Eines ist sicher: wir werden nie mehr gleichgültig und selbstverständlich mit Husten und Niesen umgehen können. Nicht mit dem unserer Mitmenschen. Nicht mit dem eigenen. Das wurde mir bewusst, als ich mich an einem der vergangenen Tage an einen meiner nächtlichen Träume erinnerte.
Diese herrlich volle Kirche stammt aus dem Online-Adeventskalender 2017 der Deutschen Welle, Törchen 16 |
"Singen – ja darf man das denn wieder?" dachte ich. "Oder meint er (der Sprecher am Mikrofon) Mit-Summen, wenn er Singen sagt?"
'Ich' war mir völlig unsicher, was denn jetzt erlaubt sei. Freute mich einerseits unbändig darauf, endlich wieder mit voller Stimme in Gemeinschaft zu singen. Andererseits hatte mein Traum-Ich eine unbestimmte Riesen-Angst vor all den herumfliegenden Tröpfchen.
In meine Bank drängelte sich ein jüngerer Mann, ca. Mitte 30 und strohblond, hochgewachsen, lautfröhlich, Modell "was kostet die Welt", das Ganze vermischt mit ungepflegtem Weltenbummlertum. Er ließ sich direkt neben mir fallen. Unruhig herumzappelnd, kramte er hier und kramte da in seinen diversen Jackentaschen. Und dann auf einmal nieste er. Laut, heftig, geradeheraus und ohne Hand oder Ellenbogen, geschweige denn ein Einwegtaschentuch vor Mund und Nase. "Hoppla!" rief er danach laut und provozierend. Er schniefte kräftig und fragte dann lautstark: "Hat vielleicht jemand ein Taschentuch für mich?". Und schniefte theatralisch weiter.
Mein Traum-Ich gruselte sich (hatte wohl kein Taschentuch zum Weitergeben?), versuchte, so weit wie möglich abzurücken, und Panik breitete sich in mir aus. Was, wenn… das Niesen kein normales Niesen war??? Ich versuchte, meine linke Nachbarin zu animieren, mehr nach links zu rücken, da war noch Platz. Sie aber blieb stoisch sitzen. In meinem Traum-Ich breitete sich die Panik immer weiter aus. Es versuchte, das Atmen einzustellen, fand es furchtbar, so dicht an dicht mit fremden Menschen sitzen zu müssen, und stand schließlich auf, um sich einen anderen Platz zu suchen.
Das gelang dann auch. In einem wesentlich weniger dicht besetzten Teil der Kirche. Lauter ältere Frauen um das geträumte Ich herum, klein und mager, in altmodischen Altfrauenkleidern, mit dünnem Grau-Haar, das zu Knerzchen geflochten war.
Diese Karikatur von Gerard Hoffnung habe ich auf dieser Webiste gefunden |
Das geträumte Ich hingegen traute sich nur zu Summen.
Und wurde vom kalten Grausen gepackt angesichts all der Aerosole, die hier nun herumschwirren mussten, vor den inneren Augen sichtbar gemacht wie in den Filmen mit den Aerosol-Versuchen in diesem Frühjahr.
So viel zur
Freude am gemeinsamen Singen.
Aber auch zur
Angst vor dem niesenden oder hustenden Mitmensch.
Leute, die auffallend und ungeschützt um mich herum niesten, husteten oder taschentuchlos schnieften, fand ich schon immer unangenehm und unappetitlich. Jetzt allerdings stellt sich schnell ein Gefühl von Bedrohlichkeit ein. Wer weiß, was sie einem anhängen...
Vielleicht sollte
man das "Gesundheit!"-wünschen nach dem Niesen eines Mitmenschen
wieder einführen. Das aus mir unerfindlichen Gründen vor einigen Jahren plötzlich
überall als "unhöflich" etikettiert und abgeschafft wurde. Von wem
ging das eigentlich aus? Was genau ist daran unhöflich, wenn man einander
wünscht, gesund zu sein?
Die Begründung, die ich gehört habe, lautet, dass es überholt sei. Denn es sei ja zu Zeiten der Pest eingeführt worden, da lautstarkes Niesen zu deren ersten Symptomen gehört habe. Darum wünschte man sich gegenseitig beim Niesen "Gesundheit!" – was so viel bedeuten sollte wie: mögest Du frei von der Pest bleiben! Oder auch: möge ich frei von der Pest bleiben!
Wahrscheinlich hätte man diesen Brauch besser nie abgeschafft.
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