Da ging was schief. Aber gründlich.
Endlich ist mein Befinden ein wenig besser.
Die Hüfte scheint nun doch so
langsam genesen zu sein, meine linke Hand schmerzt nicht mehr und kann wieder
völlig mittun, an der rechten Hand scheint die Haut da, wo im Dezember die
Verbrennung war, sich weitestgehend wiederhergestellt zu haben.
Ich kann mich wieder einigermaßen selbstverständlich bewegen und auch wieder
länger spazierengehen.
Die glutenfreie Ernährung kann ich allmählich wieder aufgeben und darf mich auf
den echten Brotgeschmack und auf den Geschmack von 'echten' Nudeln freuen.
Und dann das.
Seit mehr als
einem Jahr hatte ich mein Haar wachsen lassen. Es war zu einer stattlichen
Löwenmähne geworden, deren Fülle und Lebenskraft mich bei jedem Blick in den
Spiegel und auch durch das bloße Spüren jeden Tag aufs Neue erfreute. Im
Spiegel fand ich mich so schön wie kaum jemals zuvor in meinem Leben. Ich
hätte mich in mich selbst verlieben können.
Und ich fühlte mich enorm fraulich mit dieser auch noch naturgewellten
Haarfülle.
Nach all den Monaten war inzwischen das Haar im Nacken ein wenig zu lang geworden, und ich hatte einen Termin bei meiner vertrauten Friseurin im Nachbarort gemacht. Zu ihr gehe ich schon Jahre, und immer mit sehr erfreulichem Ergebnis.
Im Kopf hatte ich, die Gesamtlänge etwas kürzen zu lassen, so dass sie ein wenig länger als kinnlang sein würde, sowie gesichtsumrahmend die Seiten ein wenig gestuft, damit der fluffig-füllige Fall rund ums Gesicht erhalten bliebe.
Und dann
passierte es. Ein gewaltiges sprachliches Missverständnis.
Zum ersten Mal seit
Jahren, oder vielleicht überhaupt, hatte ich offenbar so sehr die verkehrten
Worte im Niederländischen gewählt, dass mein Gegenüber komplett nicht begriff,
was ich hatte ausdrücken wollen, dabei allerdings meinte, mich gut verstanden zu haben.
Da ich als
Brillenträgerin ohne Brille auf der Nase (Brille stört nämlich beim
Haareschneiden) im Spiegel sowieso nichts sehe, habe ich mir schon vor
Jahrzehnten angewöhnt, während des Tuns meiner vertrauten Haarkünstler die
Augen zu schließen. Denn noch nie hatte ich erlebt, dass ich hinterher mit dem
Ergebnis ihres Tun nicht einverstanden war. So saß ich auch diesmal
vertrauensvoll mit geschlossenen Augen im gemütlichen Stuhl. Die Friseurin
schnippelte, wir unterhielten uns, ab und an nippte ich an meinem Tee, ohne allerdings in den Spiegel zu schauen.
Und das zukünftige Drama nahm seinen Lauf.
Etwas alarmiert war ich, als ich unerwartet das
"schrapp-schrapp-schrapp" eines Rasiermessers hörte und die Hände relativ am Oberkopf Haare kürzen fühlte. Ich öffnete
die Augen, um zu sehen, was sie da treibe, und schon sagte die Friseurin: so,
ich hab's.
Mir wurde ganz
komisch. Der Kopf fühlte sich merkwürdig leicht an. Das Gewicht meiner ganzen Haare
war irgendwie weg. Als erstes sah ich, dass das Haar an der Seite ausgedünnt
war. Die Länge schien auf den ersten Blick noch o.k. Dann wies die Friseurin
ganz stolz auf den Hinterkopf. Darauf habe sie heute besondere Sorgfalt
verwendet. Und zeigte mir das Ergebnis im Spiegel. Jetzt begriff ich, warum sich
alles so leicht anfühlte.
