Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Donnerstag, 25. Februar 2021

Sei wachsam

Vor ein paar Tagen begegnete mir irgendwo auf einer der vielen Websites, an denen man im Lauf eines Tages vorbeikommt, ein Song von Reinhard Mey aus dem Jahr 1996: "Sei wachsam".
Beim Zuhören bekam ich eine Gänsehaut. Vor 25 Jahren geschrieben. Brandaktuell.

Hier ist eines der zahlreichen Videos mit diesem Titel.


Die Illustrationen auf der Seite sind Standbilder aus einem anderen Video, das ich unterhalb des Songtextes verlinke. 

Sei wachsam – Reinhard Mey

Standbild aus einem gelöschten Video mit dem Song

Ein Wahlplakat zerrissen auf dem nassen Rasen,
Sie grinsen mich an, die alten aufgeweichten Phrasen,
Die Gesichter von auf jugendlich gemachten Greisen,
Die Dir das Mittelalter als den Fortschritt anpreisen.
Und ich denk’ mir, jeder Schritt zu dem verheiß’nen Glück
Ist ein Schritt nach ewig gestern, ein Schritt zurück.
Wie sie das Volk zu Besonnenheit und Opfern ermahnen,
Sie nennen es das Volk, aber sie meinen Untertanen.
All das Leimen, das Schleimen ist nicht länger zu ertragen
,
Wenn du erst lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen:
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!

Refrain:
Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,

Standbild aus einem gelöschten Video mit dem Song

Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht
nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Du machst das Fernsehen an, sie jammern nach guten, alten Werten.
Ihre guten, alten Werte sind fast immer die verkehrten.
Und die, die da so vorlaut in der Talk-Runde strampeln,
Sind es, die auf allen Werten mit Füßen rumtrampeln:
Der Medienmogul und der Zeitungszar,
Die schlimmsten Böcke als Gärtner, na wunderbar!
Sie rufen nach dem Kruzifix, nach Brauchtum und guten Sitten,
Doch ihre Botschaft ist nichts als Arsch und Titten.
Verrohung, Verdummung, Gewalt sind die Gebote,
Ihre Götter sind Auflage und Einschaltquote.
Sie biegen die Wahrheit und verdrehen das Recht:
So viel gute alte Werte, echt, da wird mir echt schlecht!

| Refrain |

Es ist ‘ne Riesenkonjunktur für Rattenfänger,
Für Trittbrettfahrer und Schmiergeldempfänger,
‘ne Zeit für Selbstbediener und Geschäftemacher,
Scheinheiligkeit, Geheuchel und Postengeschacher.
Und die sind alle hochgeachtet und sehr anerkannt,
Und nach den schlimmsten werden Straßen und Flugplätze benannt.
Man packt den Hühnerdieb, den Waffenschieber läßt man laufen,
Kein Pfeifchen Gras, aber ‘ne ganze Giftgasfabrik kannst du kaufen.
Verseuch’ die Luft, verstrahl’ das Land, mach ungestraft den größten Schaden,
Nur laß dich nicht erwischen bei Sitzblockaden!
Man packt den Grünfried, doch das Umweltschwein genießt Vertrau’n,
Und die Polizei muß immer auf die Falschen drauf hau’n.

| Refrain |

Wir ha’m ein Grundgesetz, das soll den Rechtsstaat garantieren.
Was hilft’s, wenn sie nach Lust und Laune dran manipulieren,

Die Scharfmacher, die immer von der Friedensmission quasseln

Und unterm Tisch schon emsig mit dem Säbel rasseln?

Der alte Glanz in ihren Augen beim großen Zapfenstreich,

Abteilung kehrt, im Gleichschritt marsch, ein Lied und heim ins Reich!

