden habe, geht’s darum körperlichen bzw. räumlichen Abstand zu halten um das Infektionsrisiko zu minimieren. Da wär für mich physical passender, aber social? Eben weil ich Abstand halte, zeige ich Verantwortung dem Anderen gegenüber und somit soziale Nähe.
„Social distancing“ würde für mich eher bedeuten, wenn ich meine Interessen und mein Wohl zum Nachteil anderer in den Vordergrund stelle; sei es als Institution (Behörde, Krankenhaus AG, Unternehmen usw.), als Partei oder als Einzelperson. Entsprechende Beispiele fallen jedem sicher ein. Wenn die Krise überwunden ist, soll dann „social distancing“ als „best practise“ in die Geschichte eingehen?
Was sollen später die Menschen denken, wenn sie einerseits „social distancing“ lesen und andererseits lesen, dass Menschen in der kritischen Situation auf vielfältige kreative Weise Mitbürger unterstützt haben? Wundern dürften sie sich dann auch, wenn ihnen bekannt ist, dass social media intensiv und auf unterschiedliche Weise genutzt wurde. Wie kann man entfernt sein, wenn eine Nachricht sekundenschnell zugestellt werden kann?
Eine andere Frage könnte sein:“ Wie will man nachhaltig handeln, wenn man sich sozial distanziert?“.
In ein paar Jahren wissen wir mehr wohin die Reise ging. Bleibt jetzt nur noch die spannende Frage, ob die Strände, Wälder, Baumärkte und Gartencenter wenigstens nach dem Wochenende gestürmt werden durften. :-)