Ich wurde beinahe ohnmächtig: da war eine mittellange Kurzhaarfrisur draus
geworden!
Der ganze Hinterkopf abgestuft und ausgedünnt! Das Haar fiel sehr schön – wenn man
denn eine solche Kurzhaarfrisur hätte haben wollen.
Foto: Pixabay
Weg war meine
wundervolle Löwenmähne.
Einfach abgeschnitten.
Alles ausgedünnt noch dazu.
Mir hatte es komplett die Sprache verschlagen. Da ich bislang ein phantastisches Verhältnis mit dieser Friseurin hatte und es sich hier nur um ein schauriges, sprachliches Missverständnis handeln konnte, murmelte ich – innerlich erbleicht und erstarrt – irgendwas von: das ist aber jetzt eher eine Kurzhaarfrisur geworden…. naja, wächst wieder… und zahlte meinen hier in diesen Breiten gottseidank enorm erschwinglichen Obulus.
Die eigentliche
Herausforderung begann natürlich jetzt erst.
Ich musste mit dem leben, was da auf meinem Kopf angerichtet worden war. Absolut
gesehen, war es durchaus eine ansehnliche Frisur, halt bloß weit von dem
entfernt, was meinem derzeitigen Selbstbild entsprach. Mir war zum Heulen.
Die nächsten Tage wurde mir jedes Mal schlecht, wenn ich mich im Spiegel sah. Oder wenn ich mit den Händen durch meine Haare fuhr und immer wieder neu des Nicht-Mehr-Vorhandenen gewahr wurde.
Was für eine Aufgabe hatte sich da für mich aufgetan.
Fragen wie:
Woraus beziehe ich eigentlich Selbstwert?
Was ist im Augenblick für mich Fraulichkeit?
Wer bin ich, wenn der Stolz auf Äußerliches wegfällt?
Abbildung: Pixabay |
Schon nach kurzem
Nachdenken war mir vollkommen klar, dass das Ganze eine heftige Übung im Umgang
mit dem allseits geliebten Ego war, die mir hier ins Leben gestellt wurde.
Mein Aussehen war ja nicht einmal wirklich beeinträchtigt. Mir war nur das
wieder genommen worden, das mir in den letzten Monaten zum unerwarteten und
bislang unbekannten Quell von Selbstwertgefühl geworden war.
Mein Wesenskern war von dem allem ja nicht berührt.
Je ausführlicher
ich mich mit diesen Dingen befasste, desto ruhiger wurde ich.
Innere Stille
kehrte wieder ein.
In wechselnder Stabilität und Intensität, aber doch. Ab und zu
unterbrochen durch plötzliche Einbrüche, bei denen ich angesichts meines
Ebenbildes im Spiegel in Tränen hätte ausbrechen können. Eine echte
Herausforderung, mir meines Selbst-Wertes anders bewusst zu werden.
"Ganz viel von dem Weg ins Erwachte Bewusstsein ist Dekonstruktion."
(Melanie Rentmeister im youtube-Video um den 5. August herum)
Offenbar hatte das so sein müssen. Diese Erfahrungen und Be-Denkungen, Emotionen und Reflexionen waren wohl gerade 'dran' für mich. Ich habe daran eine Menge begriffen.
Abbildung: Pixabay |
eine Ahnung zukünftiger Fülle wahr zu nehmen. Das Ganze sieht jedoch noch sehr ausgefranst aus.
Das Haar darf noch eine ganze Weile weiterwachsen, bis ich wieder - und dann wirklich nur dafür! - zum Spitzen schneiden gehe.
Diesmal mit ganz klarer Ansage.
Mit meiner Friseurin hatte ich ein paar Tage nach dem Verständnis-und-Schnippel-Unfall Kontakt aufgenommen und das Ganze kommuniziert. Beim nächsten Mal werden wir beide sehr, sehr aufmerksam sein.
Aber dennoch vertrauensvoll.
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