„Nie wieder soll von diesem Land Gewalt ausgehen!“

„Wir müssen Flagge zeigen, dürfen nicht beiseite stehen!“

„Rein humanitär natürlich und ganz ohne Blutvergießen!“

„Kampfeinsätze sind jetzt nicht mehr so ganz auszuschließen.“

Sie zieh’n uns immer tiefer rein, Stück für Stück,

Standbild aus einem gelöschten Video mit dem Song

Und seit heute früh um fünf Uhr schießen wir wieder zurück!

| Refrain |

Ich hab’ Sehnsucht nach Leuten, die mich nicht betrügen,
Die mir nicht mit jeder Festrede die Hucke voll lügen,

Und verschon’ mich mit den falschen Ehrlichen,

Die falschen Ehrlichen, die wahren Gefährlichen!

Ich hab’ Sehnsucht nach einem Stück Wahrhaftigkeit,

Nach ‘nem bißchen Rückgrat in dieser verkrümmten Zeit.

Doch sag die Wahrheit und du hast bald nichts mehr zu lachen,

Sie wer’n dich ruinier’n, exekutier’n und mundtot machen,

Erpressen, bestechen, versuchen, dich zu kaufen.
Wenn du die Wahrheit sagst, laß draußen den Motor laufen,
Dann sag sie laut und schnell, denn das Sprichwort lehrt:
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd.

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,

Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht
nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Das Video mit dem Song von Reinhard Mey, aus dem die Standbilder stammen, ist leider inzwischen nicht mehr zu finden. Von youtube gelöscht.

Montag, 22. Februar 2021

Das Leben leben

Wie versprochen, hier die Fortsetzung zum Blog vom 1. Februar, in dem ich angefangen habe, Ideen zusammen zu tragen, die eine Antwort sein können. Antwort auf die Frage "Was kann ich tun in dieser aktuellen, noch immer von Angst vor dem Virus geprägten Zeit, um mich innerlich davon nicht berühren oder gar herunterziehen zu lassen?" 

In der Außenwelt wird noch immer täglich alles dafür getan, diese Angst just zu schüren und immer neu anzufachen. Die soundsovielte Welle… die soundsovielte und immer schlimmere Mutation … undsoweiter.

Gefunden auf Pinterest 
Was kann ich dagegen setzen? Vor allem, wenn ich nicht zu den gesegneten Menschen gehöre, die noch arbeiten und dadurch Kolleginnen bzw. Kollegen sprechen und/oder sehen.
Bzw. wenn ich nicht über einen großen Bekanntenkreis verfüge, der mir ermöglicht, mich weiterhin, wenn auch nur mit je einer Person gleichzeitig, treffen zu können zum Spazierengehen, gemeinsam bestelltem Essen genießen, zusammen quatschen oder gestreamte Filme ansehen.

Etwas sehr Wichtiges habe ich mir seit ein paar Tagen sehr bewusst angewöhnt: ich lächle. Täglich und so oft wie möglich. Wann immer ich in den Spiegel schaue – beim Händewaschen zum Beispiel, oder beim Kämmen – lächle ich mich an. Beim Zähneputzen ist es etwas mühsamer... 😉 Kritische Gedanken, die über das aufkommen wollen, das ich gespiegelt sehe, verabschiede ich sofort und suche etwas Schönes, Erfreuliches an, in meinem Gesicht.

Auch ein guter Artikel zum Thema ist der, der mit diesem Bild eröffnet wird
im Focus erschienen

Dem Leben an sich lächle ich zu. Morgens, wenn ich aus dem Schlafzimmer in den Park schaue. Wenn ich in der Küche ankomme und mit dem Frühstückmachen beginne. Wenn ich einfach so zum Fenster hinausschaue. Wenn ich durch den Garten zur Biotonne laufe. Lächeln. Auch wenn es sich anfangs etwas merkwürdig anfühlen mag. Das Lächeln verändert sofort etwas in meinem Lebensgefühl.  Das tolle ist, dass das selbst funktioniert mit bewusst "aufgesetztem" Lächeln. Biochemisch ist es wohl so, dass u.a. Serotonin und Endorphine ausgeschüttet werden. Gleichzeitig wird die Produktion von Stresshormonen wie Adrenalin oder Cortisol gebremst.

Auch die (wenigen) Menschen, die mir beim Spazierengehen oder an den seltenen Einkaufstagen begegnen, lächle ich an. Das tu mir gut. Das tut ihnen gut. Und funktioniert auch in jenen traurigen Regionen, die denen selbst draußen Masken getragen werden müssen. Denn wenn ich lächle, lächeln meine Augen mit.

