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Reliefskulptur am Landgerichtsgebäude in Frankfurt am Main
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Kürzlich schrieb
eine meiner Freundinnen in einem Brief, in dem sie über das sinnierte, was
aktuell in beinahe allen parlamentarisch-demokratischen Ländern passiert:
"Wo sind
all unsere so hoch gepriesenen Werte wie Integrität meines Körpers, Meinungs-
und Versammlungsfreiheit, Elternrecht ... geblieben, wo? Alle übern Haufen geworfen weil die Regierung es
sagt, und das schneller als die Polizei erlaubt!"
Genau so
schnell, wie die Regierenden es wollen. Kaum Stimmen einer parlamentarischen Opposition, die
dagegen protestieren. Es ist mir noch immer ein Rätsel, wo all die kritischen
Denker – mindestens bei den Grünen, die doch ihre Wurzeln in der Außerparlamentarischen
Opposition haben, die nichts so sehr auf ihre Fahnen geschrieben hatte wie
Freiheit und Menschenrechte – geblieben sind.
Ich erinnere mich
an mich als kleines Dötzchen, das in der vierten oder fünften Klasse in
Sozialkunde erstmals vom Grundgesetz
hörte. Davon hörte, wie besonders eine solche Verfassung sei und wie gut geschützt
vor gesetzlicher oder polizeilicher Willkür
die Menschen in der Bundesrepublik durch die unveräußerlichen Grundrechte
seien. Dass man aus der Geschichte gelernt habe: so etwas wie die Rechtlosigkeit und Gewaltherrschaft des Dritten Reiches dürfe und könne nie wieder vorkommen. Dafür hätten die Väter des Grundgesetzes gesorgt. Mit aufgesperrten Ohren lauschte ich, und mit begeistertem Herzen nahm
ich das Lehrbuch mit dem Deutschen Grundgesetz und der Hessischen Verfassung
mit nach Hause. Wahrscheinlich erzählte ich stolz von dem, was ich gelernt
hatte und wie gut es uns in der Bundesrepublik mit einem solchen Grundgesetz gehe.
Über die unveräußerlichen
Menschenrechte ging auch später im Gymnasium noch so manche Unterrichtsstunde,
in Geschichte – in Abgrenzung zum Dritten Reich und zu den Diktaturen des
Warschauer Paktes -, in Gemeinschaftskunde – in Auseinandersetzung mit allerlei
Philosophien des 18. Jahrhunderts. Undsoweiter.
Als wir die
Schule verließen, war das Vertrauen in die Rechtssicherheit, vor allem in die
unverbrüchlich immerwährende Gültigkeit der Grundrechte, die schwerer wögen als
jedes andere Recht, tief in unsere Köpfe, Seelen und Herzen gepflanzt.
Jedenfalls bei den meisten von uns.
Offenbar aber, so lernen wir jetzt gerade alle, war
das trotz all der Anstrengung hunderttausender Lehr-Körper bei vielen nicht wirklich verwurzelt.
Mit ein paar, von Mal zu Mal stärker eingreifenden Gesetzesänderungen
ist dies alles wegradiert. Zählt nicht mehr. Nicht mehr die Grundrechte sind das höchst
stehende Recht. Sondern ein Infektionsschutzgesetz.
Was das bis in
kleinste Verästelungen hinein für auch atmosphärische Folgen hat, habe ich schmerzlich heute im Telefongespräch
mit einem guten Freund erfahren. Es geht mir noch sehr nach.
Seine Frau liegt
seit sieben Wochen in einer deutschen Großstadt in der Klinik (hat nix mit C zu tun), und die Behandlung
wird sich noch lange hinziehen. Besuche sind dort sowieso nur Leuten erlaubt, die
durchgeimpft sind. Seit heute müssen sie auch noch einen negativen Schnelltest
nachweisen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Maskenpflicht herrscht
sowieso. Mein Freund, fast 80, hat in dieser Klinik ein kafkaeskes Erlebnis
nach dem anderen. Vor ein paar Tagen, da war es gerade superwarm, stand er am
frühen Nachmittag in der Einlass-Schlange vor dem Krankenhaus. Für 15 Uhr hatte
er sich seiner Frau angekündigt, kurz nach 14:30 war er angekommen. Etwa 25
Leute vor ihm in der Schlange. Eine Wachfrau, die Einlasskontrolle machte. Nach
minutenlangem Wachten, etwa 8 Positionen war er schon vorgerückt, erfuhren
plötzlich alle, dass sie erst ein Formular ausfüllen mussten. Run auf die
Formulare, es gab wohl Tische, wo man sie ausfüllen konnte, und dann mit Formular
wieder neu anstellen. 'Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied' bedeutete
hier: nicht etwa dass alle wieder dieselben Plätze in der Schlange eingenommen
hätten wie vorher, wer sich vorschieben konnte, schob sich vor… und so hieß es
für ihn, nicht mehr so superschnell zu Fuß, erneut in langer Schlange in der
Hitze schmoren.
