Mitte März bis 10. April 2020 täglich. Ab 11. April 2020 erscheinen die Beiträge jeden zweiten Tag. Ab Montag, 22. Juni 2020 immer Montag und Donnerstag abends. Ab Montag, 13. Dezember 2021 am Montagabend nach 22 Uhr.


Montag, 27. Juni 2022

Post für die Bären

Vorgestern Morgen war ich mit allem ein bisschen spät dran. Ich hatte herumgetrödelt, war nach dem Frühstück nochmal gemütlich nach oben zum Lesen gegangen, als ich unerwartet unten die Haustür zuschlagen hörte. Danach waren Geflüster und Geraschel zu hören - mir schwante was. So schnell ich konnte, stand ich aus meinem gemütlichen Sessel auf und sauste ins andere Zimmer zum Teddy-Sofa.
Leer.     
Fast.
Meine zwei Schlitzohren hatten zwei süße Vertreter zum Häkelhäschen aufs Sofa geschickt. 


Beunruhigt raste ich mehr springend als laufend die Treppe hinunter. Da standen sie, am Fuß der Treppe, einen Brief in der Hand, und guckten, als ob sie kein Wässerchen trüben konnten.
Meine lieben, unschuldigen Teddys!

Natürlich stand mein Name auf dem Umschlag!
Aber... - da stand noch etwas anderes.
Nämlich: "Bärenpost"
Wie hatten die zwei das wieder wissen können??? Hellsichtig...

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen - offenbar hatte die Absenderin der Tatsache Rechnung getragen, dass Martin noch sehr jung ist und vielleicht noch nicht so gut lesen kann - war auch noch ein niedlicher Bär auf den Umschlag gezeichnet.

So also war das!
Diesmal war die Geschichte nicht so eindeutig wie so oft.

Teddy und Martin fanden sie überhaupt vollkommen eindeutig! Ehe man sich's versah, hatten sie den Umschlag aufgeschlitzt und linsten hinein.

Was wohl drinnen sein würde?

 



Ungeduldig, wie sie waren, machten sie sich gar nicht erst die Mühe, mit dem Umschlag nach oben Richtung Teddysofa zu klettern. Stattdessen suchten sie sich ein bequemes Plätzchen auf unserem Sofa im Wohnzimmer und erkundeten den Inhalt.

Eine handgezeichnete Karte kam zum Vorschein.
Mit einem Bären darauf.
Einem weißfelligen Eisbären ganz offensichtlich.
Aber wenn das hier ein Eisbär ist, was ist das dann auf dem Umschlag? Ein Blaubär? Blaubären. Eine auch in deutschen Wäldern selten gewordene Rasse!


So, nun hatten Teddy und Martin die Karte wohlbehalten aus dem Umschlag gewurstelt und konnten sie in Ruhe betrachten.

Was für eine süße rosa Nase dieser Eisbär hatte!
Und Besuch hatte er, von zwei fröhlich tschilpenden Spatzen, die es sich auf seinem Kopf gemütlich gemacht hatten und sich von ihm durch die Fluten tragen ließen

"Ein sehr gelassener Eisbär" dachte Teddy, der seinerseits eher zu Unruhe und Quirligkeit neigt. Obwohl er andererseits manchmal so richtig gesetzt und ruhig aussehen kann. Hier trügt dann aber der Schein.



Doch mal lieber nach oben aufs Teddysofa, hatten meine zwei Racker sich inzwischen offenbar gedacht.
Gute Entscheidung. Hier würden sie ungestört und in völliger Muße die Karte ausführlich studieren können. Hibbelig war Martin sofort aufs Sofa gehüpft, hatte die Karte zu sich nach oben gezogen, und nun musste  Teddy noch sehen, wie er hinaufkletterte.

So! das hätten wir.
Zur Belohnung gönnt Teddy sich als erster die Bildseite der Karte, um den Eisbären noch einmal ganz ausführlich zu betrachten.

Und...
von wegen noch nicht lesen können!

Martin studiert derweil andächtig den Text auf der Rückseite der Karte.

Wer ganz genau hinguckt, kann Teddy schon mit seiner linken Hinterpfote etwas ungeduldig klopfen sehen. Nachdem nämlich Martin so andächtig las, war er neugierig geworden, was auf der Rückseite stand.
Da Martin ein ganz Lieber ist, aber eben auch ein kleines Schlitzohr, wird er Teddy nicht lange auf die Folter spannen und die Karte umdrehen.