Was übrigens nicht funktioniert, bzw. in sein Gegenteil umschlägt, ist das stundenlange berufsmäßige Dauerlächeln, das den Angehörigen mancher Professionen aufgezwungen ist.  Das macht Stress. Das Lächeln wollen muss schon aus mir selbst kommen.

Diese schöne Postkarte stammt aus diesem Webshop
Interessante Erfahrung: beinahe automatisch stellt sich gemeinsam mit jenem Lächeln gegenüber dem Leben auch Dankbarkeit ein. Dankbar sein ist ebenfalls eine enorme Kraft, die die innere Stimmung aufhellt. Dazu gibt es mehrere wissenschaftliche Untersuchungen, für jede/n einfach zu finden im www. Stellvertretend nenne ich hier eine. 

Jedenfalls merke ich, wenn ich mich einmal hinsetze und aufschreibe, wofür ich in diesem aktuellen Moment dankbar bin, dass sich ganz schnell eine lange Liste ergibt.


Die 'ja-aber…'-Stimme, die dann ganz schnell laut werden will, schicke ich weg: "Danke, dass Du hier bist und mich an Dinge erinnern willst, die weniger schön sind. Das hat seine Berechtigung. Durchaus. Ich höre Dir ein ander Mal wieder zu und handle dann auch. Aber jetzt konzentriere ich mich auf die schönen Dinge, auf das, was mir alles ins Leben geschenkt wird."

Es wird empfohlen, z.B. von Deepak Chopra in seiner Meditationsreihe zur Dankbarkeit, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen und täglich z.B. am Abend mindestens 5 Dinge hineinzuschreiben, für die man aktuell dankbar ist. Das ist eine gute Übung, um die Haltung von Dankbarkeit in sich Grund zu legen. Erstaunt habe ich festgestellt – habe erst jetzt einmal danach gesucht – dass es Hunderte kalenderartig vorgedruckte Exemplare mit Dankbarkeitsleitfragen im Buchhandel käuflich zu erwerben gibt.

Zusammen mit dem Lächeln zum Leben hin allerdings stellt sich Dankbarkeit, wie gesagt, sozusagen von selbst ein. Und damit auch ein gewisses Wohlfühlen.


 

Wobei ich ehrlicherweise zugebe, dass dies alles mit einem Wetter wie zur Zeit – Sonne und Frühlingstemperaturen – ganz, ganz leicht fällt.

Ein guter Anfang.

 

 

Donnerstag, 18. Februar 2021

Taschenlampe unterm Eimer

Netzfund: Facebook
"Stell Deine Taschenlampe nicht unter den Eimer" sagte mein Chef damals im Pfarrbüro zu mir, wenn ich mich seiner Ansicht nach wieder einmal zu bescheiden gegeben hatte. Mach Dich nicht kleiner, als Du bist! Lass Dein Licht leuchten! Tu, was in Deiner Kraft steht! Sei, die Du bist! Oder auch, wie wir das Zitat aus Matthäus 5,15 kennen: "Stell Dein Licht nicht unter den Scheffel".

Nach Kräften leuchten und lebendig sein, das ist in dieser Irrsinnszeit mit ihren allgegen-wärtig herumwabernden Ängsten und Bedrohungsszenarien ganz besonders wichtig. Denjenigen ein Leuchtturm sein, die in diesem Nebel jede Orientierung zu verlieren drohen. Im Zweifelsfall mir selbst.

Gefunden auf Pinterest
Christina von Dreien nannte das "Freude ins Feld setzen", darüber schrieb ich im vergangenen Frühjahr schon einmal.  Die Aufgabe ist noch stets dieselbe. Und es ist auch noch immer so, dass ich selbst wieder und wieder dorthin zurück zu kehren mich auffordern muss. Es geht nicht einfach so von selbst. Zu suggestiv ist das Herumhämmern auf den Anzahlen der positiv getesteten, der gestorbenen, der auf Intensivstationen verlegten Menschen.