Angekommen bei der
ca. 20-jährigen Sicherheitsfrau, zeigte er den verlangten Impf- und
Testnachweis auf seinem Handy vor. Dann sollte er seinen Personalausweis
zeigen. – Dumm, den hatte er, mit dem E-Bike gekommen und daher ohne
Brieftasche, nicht dabei. Aber er hatte ein Foto auf dem Handy vom Ausweis.
Froh zeigte er es vor. Antwort des jungen Huhns: Das könne sie nicht
anerkennen. Das Handy hätte er ja gefunden haben können. Er: "Sie glauben
doch nicht im Ernst, dass ich mit meinen 80 Jahren …." – Na, dann wolle
sie mal gnädig sein und diese Personalausweiskopie auf dem Handy akzeptieren.
Aber,
triumphierte sie, sie würde ihn trotzdem nicht reinlassen. Er habe nämlich
keine FFP2-Maske auf, sondern nur eine OP-Maske. Und sie ließe ihn nur mit
FFP2-Maske rein. Er verwies auf die hinter der Frau auf der Tür klebenden
Schilder, die sagten: Zugang mit FFP2- oder OP-Maske.
Das wäre ihr egal,
so die Frau vom Sicherheitsdienst, sie hätte das Schild nicht geschrieben. Er
solle sich gefälligst in der Apotheke eine FFP2-Maske kaufen und dann
wiederkommen.
Also machte er
sich auf zur Apotheke, die ein paar Minuten entfernt am anderen Ende der Klinik
sich befindet. Kaufte die FFP2-Maske. Dackelte zurück. Durfte sich erneut in
der Hitze anstellen.
Eineinhalb
Stunden nach seiner Ankunft am Krankenhaus und eine Stunde nach der
verabredeten Zeit konnte er dann endlich um 16 Uhr seine Frau in ihrem
Krankenzimmer begrüßen.
Keine Person in
der Warteschlange, die für ihn Partei ergriffen hätte. Niemand, der ihn nach der
Rückkehr aus der Apotheke vorgelassen hätte. Einen 80-jährigen, deutlich nicht
gut zu Fuß seienden Mann….
Eigentlich bin
ich noch immer fassungslos. Mal abgesehen von der an sich schon unmenschlichen Regelung für den Krankenhausbesuch .... [Hier in dern Niederlanden braucht man nur eine medizinische Mundnasenbedeckun, keinen negativen Test, schon gar nicht die Impfung, um seine kranken Angehörigen in der Klinik besuchen zu können.] Das ist dann also nach 18 Monaten das Ergebnis der
sozialen Isolation der hinter Masken versteckten 1,5-m-Gesellschaft. Welche Unmenschlichkeit
hat sich in dieser kurzen Zeit breitgemacht. Es ist wieder soweit. Gib kleinen,
unbedeutenden Figuren Macht, und sie kosten sie aus bis in den letzten
Zentimeter. Lassen die anderen spüren, wer hier das Sagen hat.
Das hatten wir doch
alles schon mal.
Die komplette Abwesenheit
jeglicher Menschlichkeit und Mit-Menschlichkeit macht mir Angst. Wenn das die vorherrschende
Stimmung, der vorherrschende Umgangston in der Gesellschaft ist, dann gute Nacht.
Jetzt, ein paar Stunden
nach dem Telefonat, nachdem ich das alles mir von der Seele geschrieben
habe, geht es mir etwas besser, blicke ich mich um in meinem Leben.
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Und ich bin froh,
dass ich eine Menge Menschen kenne und um mich habe, die völlig anders ticken. Von denen ich
weiß, dass sie – hätten sie mit meinem Freund in der Schlange gestanden – ihm bei
gestanden hätten in der Diskussion mit der jugendlichen Torwächterin. Oder
zumindest nach der Rückkehr von der Apotheke dafür gesorgt hätten, dass er
nicht wieder völlig hinten sich anstellen hätte müssen.
Bin froh, dass es
noch viele, viele Menschen gibt, die sich von dieser Eineinhalb-Meter-Kälte
nicht einfrieren lassen. Die sich ihre Herz-lichkeit bewahren und sie gerade
jetzt besonders zum Ausdruck bringen.
An diese Menschen
halte ich mich. Mit solchen Menschen kann man überall, wo man ist, wo man
hinkommt, kleine Keimzellen von Wärme und Mitmenschlichkeit aufbauen. Und hoffen,
und sehen, wie sie wie in einem Schneeballsystem die Kälte von innen her wieder
aufwärmen.