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Donnerstag, 3. Dezember 2020

Von Zwängen befreit

 

 

 

Vor ein paar Tagen las ich hier auf der Website einer Zeitung die Überschrift: "Schlampige Kleidung, Haare und Bartwuchs – Ich hab sogar einen Kollegen daraufhin angesprochen". Corona-Mode.
In dem Artikel im Algemeen Dagblad wurde Kritik daran geübt, dass die Menschen sich um so weniger Mühe geben mit ihrer Kleidung, je länger die Homeoffice-Phase dauert.

 "Die Niederländer bemühen sich immer weniger, pico bello auszusehen" beschwerte sich der Interviewte. Kein Wunder, dass er darüber klagt – er ist der Inhaber der Firma Suitsupply, die Anzüge herstellt. Er sieht seinen Umsatz einbrechen.

"Keine chiquer Sakko oder gebügeltes Oberhemd, sondern ein bequemer Troyer oder verkrumpeltes Shirt. Und nicht nur unsere Kleidung verschlampt, man sieht es auch am unkontrollierten Bartwuchs und schlampigen Frisuren." seufzt er.

Auf der Website von RTL  wird auch die weibliche Seite der häuslichen Bequem-Mode beleuchtet. "Bügeln? Bei Joyce zuhause weiß man schon fast nicht mehr, was das ist. Jetzt, da ihr Freund zuhause arbeitet, brauchen keine Oberhemden mehr gebügelt zu werden. Herrlich!

Und der Hausanzug ist inzwischen ihr Lieblingsoutfit, wenn sie das Haus nicht zu verlassen braucht.

"Klar ziehe ich eine normale Hose an, wenn ich die Kinder zur Schule bringe. Aber ich kann mich zum Beispiel nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal Make-up benutzt habe." Erzählt besagte Joyce weiter.  

Auf einen Aufruf von RTL via facebook zum Thema "Corona-Mode" "reagierten eine Menge Leute auf die gleiche Weise wie Joyce. So lange und so häufig wie möglich laufen sie in Trainingsanzug, Pyjama oder Bademantel herum. Wenn man will, kann man das schlampig nennen. Die Menschen selbst aber finden es prima."

Und auch hier darf die Klage eines (in diesem Fall Damen-)Modegeschäfts nicht fehlen. 


All die schöne, chique Kleidung für offizielle oder festliche Anlässe bleibt im Laden hängen. Pullover, Hosen, klassische Hosen mit Stretch im Gewebe, solche Sachen sind diesen Herbst im Schwange.

"Bequem ist Norm" ergänzt die Ladeneigentümerin "Schade. Aber ich kanns schon gut verstehen. Im Laden trage ich ordentliche, feine Kleidung. Zuhause tausche ich mein Kostüm auch schnell gegen eine Jeans."

Endlich! ruft es in mir laut angesichts dieser Schilderungen.
Der Aufregung kann ich mich ganz und gar nicht anschließen. Endlich kommen die Leute dahinter, dass es für den Menschen in seiner Gesamtheit nicht gut ist, sich in unbequeme Kleidung zu zwängen, nur weil die als "chic" bzw. "gepflegt" etikettiert ist und von den Arbeitgebern und Anstandsgurus unisono zur Norm erhoben wird.

Winerkollektion 2020
von Gudrun Sjöden

Endlich merken die Menschen, wie schön es ist und wie gut es tut, wenn der Körper sich in den Kleidungsstücken frei bewegen kann, nichts zwickt, zwackt, einengt. Wie gut es tut, wenn man frei atmen kann, ohne kneifenden Rock- oder Hosenbund oder über der Brust fast spannende Bluse oder Oberhemd. Wie schön es ist, in bequemen Schuhen zu stecken, in denen die Zehen freies Spiel haben, die Füße atmen können, und in denen man schwingend und federnd natürlich gehen kann. Auch kalte Füße gehören mehr oder weniger der Vergangenheit an mit solcher Fußbekleidung. Statt Nylons oder dünnen Baumwollstrumpfhosen mit pumpsartigem Schuhwerk baumwollene oder wollene Socken mit Bequemschuhen. Herrlich!
Winterkollektion 2020 von hessnatur

Endlich dürfen auch berufstätige Menschen bereits das genießen, das alle Pensionierten sofort tun, wenn sie nicht mehr an irgendwelche Dienstkleidungen gebunden sind: sich so kleiden, wie es ihrem Körper gut tut. Und sich fortan in all ihren Kleidungsstücken rundum pudelwohl fühlen.

Hoffentlich bleibt der nun massenhaft an die Seite gekickte Kleidungs-Zwang dauerhaft auf der Strecke! Den an einem Schreibtisch arbeitenden Menschen wird das auf jeden Fall gut tun. Der Produktivität übrigens wahrscheinlich auch. Denn Menschen, die sich bei der Arbeit wohlfühlen, sind auch produktiver.

Der im Algemeen Dagblad und auf RTL zitierte Anzughersteller führt noch an, dass ihm bezüglich der eigenen Landesgenossen während internationaler Online-Konferenzen oft die Haare zu Berge stünden. Seiner Aussage nach säßen vor allem in Frankreich, Deutschland und Belgien die Teilnehmer eines solchen Video-Gespräches piekfein in der Runde. Und die eigenen Landsleute im Bequemlook.

Das ist auch nur Show, habe ich inzwischen von Leuten aus Deutschland gehört, die es wissen müssen. Weil selbst schon seit Monaten im Homeoffice.

Hier gehts zu dem Artikel auf der RTL-Website
Dieser Chic ist lediglich obenherum. Genau so weit, wie die Kamera reicht. Der Rest vom Körper, unterm Schreibtisch verborgen, sitzt auch in Jogginghose, Pyjamahose, Stretchjeans, Leggings, an den Füßen dicke Wollsocken oder gemütliche Schlappen, eventueel Sneaker. Auch völlig unbekleidete Unterkörper sollen schon vorgekommen sein.

Es lebe die Freiheit des Homeoffice.

 

2 Kommentare:

  1. Ich finde Männer in Anzügen chic und kenne einige die es gerne tragen aber auch lässig gekleidet sein können
    Aber zu enge einschneidende Kleidung trage ich auch im Office nicht.
    Der Tagesablauf kehrt sich im Homeoffice um, du machst dich nach der Arbeit ausgehfertig ��

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  2. Bei mir, die ja schon lange nicht mehr im "Office" arbeitet, ist es noch wieder anders. Ich trage bequeme Kleidung, jeden Tag bewusst ausgewählt, und immer aus erstklassigen Natur-Materialien . Habe inzwischen z.b. eine Menge Maxi-Strickkleider aus Merino, Alpaka, dicker, warmer Bourette-Seide usw. Entspannt gepflegt also.
    Auf Neudeutsch heißt das, glaube ich, Smart Casual.

    Und: interessant zu lesen, das mit den Anzugmännern :-)

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