Eine meiner Brieffreundinnen hat mich auf das Gedicht "Kleines Beispiel" von Erich Fried aufmerksam gemacht. Das passt zum Bild und taugt ebenfalls als Ermutigung. Online habe ich es unter anderem hier gefunden.

 
Kleines Beispiel

Auch ungelebtes Leben
geht zu Ende
zwar vielleicht langsamer
wie eine Batterie
in einer Taschenlampe
die keiner benutzt

Aber das nutzt nicht viel:
Wenn man
(sagen wir einmal)
diese Taschenlampe
nach so- und sovielen Jahren
anknipsen will
kommt kein Atemzug Licht mehr heraus
und wenn du sie aufmachst
findest du nur noch Knochen
und falls du Pech hast
auch diese
schon ganz zerfressen

Da hättest du
genau so gut
leuchten können

                             Erich Fried

Montag, 15. Februar 2021

Vom Eise befreit

Tauende Eisfläche nach einem Tag Dauerregen bei 3 Grad Lufttemperatur
 

 

 

 

 

 

 

…sind Strom und Bäche…

 

 

naja, noch nicht ganz.
Das Tauwetter nach einer Woche echtem Winter hat heute Morgen eingesetzt unter Begleitung von stetigem Regen und den Menschen in den Niederlanden mehr als einen halben Tag lang spiegelglatte Straßen und Fußwege serviert. Hier im Norden kam die Aufwärmung aus dem Südwesten als letztes an, aber auch hier ist sie tagsüber schon zu merken und wird am Abend immer deutlicher.

Gefrorener Regen am Fenster mit Blick in den Park
 

Nachdem ich heute Morgen noch das wunderbare Schauspiel gefrorenen Regens an der Außenseite eines Fensters auf der aktuellen Wetterseite bestaunen durfte, strömt nun der Regen an jener Fensterscheibe entlang.

Es war sehr schön in den letzten, frostigen Tagen, klare Luft, nur ein paar kleine Wölkchen am Himmel, heller Sonnenschein. Und es gab Bilder zu sehen, die selten geworden sind. Aufgehäuften Schnee. Zugefrorene Teiche, Seen und Kanäle. Viele Schlittschuhläufer, auch hier im Dorf. In der Stadt Groningen konnte man auf dem "Diepenring" Eislaufen, dem geschlossenen Ring aus Grachten der sich rund um die Innenstadt zieht. Bilder wie auf historischen Gemälden. Nur die Kleidung ist anders.

Und doch bin ich froh, dass es nun wieder wärmer wird. Nicht nur war es ein ziemliches Getue, die Luftfeuchtigkeit im Erdgeschoss der Musikinstrumente wegen möglichst auf über 35% zu halten. Es war auch ein bisschen unangenehm draußen beim Spazierengehen mit der enorm trockenen Luft. Irgendwie stecke ich das alles nicht mehr so leicht weg wie noch vor ein paar Jahren. Die Daueranspannung in der Lebensatmosphäre überall um eine herum wegen der C-Krise mag da auch eine Rolle spielen; das Leben lebt sich einfach nicht mehr automatisch so leichtfüßig wie noch vor zwölf Monaten.