Dann kann nämlich er nach dem wunder-wunderschönen Eisbären schauen.

Montag, 20. Juni 2022

Fluten

Bernardus Mourik, Sint Maartensvloed 1686 oder Weihnachtsflut 1717

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass alles immer chaotischer wird. Mehr und mehr vermeintliche Sicherheiten lösen sich in Luft auf. Immer stärker sieht es so aus, als ob auf vielen Gebieten alles in Bewegung gerät und – wer weiß – letzten Endes nur wenige Steine auf den anderen liegen bleiben werden. In den nächsten Jahren werden sich unser aller Lebens-Alltage enorm verändern.


Das bringt ein unsicheres Gefühl mit sich.
Wohlfühlen geht anders.
Perioden des kompletten Wandels, Zeiten eines Umbruchs sind immer aufreibend, kraftzehrend und fordern den ganzen Menschen.

In diese Gefühlswelt hinein begegnete mir im bereits mehrfach erwähnten Buch von Holger Heiten am Ende des Kapitels über (das) "Fallen als initiatisches Mittel" ein Gedicht von Hilde Domin, das mir in diesen wirren, seltsamen Zeiten Anregung Trost sein kann.
Der einen oder anderen von Euch vielleicht auch?

Konsolkapitell in St. Walburga, Walberberg
Noah und die Taube
80er Jahre des 20. Jahrhunderts

Bitte


Wir werden eingetaucht

und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen
Wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht
der Wunsch den Blütenfrühling zu halten
der Wunsch verschont zu bleiben
taugt nicht

Konsolkapitell in St. Walburga, Walberberg
Drei Jünglinge im Feuerofen
80er Jahre des 20. Jahrhunderts

Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
Daß die Frucht so bunt wie die Blume sei
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden

 
Und daß wir aus der Flut

daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler

stets von neuem

zu uns selbst

entlassen werden



Montag, 13. Juni 2022

Resilienz

… heißt ein Zauberwort, das mir immer häufiger begegnet. Resilienz müsste man haben…
     ... eine Kernfähigkeit, um das Leben gut zu leben.

Während einer Online-Lesung heute Abend – das Buch "Abenteuer im Wilden Osten" aus dem Filos-Verlag wurde vorgestellt – beschrieb im Nachgespräch einer der Teilnehmer eine wesentliche Fähigkeit der Menschen in der DDR als "Sie hatten eine geniale Geschicklichkeit entwickelt, aussichtslos erscheinende Situationen doch zu bewältigen."   

Die kürzeste Definition von Resilienz, die mir bislang untergekommen ist. 

Im bereits am letzten Montag zitierten Film "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" wird auch auf diese Fähigkeit von Menschen, ihre Wirklichkeit zu gestalten, explizit eingegangen.

Eine offizielle Definition von Resilienz lautet: "Resilienz beschreibt die Entwicklung, Nutzung und den Zugang zu den Potentialen, die Menschen dazu befähigen, Niederlagen, Unglück, Stressoren und Schicksalsschläge besser und schneller zu meistern oder den Körper zu heilen. Resilienz beschreibt (…) eine Umgangs-Kompetenz. Das heißt, nicht das Phänomen, sondern meine resiliente Reaktion auf das Phänomen macht den Unterschied."
Im Film wird es so beschrieben: Es geht um die Fähigkeit, die eigene Wirklichkeit positiv zu ändern.

Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Es geht um die Reaktion auf eine Situation und um die Fähigkeit, diese Situation aktiv zu gestalten.
Irgendwie hat sich das für mich vor allem in den letzten zweieinhalb Jahren zu einem intensiven Lernprogramm entwickelt. Darin stehe ich nicht allein, das merke ich in vielen Gesprächen mit anderen Menschen. All das, was ins Wanken geraten ist bzw. mehr oder weniger unwiederbringlich verloren gegangen ist in dieser Zeit des großen C, zusätzlich nun noch der bewaffnete Konflikt im Osten Europas, stellt eine enorme Herausforderung dar für das Vermögen jeder einzelnen Person, weiterhin aufrecht und zuversichtlich im Leben zu stehen. Es gibt einfach wahnsinnig Vieles, über das man komplett hoffnungslos werden könnte.

