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Donnerstag, 9. April 2020

Ausgeliefert



Eine Brieffreundin schrieb mir Ende März, dass sie in der Apotheke ihr vertrautes Präparat zur Behandlung einer chronischen Erkrankung nur noch in einer höheren Dosierung pro Tablette bekommen konnte und die Tabletten nun teilen muss. Im Radio hörte ich vor einer Stunde - und das brachte mich dazu, diesen Text heute online zu stellen – dass aktuell weltweit schwere Knappheit an bestimmten Arzneimitteln besteht. Vor allem solcher, die im Zusammenhang mit der C-Krise benötigt werden. Auf manchen Intensivpflegestationen weiß man sich nicht mehr anders zu helfen als bestimmte Schlafmittel aus der Tiermedizin einzusetzen, weil die Menschen-Arznei nicht mehr zu bekommen ist.
Das Ganze findet statt in einer Situation, in der jedes Land gegen jedes andere konkurriert. Nicht nur die Amerikaner schnappen "uns" Mundschutze weg. Auch europäische Länder untereinander benehmen sich wie Piraten, wenn es um diese knappen Ressourcen geht.

Denn wir produzieren dies alles nicht mehr selbst. Dies gilt vor allem für Medikamente aus erprobten Wirkstoffen, für die die Patentschutzfrist abgelaufen ist. Die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Gesundheitswesen, die Privatisierung des Gesundheitswesens sowie die Globalisierung sind die dahinter liegenden, verursachenden Prinzipien. Seit Mitte der 80er galt im Gesundheitswesen nur noch ein Prinzip: Kosten senken, Kosten senken, Kosten senken. Die fatalen Folgen können wir nun auf allen Gebieten des Gesundheitswesens bewundern, so auch bei der Arzneimittelproduktion. Wo früher Grundstoffe und Medikamente im eigenen Land oder zumindest innerhalb Europas hergestellt wurden, wurde diese Produktion aufgrund der immer mächtiger werdenden "billig, billig"-Mentalität zunächst nach Indien verlagert. Die Medikamente, so lernte ich in der Radio-Sendung, werden noch immer in Indien gemacht. Aber inzwischen werden die Grundstoffe schon nicht mehr dorrt hergestellt, sondern vielfach aus China bezogen. Eventuell werden Halbfertigprodukte auch noch innerhalb Ostasiens hin und her gekarrt. Und das alles passiert "just in time" – so lange bis bei irgendeinem Glied der Kette irgendwas schiefgeht. Dann fällt die gesamte Produktion erst mal still. Und bekommen wir unsere Arzneimittel nicht mehr. Das ist auch vor dem C-Virus häufiger mal vorgekommen, jetzt aber nimmt es weltweit bedrohliche Formen an, und es droht ein gigantischer Verteilungskampf.




Als Kollektiv waren wir uns dieser Abhängigkeiten nicht bewusst. "Irgendwie" hatten wir es zwar am Rande bemerkt: wo einst Fabriken waren, in denen auch Arzneimittel hergestellt wurden – Hoechst z.B. – enstanden inzwischen sogenannte "Industrieparks". Konglomerate von allerlei Betrieben, worunter auch chemische Industrie, aber im allgemeinen keine vor Ort produzierende Pharmaindustrie mehr.
Der Prozess an sich ging schleichend. Man bekam es gar nicht richtig mit. Irgendwann mal in den Nachrichten Meldungen, dass aus Firma A durch Zusammenschluss mit Unternehmen Y aus dem Ausland Firma YA geworden war, und vielleicht später mal, dann schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen, dass YA durch feindliche Übernahme von Z aufgekauft worden war und daraus nun Z-Y geworden war. Außerdem spielten die sogenannten Generika*), billige Nachahmer-Arzneimittel eine immer größere Rolle am Markt. Auch das nahm man so am Rande wahr. Irgendwie hatten die meisten der darauf spezialisierten Firmen einen Sitz irgendwo im eigenen Land, ober wo nun die Produktion war? Keine Ahnung. Und auch nie gefragt.

Hinter all dem stecken, wie oben beschrieben: ausschließlich ökonomische Interessen.
Kosten drücken, koste es, was es wolle. Der Preis in diesem Fall: 
die zuverlässige und sichere Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigen Arzneimitteln. 
Resultat: totale Abhängigkeit. Von einzelnen Produktionsstandorten. In China und Indien.

Wie konnte es so weit kommen? Fragt sich nun manche und mancher. Tja.

Wieder einmal macht die C-Krise - wie schon bei der klaren Luft, dem streifenlosen Himmel und den immer sauberer werdenden Gewässern - auf eine schwere, gesellschaftlich-politische Fehlentwicklung aufmerksam.
Ob sich die noch zurückdrehen lässt?


*) Marktanteil Generika bezogen auf alle verkauften Arzneimittel in ausgewählten Ländern Europas  2014: Deutschland 81%, Niederlande 71%, Österreich 52%, Großbritannien 84%, Frankreich 30%
Quelle: OECD

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