Gestern vor einem Jahr war ich noch bei einem Konzert der hr-Bigband im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt. Wow!, wie war das schön.  Zu Gast waren damals der Puerto-Ricaner Miguel Zenón am Saxophon und der Argentinier Guillermo Klein als Arrangeur und Bandleader. Es war ein wunderbares, lebendiges, musikalisch inspiriertes Konzert. Meine Schwester war mit, und nach dem Konzert trafen wir ein mit meiner Schwester befreundetes Paar. Zusammen gingen wir nach dem Konzert Essen; im ehemals eine typisch Frankfurter Kneipengaststätte gewesenen Restaurant war es knallvoll, nur mühsam ein Tisch für uns vier zu bekommen. Später zeigte sich noch, dass dies auch die Stammkneipe der Bigband-Musiker war. Ein ganz altes Gefühl stellte sich wieder ein von damals, als ich Stammgast in den beiden Kneipen war, in denen sich Schauspielerinnen und Schauspieler des in den 70ern besonders experimentierfreudigen "Schauspiel Frankfurt" nach den Vorstellungen tummelten. Es war immer schön und lebendig, und mit manchen von ihnen kam man relativ einfach ins Gespräch.
Ein wunderbarer Abend war das vor einem Jahr in Frankfurt. Obwohl offenbar schon die ersten Gerüchte von einem "neuartigen Coronavirus" im Umlauf waren, scherte sich niemand drum, und das, was heute ein "Supersprider-Event" genannt würde, eine knallvolle Gaststätte mit nicht allzuviel Lüftung, in der die Leute dicht auf dicht saßen, war schlichtweg normales Leben, bei dem sich niemand etwas Böses dachte. Nicht "altes Normal", wie ich gerade im Radio gehört habe. Einfach normales Normal.

Aber eigentlich wollte ich ja über die innere Erleichterung angesichts der schwindenden Kälte und des schwindenden Eises schreiben. Mein Gefühl ist, dass sich durch die Klimaveränderung auch die subjektive Wahrnehmung der Jahreszeiten und die (unbewusste) Erwartung verändert haben. Genau wie die Vögel, die schon gestern wieder hier überall ihre Frühlingsgesänge angestimmt hatten, ist es auch mir bereits jetzt, Mitte Februar, nicht mehr nach Winter. Offiziell geht der Winter noch bis Mitte März. Gefühlt darf er ruhig jetzt schon zuende sein.

Wobei ich mir jedes Jahr erneut sage: die eingangs zitierten, berühmten Zeilen von Goethe spielen während eines Spaziergangs am Ostersonntag, gehören zu einem Monolog des Faust mit Wagner in der Szene "Vor dem Tor" aus "Faust. Der Tragödie erster Teil". Das frühestmögliche Datum für einen Ostersonntag wäre der 22. März.

Gardengotttesdienst im Mainzer Dom am Fastnachtssonntag 2021
Jetzt ist es gerade mal Fassenacht. Auch wenn man dies Jahr nicht viel davon merkt. Offenbar aber durfte der Gottesdienst für die Garden und Korporationen der Meenzer Fassenacht im Mainzer Dom stattfinden. Die Bilder davon gehören zu dem absurdesten, das ich in der gesamten Zeit seit Beginn der Lockdown- und Menschen-von-einander-abgrenzen-Politik gesehen habe. Gruseliger kann man nicht darstellen, was die Maßnahmen mit den Menschen machen. Aber darauf will ich jetzt weiter nicht eingehen.

Die ganze Fastenzeit von 40 Tagen muss noch kommen, bevor es Ostern werden kann. Das wären noch ganz schön viele Wochen Winter… eigentlich.

Dem Gefühl aber ist das egal. Etwas in mir ist froh um jeden Krümel Schnee, der wegschmilzt. Mildere Temperaturen und eine etwas höhere Luftfeuchtigkeit finde ich inzwischen einfach angenehmer. Es fühlt sich entspannter an. Die Seele will wieder Vogelgezwitscher hören und erste Frühjahrsblüher ihre Köpfe aus der Erde stecken sehen.

Und so habe ich den "Osterspaziergang" noch einmal gut gelesen. Schließlich geht es hier genau um dies Gefühl, diese Sehnsucht. Mit dem ganzen C-Virus Elend im Gepäck liest sich dies alles noch ganz anders.

Zum Einen die Sehnsucht nach der bunten, optimistischen, frühlingshaften Natur.

Zum Anderen, und noch viel stärker, die Sehnsucht unter fröhlichen Menschen zu sein. Wieder einfach so und ohne die Drohung, durch Polizei auseinandergetrieben zu werden und/oder hohe Bußen zu bezahlen, Teil ausmachen zu dürfen von buntem Gewimmel.  Wieder einfach so gemeinsam mit anderen jauchzen und jubilieren zu dürfen. Wie weit weg ist doch unserem heutigen Lebensgefühl der Ausruf Fausts, mit dem das Gedicht schließt!