Im Film wird nach Bedingungen geschaut, die Menschen helfen, Resilienz zu entwickeln bzw. nach dem, was resiliente Menschen kennzeichnet. Ob man sich da was abschauen kann?

Zum Beispiel weisen die Autoren des Films darauf hin, wie wichtig Beziehungen für die Entwicklung von Resilienz sind. Wie wichtig es, vor allem in der Kindheit ist, wenn bei insgesamt ungünstigen Lebensumständen einer da ist, der an einen glaubt, der eine unterstützt.

Das hat sich auch in diesen vergangenen, zähen 30 Monaten immer wieder erwiesen: Kontakt zu anderen Menschen, möglichst echter Kontakt von Mensch zu Mensch, aber auch digitaler Kontakt ist einfach überlebenswichtig.

Resiliente Menschen sind in der Lage, in sich in stressigen Situationen mit genau jenen Ressourcen zu versorgen, die helfen, um diese stressigen Situationen zu durchstehen. Sie wissen, was ihnen gut tut und was ihnen hilft, wenn es ihnen nicht gut geht.

"Resiliente Menschen können ihre eigene Realität bewusst gestalten. Wie Stehaufmännchen finden sie in jeder Lage den Weg zurück in die Senkrechte."

Meine Großmutter väterlicherseits war so ein "Stehauf-Frauchen". Gesegnet mit einer unglaublichen mentalen Kraft und Fähigkeit hat sie einige wirklich schwere Situationen in ihrem Leben bewältigt, an denen ich wohl zerbrochen wäre. Schade, dass ich sie nicht mehr fragen kann, woher sie diese unglaubliche Kraft genommen hat. Sie starb, als ich in meinen Zwanzigern war; in der Pubertät und meiner Jungerwachsenenzeit beschäftigten mich andere Fragen als diese. Leider. Sage ich heute.

Zurück zum Film. Zum Ende hin kommt dann doch noch, wie schon beim letzten Mal zitiert, ein vielleicht helfender Hinweis der Resilienz-Forscher: Spiritualität und Sinn im Leben erhöhen die Widerstandsfähigkeit deutlich. "…nicht so sehr eine religiöse Spiritualität, sondern mehr eine sinnstiftende. Eine Spiritualität, die einem hilft zu verstehen, warum manche Dinge passieren. Und, wenn dies nicht möglich ist, das Nichtwissen zu ertragen."

Oder, wie StephanMeier es einmal in einem Interview gesagt hat:
"Das Leben möchte Dich heilen. Erlaube es – auch wenn Du nichts verstehst."

Nun denn.
Üben wir weiter.


Montag, 6. Juni 2022

Wirk-lichkeit

"Wanderer am Weltenrand" - anonymer Künstler um 1880
erstmals erschienen in Camille Flammarion, "L'atmospère. Météorologie populaire"
Dieser Tage habe ich ein enorm interessantes Video gesehen, eine Sendung des ORF aus dem Jahr 2016 aus der Reihe "Kreuz und Quer". Das Video hat den Titel "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" und befasst sich mit der Erkenntnis, dass jede und jeder von uns letztendlich eine eigene Wirklichkeit kreiert. Und dass das, was wir als "Realität" erfahren und benennen, im Letzten viel weniger stabil und festgefügt ist, auch viel wandelbarer, als wir im Alltag unserer Lebenswahrnehmung so meinen.

Ich zitiere hier den Ankündigungstext, der auf youtube unter dem Video steht:
"Das menschliche Gehirn kann nicht nur die Wahrnehmung der Realität, sondern auch die Realität selbst beeinflussen. Information, also Geist, verändert Biologie, also Materie. Unsere Beobachtung verändert obendrein das, was wir sehen. In den Experimenten der Quantenphysik entsteht Realität erst durch Messung. Zudem sind Teilchen über große Distanz auf unvorstellbare Art verbunden."

Wenn die Erkenntnisse aus diesem Video tatsächlich ins Bewusstsein dringen, kann sich der eigene Blick auf das, was wir all-täglich um uns herum wahrnehmen und erleben, tiefgreifend verändern.

Dass Weisheitslehren aus der ganzen Welt seit Jahrtausenden einen ähnlichen Blick auf das, was wir Wirklichkeit nennen, kultivieren, wundert dann nicht wirklich.
Inzwischen sind auch wir Heutigen, ist jedenfalls ein Teil unserer Naturwissenschaftler, dort angekommen – nur eben auf dem analytischen Weg des Messens und Beobachtens im Rahmen avancierter Wissenschaft.