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet groß und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

 

Donnerstag, 11. Februar 2021

Schneechaos?

Der kleine Park hinter unserem Garten heute Morgen kurz vor Sonnenaufgang

Heute, ein paar Tage nach dem so dramatisch angekündigten Schneesturm, lache ich innerlich über meine Panik vom Sonntag. Ja, der lange anhaltende Sturm war wirklich nicht angenehm. Irgendwann war ich schon k.o. allein von dem nicht endenwollenden Gebraus und Gesaus draußen. Und die Lage Feinstaub, die sich auf dem Fußboden im Dachgeschoss und auf einigen Fensterbrettern gebildet hatte, war alles andere als erfreulich. Meine Theorie dazu: durch die Lüftungsgitter und beim Dach auch durch die Ritzen bei den Rohren für Heizungszuluft und -abluft sowie die Abluft aus dem Lüftungssystem war feinster Pulverschnee nach innen geweht worden, war natürlich in der warmen Innenluft sofort getaut, und  die Staubpartikel, die den Kristallisationskern der Schneekristalle gebildet hatten, blieben zurück. Führte zu einer ungeplanten Putzaktion.

Aber ansonsten?

Die Schneeskulptur auf unserer Terrasse verändert sich allmählich von einer alpinen Gebirgskette zu einer Mittelgebirgslandschaft. Der geschaufelte Pfad wird täglich breiter, denn die Sonne hat schon viel Kraft. Wir erleben fantastisch klare, sonnige Wintertage mit nicht allzuviel Wind. Wintertage zum Genießen.


Gestern sah ich die ersten Kinder das Eis auf den Weihern im Park auf Tragfähigkeit testen. 

 

Heute dann waren es noch mehr Kinder, die teils ihre Schlittschuhe mitgebracht hatten und vergnügt auf dem größten der Weiher Schlittschuh liefen. 

An anderer Stelle sah ich Kinder, die auf einer
improvisierten Mini-Rodelbahn in einem Vorgarten auf einem breiten Metallstück schlitterten. Papa hatte die Schneeverwehung vom Sonntag kreativ umgeschaufelt und an der Oberfläche geglättet.


In ihrer Mittagspause spazieren sich fröhlich unterhaltende Grüppchen von Männern durch unsere inzwischen weitgehend freigefahrene Wohnstraße, das wunderschöne Winterwetter genießend. Offensichtlich nehmen sie an, dass Kollegenschaft in einem der verarbeitenden Betriebe im Uralt-Industriegebiet am hintersten Ende unserer Straße eine Art "gemeinsamen Haushalt" kreiert, was sie ihrer Überzeugung nach von der aktuellen Regel befreit, dass man auch draußen lediglich mit einem einzigen haushaltsfremden Menschen zusammenkommen darf, und das bitte auf 1,5 m Abstand. Mich stört der Gruppenmittagspausenspaziergang nicht. Im Gegenteil. Ich finds schön, so viel Normalität und Lebendigkeit zu erleben und ihre Stimmen im angeregten Gespräch zu hören.

Sonnenaufgang heute Morgen, Blick auf den Park hinterm Garten

Auch ich genieße inzwischen das wunderbare, klare Winterwetter mit seinem strahlend hellen Licht in vollen Zügen. Der tägliche Spaziergang ist ein großes Vergnügen.

Auch wenn durch die starken Verwehungen keine dichte, dicke Schneedecke liegt, sieht doch alles verzaubert aus. Ein Anblick, der das Herz erfreut.

Und darum nehme ich Euch, liebe Leserinnen und Leser, heute mit auf meinen Mittagsspaziergang im Dorf.

 

Um einzelne Fotos größer zu sehen, braucht Ihr nur darauf zu klicken. Sie öffnen sich dann in einem neuen Fenster im großen Format.

Links ein Teil unseres Vorgartens im Winterkleid.

 

 

Vom Haus aus laufen wir durch die Wohnstraße und biegen dann zum Park ab. Der Graben hinter unseren Gärten ist zugefroren und zeigt sich romantisch.

Nun schlendern wir auf den gewundenen, teils verschneiten, teils freigewehten Pfaden durch das Pärkchen. 

 

Wir gehen über die Brücke, die oben auf den Fotos mit den eislaufenden Kindern und dem Bild mit dem Gesamtblick auf den Park zu sehen ist und die die Grenze zwischen kleinem und großem Weiher markiert. Rechts von uns liegt nun der zugefrorene, kleine Weiher. Im Hintergrund die Häuser unserer Wohnstraße.

Weiter gehts in Richtung Stationsstraat (Bahnhofstraße). Und schon haben wir das Pärkchen verlassen, biegen ab Richtung Dorfmitte. Im Vorbeigehen schauen wir noch zum direkt neben dem Park liegende Hirschgarten.


Auch dessen Weiher, im Hintergrund auf dem Foto, ist natürlich zugefroren.

In der Mitte des Dorfes ist doch noch was von den Schneemassen zu erahnen, die im Laufe eines ganzen Sonntags und der darauf folgenden Nacht vom Himmel gefallen sind. Alle ordentlich beiseite geschaufelt.

Auch hier merken wir die Wirkung der schon mit Kraft strahlenden Sonne. Kleine Schneerestchen auf dem Fußweg, die nach dem Räumen übrig geblieben waren, sind nach zwei Tagen Wintersonne weggetaut.

Zwischen dem grauen und dem roten Haus auf dem linken Bild schauen wir durch die Einfahrt zurück in Richtung Bahnhofshotel, das weiße Gebäude im Hintergrund. Wieder zeigt sich ein zugeschneiter und zugefrorener Graben im romantischen Winterkleid.

 

 

 

Einer der paar "Malerwinkel" in Zuidbroek. Blick übers stillgelegte Muntendamer Diep in Richtung Yachthafen und dahinter das Winschoter Diep. Das Muntendamer Diep war früher der Kanal zum nach dem Krieg zugeschütteten Bahnhofs-Hafen und führte dann weiter zum nächsten Ort Muntendam und noch weiter Richtung Süden in Richtung der Veenkolonien (Moorkolonien).

Über die historische Ziehbrücke im Hintergrund führte früher die Zufahrt von Westen her ins Dorf. Heute dürfen nur noch Fußgänger und Fahrradfahrer sie passieren. Die Straße wurde umgeleitet und führt nun über einen feste Brücke ins Dorf, von der aus ich das Foto gemacht habe.

 

Zum Schluss noch ein Blick ins Zentrum. Das 'Social Sofa' mit Szenen aus der Verkehrsgeschichte von Zuidbroek, hier erkennbar das Winschoter Diep, der Kanal, der mitten durch Zuidbroek führt, und noch ein bisschen was vom historischen Bähnle, lädt normalerwiese ein zum Verweilen mit Blick auf den Hafen. Jetzt allerdings hat sich der Schnee hier niedergelassen.

 

 

Von hier aus sind wir in guten 10 Minuten wieder zurück bei unserem Haus.
Auf den letzten Metern höre ich kräftiges Tschilpen einer größeren Schar Spatzen und Gezwitscher von anderen Vögeln. Auch sie genießen offenbar die Wärme, die dort entsteht, wo der zwar schwache, aber eisig kalte Ostwind nicht hinkommt.


Nachtrag.
Gerade nochmal glimpflich abgegangen ist der Schneesturm für die Gewächshäuser des Bio-Gemüsebauern, in dessen Hofladen wir jede Woche unser Obst und Gemüse einkaufen.
Für die platten Glasflächen eines Gewächshauses und auch die Gesamtkonstruktion können große Mengen Schnee eine echte Gefahr sein.
Im aktuellen Newsletter schreiben Jeanette und Marcel Douma, dass bei ihnen lediglich vier Scheiben zerbrochen sind. Allerdings aus den großen Gemüseanbaugebieten im Westland, am anderen Ende der Niederlande, hört man von ganzen Gewächshäusern, die unter der Schneelast eingestürzt sind.

Foto Jeanette en Marcel Douma, De Keukentuin



 

 








 

 

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