Ich will zunächst eines der unzähligen Unterthemen aus dem Film aufgreifen, mit dem ich in beim Zuhören besonders in Resonanz gegangen bin und zu dem ich darum ein paar Zitate und Notizen aufgeschrieben habe. Mit einem weiteren - Resilienz - werde ich mich beim nächsten Mal befassen.

Zunächst also widme ich mich noch einmal dem "Placebo-Effekt", über den ich letzten Sommer bereits geschrieben habe, allerdings vor allem im Zusammenhang mit seinem Gegenspieler, dem Nocebo-Effekt. Zur Erinnerung: Placebo-Effekt ist der Begriff für stattfindende Heilung oder Besserung von Symptomen, die durch positive Vorstellungen und Erwartungen gefördert und beeinflusst wird.

In dem Video "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" wird der Placebo-Effekt im Rahmen einer Versuchsreihe erklärt und erforscht, in der an Symptomen der Höhenkrankheit leidende Probanden mit Sauerstoffgaben von diesem Symptomen wieder befreit werden. Nur, dass ein Teil der Probanden lediglich gesagt bekommt, dass sie Sauerstoff erhielten, in Wahrheit aber die normale Atemluft der Umgebung in der Sauerstoff-Flasche war. Die Symptome verschwanden trotzdem.

"Information, der man vertraut, kann also die Realität verändern und Materie gestalten."
heißt es dazu im Film.

Endlich, endlich, durch diese Aussage, bin ich auf den Knackpunkt gekommen! Sehe ich die Stelle, an der die Wirksamkeit tatsächlich ansetzt.
Nötig, die Not wendend ist, dass man der Information vertraut!
Damit erklärt sich für mich auch, warum der Nocebo-Effekt mitunter so viel nachhaltiger ist. Viele Menschen haben eine deutliche Neigung, den negativen Botschaften stärker zu vertrauen als den positiven. Und ich fürchte, ich gehöre zu diesen Vielen.

Sicher nach den Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre haben zahlreiche Institutionen (im weitesten Sinn) und Menschen, die in diesen Institutionen arbeiten, einen ehemals vorhandenen Vertrauensvorschuss verspielt. Zu viel wurde gelogen. Oder zumindest an der Wahrheit verdreht. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht… - sagt ein altes Sprichwort, das als solches schon wie ein Nocebo wirkt.

Wie nie zuvor gilt es heute, den Geist der Unterscheidung zu schärfen und immer mehr zu verfeinern. Wir leben in einer Zeit, in der jedes Bild, das uns gezeigt wird, unauffallend so bearbeitet sein kann, dass es genau das zeigt und auslöst, was der Herzeiger will, das es zeigen und im Betrachter bewirken soll; in einer Zeit, in der schamlos Fotos vergangener Ereignisse ohne Hinweis auf die echte Quelle als 'Zeitzeugen' aktueller Ereignisse verwendet werden; in einer Zeit, in der es keine von externen Interessen unabhängige (universitäre) Wissenschaft mehr gibt [falls es sie je gegeben haben sollte, fügt die Soziologin in mir hinzu]; in einer Zeit, in der sowohl die staatstragenden als auch die freien Medien hemmungslos mit den Gefühlen des Publikums spielen und die Menschen manipulieren. Und so ist es eine große Herausforderung, die Geister zu unterscheiden.

Was für eine Aufgabe auch, unter diesen Umständen, in sich selbst Vertrauen wieder aufzubauen! Denn ohne ein gewisses Vertrauen in das Leben, in den Lebensprozess an sich sind wirkliches Leben und Lebendigsein nicht möglich.

Und so ermutigt mich, was am Ende des Filmes benannt wird:
"Schließlich fanden die Forscher noch, dass Spiritualität und Sinn im Leben die Widerstandsfähigkeit deutlich erhöht. (…) Nicht so sehr eine religiöse Spiritualität, sondern mehr eine sinnstiftende. Eine Spiritualität, die einem hilft zu verstehen, warum manche Dinge passieren. Und, wenn dies nicht möglich ist, das Nichtwissen zu ertragen."



 

 

 

 

 



Viel gelesen